Unter der Führung von Konzernchefin und Verwaltungsratspräsidentin Suzanne Thoma durchläuft der Industriekonzern Sulzer eine Fitnesskur. Erste Erfolge sind ersichtlich. Und der russische «Elefant im Raum» wird kleiner.
Bei Sulzer scheinen sich immer weniger Investoren am sprichwörtlichen «Elefanten im Raum» zu stossen; erste Anzeichen dafür gab es am Kapitalmarkttag des Traditionskonzerns. Die russische Metapher bezieht sich auf Grossaktionär Viktor Vekselberg. Der russische Oligarch musste vor sechs Jahren seine Mehrheitsbeteiligung von 63% schlagartig reduzieren, weil er auf der Sanktionsliste der Amerikaner auftauchte. Doch auch mit einer Restbeteiligung von 48,82% sowie seinen zwei Vertretern im siebenköpfigen Verwaltungsrat spielt der unnahbare Industrielle bei Sulzer eine gewichtige Rolle.
Am jüngsten Treffen von Analysten, Investoren und Medien blieb der Elefant jedoch unerwähnt. Weder das Sulzer-Management noch die Analysten schnitten das heikle Thema an. Lediglich in den informellen Gesprächen wurde ab und zu die unhaltbare Situation thematisiert, ohne dass jedoch Hoffnung auf eine baldige Lösung zu vernehmen gewesen wäre.
Ein magerer Leistungsausweis
In den vergangenen fünfzehn Jahren ist der 67-jährige Oligarch bei sechs kotierten Schweizer Unternehmen eingestiegen, oft auf dubiosen Wegen, wie die verschiedenen Verfahren und Bussen bezeugen. Im Rückblick erwiesen sich die meisten Engagements als Flop (vgl. Tabelle). Erfolgreich war er nur bei Sulzer – wenn er denn Zugriff auf seine Beteiligungen hätte. Damit er sein Aktienpaket verkaufen könnte, müsste die amerikanische Sanktionsbehörde einwilligen. Ein Pfand, das die Amerikaner nur ungern aus der Hand geben. Seine restlichen Sulzer-Aktien liegen auf einem Sperrkonto, wo auch die Dividendenzahlungen blockiert sind.
Als Vekselberg bei Sulzer einstieg, erhofften sich die Investoren einen bevorzugten Zugang zum riesigen russischen Energiemarkt. Das erwies sich nicht nur als Trugschluss, sondern entpuppte sich auch als ein kostspieliges Handicap. 2022 musste Sulzer wegen des Ausstiegs aus dem russischen Markt und des Rückzugs aus Polen verschiedene Niederlassungen schliessen. Gesamthaft gingen so 3,3% des Konzernumsatzes verloren. Es resultierte ein Abschreiber, der das Unternehmen auf Stufe Gewinn 134 Mio. Fr. kostete.
Doch die Zeit heilt nicht nur Wunden, sondern scheint auch Ängste zu zerstreuen. Mittlerweile macht es den Anschein, dass sich die Investoren mit der Pattsituation arrangiert haben. Das lässt sich am schrumpfenden Bewertungsabschlag der Sulzer-Aktien (KGV 2024: 15) gegenüber den in ähnlichen Bereichen tätigen Konkurrenten (Flowserve KGV 18, Burckhardt Compression 20, Accelleron 23) ablesen. Ganz verschwunden ist er indes nicht. Weiterhin dürften die Sulzer-Titel rund ein Fünftel tiefer bewertet sein als ohne den sanktionierten Hauptaktionär.
Angelsächsische Investoren machen wegen Vekselberg einen weiten Bogen um ein Sulzer-Engagement. Auch institutionelle Anleger lassen die Titel lieber links liegen, um keine unangenehmen Fragen ihrer Kunden zu riskieren. Im März haben sich zum Beispiel zwei Small- und Mid-Cap-Fonds von UBS von ihrer Beteiligung an Sulzer und Medmix (Sulzer-Spin-off) getrennt. Damit fällt ein grosser Teil der potenziellen Nachfrage weg.
Private indes müssen sich um solche Einschränkungen nicht kümmern. Sie haben die Chance, dass sich der Bewertungsabschlag auflöst, sobald der gordische Knoten durchschlagen ist. Wann das der Fall sein wird, steht in den Sternen. Eine wesentliche Verschlechterung der Situation ist hingegen kaum vorstellbar.
