Naomi Campbells Traumkarriere findet Eingang ins Londoner Victoria and Albert Museum. Die Ausfälle des Modells werden ausgeblendet.
Keiner gehörte der Laufsteg so sehr wie Naomi Campbell. Sie machte den Akt des Gehens zu etwas Ausserordentlichem – mit der Haltung einer Ballerina, einer knapp gezähmten Wildheit und dem Auftreten einer Frau, die sich ihrer Wirkung bis in die Haarspitzen bewusst ist. Natürlich ist sie auch eine Frau, die genau weiss, wie viele Millionen Dollar sie wert ist. Sie wusste es damals, als sie in den neunziger Jahren eine Traumkarriere als Model in der Modebranche hinlegte. Und sie weiss es auch heute. Denn es gibt sie immer noch. Auch wenn sich die 54-Jährige in der Öffentlichkeit inzwischen überaus rarmacht. Wer so lange in einer Industrie überlebt, deren Basisanforderung sozusagen ewige Jugendlichkeit ist, beweist zumindest Resilienz.
Jetzt stolziert Naomi Campbell im Victoria and Albert Museum in London auf die Besucherinnen zu – per Filmeinspielung. Die meisten Gäste dieser Ausstellung sind weiblich. Sie freuen sich über den selbstsicheren Stil dieser Frau, die selber vor allem eines tut: Freude am weiblichen Körper zu vermitteln. Und die sich gar nicht darauf einlässt, ihn in irgendeiner Weise zu problematisieren. Die Museumsbesucherinnen, die bewundernd vor den Leinwänden stehen, über die Naomi in den schönsten Kleidern paradiert, lächeln. Auch Naomi lächelt, und erst recht bei ihrem berühmten Laufstegsturz 1993 in Vivienne Westwoods ultrahohen Plateauschuhen.
Im Moment ihres Falls vor den Augen der ganzen Modewelt zeigt sich das Ausmass ihrer Selbstsicherheit, die darin besteht, auch in den peinlichsten Situationen über sich lachen zu können. Denn sie weiss ja, dass niemand so gehen kann wie sie. Sie hat als Tänzerin angefangen. Ihre Ballettschuhe sind in einer Vitrine zu sehen. Und manchmal macht sie beim Modevorführen ein paar Stepptanz-Schritte. «Sie hat die Muskelstruktur eines Rennpferds», sagte der Modeschöpfer Azzedine Alaïa in einem Interview.
Das erste schwarze Model
Welche Kämpfe oder Zurücksetzungen Naomi Campbell aufgrund ihrer Hautfarbe auch immer erlebt haben mag: Ihrem Auftreten war es nie anzumerken. Die Ausstellung fragt auch nicht danach. Damit verpasst sie allerdings eine Gelegenheit, tiefer in diese Biografie und ins Modebusiness zu blicken.
Dabei ist Campbells Geschichte faszinierend genug: Naomi gehörte zur Riege der Supermodels der neunziger Jahre mit Linda Evangelista, Christy Turlington, Claudia Schiffer und Cindy Crawford. Doch selbst auf dem Höhepunkt ihres Ruhms gab es Jobs, für die Campbell nur gebucht wurde, weil die anderen «Supers» sich weigerten, ohne sie aufzutauchen. Auch wenn Campbell dann beim Fotoshooting bloss in einer Ecke sass. Nach der Arbeit mussten ihre weissen Kolleginnen ihr oft ein Taxi rufen, weil die Fahrer nicht anhielten, wenn Campbell sie selber herbeiwinken wollte.
Campbell wurde in eine Londoner Arbeiterfamilie geboren, ihren Vater lernte sie nie kennen. Kurz vor ihrem 16. Geburtstag erschien sie schon auf dem Cover der britischen «Elle». Durch ihre aussergewöhnliche Schönheit, aber auch durch Glück, Hartnäckigkeit und Ehrgeiz erreichte sie einen Level an Ruhm, von dem schwarze Vorgängerinnen wie Pat Cleveland und Iman nur träumen konnten.
Sie war das erste schwarze Model auf den Titelseiten des «Time Magazine» sowie der französischen und der russischen «Vogue». Das Victoria and Albert Museum betont diese Aspekte ihrer Karriere im Windschatten von «Black Lives Matter». Seit dieser Bewegung überbietet sich die gesamte Londoner Kulturwelt mit Ausstellungen über «People of Color» – dies in einem Reflex der Überkompensation, denn vorher war da so gut wie gar nichts. Campbell sei «eine der einflussreichsten schwarzen Frauen weltweit», lässt sich das Museum vernehmen. Das klingt, als ob die Ausstellungsmacher eine Schau über eine Frau, die «nur» ein Model ist, rechtfertigen wollten.