Kulturwandel
Operativ betrachtet ist Sulzer als Anlageobjekt attraktiver geworden, denn abgesehen vom Elefanten geht es dem Industrieunternehmen so gut wie schon lange nicht mehr. Das hat nicht nur mit der guten Verfassung der Märkte zu tun, in denen Sulzer tätig ist, sondern auch mit internen Verbesserungen, die angedacht sind. Initiiert wurden sie von Suzanne Thoma. Die 62-jährige Schweizerin wurde 2021 in den Verwaltungsrat gewählt, ein Jahr später übernahm sie das Präsidium vom ehemaligen Siemens-Chef und Vekselberg-Vertrauten Peter Löscher. Im Herbst 2022 wurde ihr zusätzlich das CEO-Amt anvertraut.
Seither ist Thoma die starke Frau bei Sulzer und treibt einen bemerkenswerten Kulturwandel voran. Wer ihr Wirken vom Energiekonzern BKW kennt, ahnt, was das für das Sulzer-Management bedeutet. Wenn sie von «verbesserter Datenqualität» spricht, mit der sie das Unternehmen künftig leiten will, meint sie strikte Kompetenzregeln, an denen die Führungskräfte gemessen werden. Ein «Verschlaufen» innerhalb der rund 13’000 Mitarbeitende zählenden Organisation gibt es nicht mehr. Eine Leistungskultur hat Einzug gehalten.
Die internen Finanzziele wurden in die Divisionen verlagert. Diese konnten schon bis anhin recht unabhängig agieren. Offenbar aber wurden die Verantwortlichen bisher weniger eng am Erreichen dieser Ziele gemessen.
Einen ähnlichen Kulturwandel hat ABB durchlaufen. Die zentralistische Matrix-Organisation wurde aufgehoben und dafür ein föderalistisches Führungsmodell eingeführt. Der enorm positive Effekt dieses Wandels zeigt sich an der erfreulichen Kursentwicklung der ABB-Aktien📈.
Die ambitiösen Rentabilitätsziele bis 2028, die Sulzer am Kapitalmarkttag zum ersten Mal vorgestellt hat, deuten darauf hin, dass auch bei den Winterthurern ausreichend Verbesserungspotenzial vorhanden ist. Das Unternehmen sei ein Rohdiamant, der mehr als nur etwas Politur brauche, schilderte Thoma die Ausgangslage. Bis daraus ein «Edeljuwel» werde, brauche es noch einige Jahre, dämpfte sie allfällige Hoffnungen auf rasche Erfolge. Der Prozess ist erst 2023 gestartet worden. Nun geht es an die Umsetzung der mehr als hundert Projekte. Gut sechzig beziehen sich auf eine Verbesserung des organischen Wachstums, weitere rund vierzig konzentrieren sich auf die Wertschöpfungskette.
So würden unter anderem im Servicegeschäft weniger kleine Projekte (unter 500’000 Fr.) angenommen. Unternehmen wie der Turboladerhersteller Accelleron 📈beweisen, dass bei Serviceaktivitäten eine Marge von über 20% drinliegt – wenn sie denn effizient ausgeführt werden.
Noch läuft vieles nicht rund bei Sulzer. Nur mit jeder zweiten Pumpe werde Geld verdient, heisst es. Das Wassergeschäft, das rund 35% des Umsatzes der Division Flow ausmacht, müsse in Ordnung gebracht werden. In der komplexen Struktur mit gruppenweit 160 verschiedenen Standorten gebe es viele Engpässe, die nun beseitigt würden, erklärte Thoma. Ausser in der Division Chemtech seien ausreichend Produktionskapazitäten vorhanden. Das hat den Vorteil, dass Kapitalinvestitionen von jährlich rund 4% ausreichen.
Erneuerter Verwaltungsrat
In der Unternehmensführung steht die neue Struktur bereits. Seit Thoma zum Unternehmen stiess, wurde der Verwaltungsrat komplett erneuert. Ausser den beiden Vekselberg-Adlaten kamen vier neue Mitglieder ins Siebnergremium. An der Generalversammlung 2022 stiess Markus Kammüller hinzu. Ein Jahr darauf wurden Prisca Havranek-Kosicek, die Finanzchefin von Jenoptik, der ehemalige langjährige Clariant-Chef Hariolf Kottmann sowie der mit Sanierungssituationen (Swissport, Bilfinger) bestens vertraute Norweger Per Utnegaard in den Verwaltungsrat aufgenommen.