Gewalttätige Diva
In den vergangenen Jahren hat sich Campbell für mehr Diversität in der Mode eingesetzt und dabei ihre eigenen Erfahrungen genutzt, um auf frühere Defizite im Modebusiness hinzuweisen, sprich: den eklatanten Mangel an nichtweissen Models. Überhaupt macht sie in der letzten Zeit durch ihren Einsatz für verschiedene Charity-Vereinigungen von sich reden.
Im Jahr 2005 gründete sie ihre Wohltätigkeitsorganisation Fashion for Relief, um durch Laufsteg-Shows mit Starbesetzung Geld für humanitäre Zwecke zu sammeln. Ausserdem arbeitet sie mit Sarah Brown, der Ehefrau des ehemaligen Premierministers Gordon Brown, in der White Ribbon Alliance zusammen, um die Gesundheitsversorgung von Müttern weltweit zu fördern.
Doch kann bei der Ausnahmefrau nicht allein vom mühsamen, aber letztlich triumphalen Aufstieg einer schwarzen Heldin erzählt werden. Sosehr das Victoria and Albert Museum sich auch um ein positives Image bemüht. Denn Campbell ist eine komplexe und nicht immer heldenhafte Figur. Auch wenn in der Schau kaum etwas über die Person in den Couture-Kleidern von Versace, Dolce & Gabbana, Burberry und McQueen sichtbar wird. Denn sie ist sehr gut darin, ihr Privatleben zu schützen. So sehr, dass nur wenige wissen, in welchem Land sie überhaupt lebt.
Nicht immer war Naomi Campbell nur für ihre guten Werke bekannt. Die Weltpresse dokumentierte in der Vergangenheit ihre Ausfälle gegenüber Angestellten. Mehrfach wurde sie wegen Körperverletzung verurteilt. Ein Vorfall, bei dem sie das Personal der Fluggesellschaft beschimpft hatte und dann Polizeibeamte angriff, führte laut Berichten dazu, dass British Airways sie auf Lebenszeit nicht mehr befördern will.
Einmal packte sie eine Assistentin am Hals und schlug ihr ein Telefon auf den Kopf. Campbell bekannte sich der Körperverletzung schuldig. Ein anderes Mal warf sie ihrer Haushälterin ihr Telefon ins Gesicht. Die Wunde musste mit vier Stichen genäht werden, und Campbell wurde wegen Körperverletzung zweiten Grades angeklagt.
Für einen ihrer Übergriffe wurde sie 2007 per Gerichtsbeschluss zu mehreren Stunden gemeinnütziger Arbeit verurteilt. Die trat sie im Ballkleid an und liess sich dabei fotografieren – die Ausstellung bebildert das wie einen Triumph. Im Jahr 2010, damals war sie 40, wurde sie nach Den Haag vorgeladen, um im Kriegsverbrecherprozess gegen den despotischen ehemaligen Präsidenten von Liberia, Charles Taylor, auszusagen, dem Kriegsverbrechen wie die Verstümmelung und die Ermordung Tausender Menschen vorgeworfen wurden.
«Ich möchte das einfach hinter mich bringen und mein Leben weiterleben. Das ist eine schreckliche Unannehmlichkeit für mich», erklärte sie zu Beginn ihrer Zeugenaussage. Auch damit machte sie sich nicht nur Freunde; und auch diesen Auftritt verschweigt die Londoner Schau.
Die Ausstellung präsentiert lieber ein idealisiertes Porträt des Models. Ein mit teurem Krimskrams vollgestopfter Ankleideraum mit Frisierspiegel und jeder Menge Schuhe und Kleider schafft vermeintliche Nähe. So sieht es also in Naomis Glamour-Garderobe aus. Freunde und Kolleginnen stellen ihr per Videoaufnahme ein gutes Zeugnis aus. Kate Moss, Diane von Fürstenberg und andere kommen zu Wort. Man hört da, wie schön, reizend und witzig sie sei, aber das Bild rundet sich nicht.
Naomi Campbell war massgeblich selber an der Ausstattung dieser Schau beteiligt, was nicht wirklich kritische Betrachtungen ermöglichte. Dem Ergebnis nach zu urteilen, bestand Campbells Anliegen darin, Stärke, Unverwundbarkeit und Perfektion zu demonstrieren.
Die grossen Ballkleider – Sinnbilder von Luxus – und die riesig vergrösserten Titelseiten der Illustrierten: So wird der Triumph einer Diva inszeniert. Einen Gag hält die Ausstellung allerdings bereit: Die Besucherinnen können selber einen Gang auf dem Laufsteg probieren und sich dabei von einer Kamera in der Wand filmen lassen. Bevor die Probe-Willigen nach dem Countdown loslegen können, instruiert sie Naomi per Video: «Haltung! Selbstvertrauen!», befiehlt sie. Nach dieser Devise hat sie auch selber einen weiten Weg zurückgelegt, Ausrutscher inklusive.
«Naomi: In Fashion», Victoria and Albert Museum, London, bis 6. April 2025.