Das Doppelmandat von Thoma dürfte so lange Bestand haben, bis auch die betrieblichen Abläufe bei Sulzer eingespielt sind.
Seit der Abspaltung des Medtech-Bereichs (Medmix) vor drei Jahren besteht die Gruppe aus noch drei Divisionen. Sie zeichnen sich durch einen hohen Serviceanteil aus; rund die Hälfte der Einnahmen wird nach dem Verkauf der Produkte erzielt. Bei den jahrzehntelangen Lebenszyklen von Pumpen, Kompressoren, Turboladern und Generatoren ist es üblich, noch einmal das Zwei- bis Dreifache für die Wartung auszugeben. Das Servicegeschäft ist stabiler als der Produktverkauf und erlaubt eine höhere Marge.
Die für Sulzer wichtigen Bereiche Erdöl und -gas blieben strukturell wachsende Märkte, erklärte Thoma. Sie seien mehrere Milliarden Franken gross und wüchsen jährlich um 3 bis 5%. Sie sind aber zyklisch. Mit einem entsprechend volatilen Kursverlauf der Sulzer-Aktien muss gerechnet werden.
Bei den Anlagen für chemische Prozesse (Chemtech) ist der Serviceanteil etwas geringer (30%, vor allem Ersatzteile). Wachstum erhofft sich das Unternehmen in neu entstehenden Bereichen wie CCUS, der Abtrennung, Wiederverwendung und Lagerung von CO2. Das Fachwissen bei Technologien für das Trennen und das Aufbereiten chemischer Substanzen nutzt Sulzer auch hier. Das Gleiche gilt bei Bioplastik, der z. B. aus Zucker gewonnen wird und kompostierbar ist. Beide Segmente sind noch klein.
Keine akquisitorischen Abenteuer
Anders als bei BKW, wo Thoma ein drittes Standbein (Energiedienstleistungen) fast gänzlich durch Akquisitionen aufgebaut hat, sind bei Sulzer keine strategischen Abenteuer zu befürchten. Vielmehr gilt es, das Vorhandene schlanker zu machen, um wettbewerbsfähiger und rentabler zu werden. «Wir wollen in einer kapitaleffizienten Art organisch wachsen und zu einem resilienten, cashgenerierenden Unternehmen werden», umschrieb Thoma die Stossrichtung.
Das spiegelt sich in den mittelfristigen Zielen, die das Sulzer-Management bis 2028 erreichen will. Finanzchef Thomas Zickler will sie lediglich als Ambitionen verstanden wissen. Für die Investoren macht das keinen Unterschied; sie werden die Arbeit des Managements am Erreichen dieser Vorgaben messen.
In den fünf Jahren bis 2028 wird ein durchschnittliches Umsatzwachstum von 3 bis 5% angestrebt. Nach den zwei besonders guten Jahren 2023 (+13,2%) und 2024 (+6 bis 9%) ist eine deutliche Abkühlung budgetiert. Das ist dem zyklischen Charakter des Geschäfts geschuldet.
Der Rentabilität soll dies jedoch keinen Abbruch tun. Die Ebitda-Marge soll bis 2028 auf mehr als 17% steigen (2023: 13,3%). Der Markt traut Sulzer das noch nicht zu. Die Konsensschätzungen von Bloomberg liegen bei 15,4%. Die Kapitalrendite (ROCE), die sich in den vergangenen vier Jahren bereits mehr als verdreifacht hat, soll dieses Jahr über 20% steigen und bis 2028 über 22% liegen.
The Market ist der Ansicht, dass die Sulzer-Aktien trotz ihrer Kursavance von über 45% seit Jahresbeginn Potenzial haben. Mit Thoma scheint die richtige Person an den Schalthebeln zu sitzen, um der in den letzten Jahren durch äussere Ablenkungen etwas eingerosteten Industrie-Ikone neuen Schwung zu verleihen.
Und wer weiss: Vielleicht wird ja Thomas Abschlusswerk gekrönt und der leidige Elefant ohne grösseren Kollateralschaden aus dem Raum befördert.