Die Turbulenzen nehmen zu, die Angst vor einem globalen Abschwung steigt. Eine attraktive Möglichkeit, das Portfolio defensiver auszurichten, bietet der Gesundheitssektor. Die Bewertungen sind günstig, die Branche ist wenig konjunkturempfindlich – und tiefere Zinsen könnten zusätzlich Auftrieb geben.
Die Lage bleibt unübersichtlich. Die globalen Aktienmärkte haben zu Wochenbeginn weitere Verluste erlitten. Die heftige Verkaufswelle, die mit dem Einbruch japanischer Aktien an den asiatischen Börsen am Montagmorgen begann, setzte sich bis am Abend in den USA fort.
Der US-Leitindex S&P 500 ging gestern 3% tiefer aus dem Handel. Das ist der schwerste Tagesverlust seit rund zwei Jahren. Der Nasdaq 100 mit den grössten Technologiewerten büsste ebenfalls 3% ein. Am härtesten traf es erneut Aktien aus dem Small-Cap-Index Russell 2000, die meist besonders sensibel auf Veränderungen der Konjunkturlage reagieren.
Immerhin: Die Futures-Märkte zeigen am Dienstagmorgen eine gewisse Gegenbewegung an. An der Börse Tokio verzeichnet der Nikkei 225 momentan eine markante Erholung von über 9%. Auch in Südkorea, Hongkong und auf dem chinesischen Festland scheinen sich die Wogen vorerst wieder etwas zu glätten.
Generell halten sich die Verluste an den amerikanischen Aktienmärkten bislang in Grenzen. Der S&P 500 hat seit dem Rekordhoch vom 16. Juli rund 8,5% an Terrain verloren, womit noch nicht von einer Korrektur gesprochen werden kann. Stärker unter Druck steht der Nasdaq 100, der nach durchwachsenen Quartalszahlen aus dem Tech-Sektor 13,4% gesunken ist. Nach der kräftigen Avance der letzten anderthalb Jahre, befeuert durch den Hype um künstliche Intelligenz, ist die Fallhöhe allerdings auch grösser.
Dass es an den Börsen immer mal wieder zu turbulenten Phasen kommt, ist nicht ungewöhnlich. Überraschend sind aber vor allem das Tempo und die Intensität der Kursbewegungen in den vergangenen Tagen. Der abrupte Stimmungsumschwung schlägt sich entsprechend im Risk Barometer von The Market nieder.
Wie gross die Nervosität gegenwärtig ist, lässt sich am Volatilitätsindex Vix veranschaulichen. Er misst auf Basis von Optionspreisen die erwarteten Kursschwankungen des S&P 500 und ist seit Ende Juli 130% nach oben geschossen. Ausschläge solcher Dimensionen lassen sich sonst nur in schweren Krisensituationen beobachten, wie beispielsweise im Februar 2020 beim Ausbruch der Pandemie.
In diesem unwägbaren Umfeld scheint es empfehlenswert, das Portfolio defensiver auszurichten. Eine attraktive Möglichkeit dazu bieten Aktien von Pharma- und Biotech-Unternehmen. Die Bewertungen im Sektor sind günstig, der Geschäftsgang wenig konjunkturempfindlich – und tiefere Zinsen könnten für zusätzliche Dynamik sorgen.
Gut gewappnet in den Abschwung
Ein Faktor, der an den Märkten für Verunsicherung sorgt, sind die weniger freundlichen Konjunkturaussichten. Die amerikanische Wirtschaft hat sich lange Zeit wesentlich besser geschlagen als erwartet. Der Einkaufsmanagerindex zum Dienstleistungssektor hat am Montag zwar leicht positiv überrascht. Das Gesamtbild zur Konjunkturlage deutet jedoch mehr und mehr auf eine Abkühlung hin.
Diverse Warnlichter hinsichtlich einer möglichen Rezession blinken auf. Anzeichen von Schwäche zeigt selbst der Arbeitsmarkt, wo die Arbeitslosenrate deutlich gestiegen ist. Am US-Bondmarkt hat sich die Inversion der Zinskurve (gemessen an der Renditedifferenz zwischen zehnjährigen und zweijährigen Staatsanleihen) praktisch aufgelöst; eine Entwicklung, die in der Vergangenheit ein zuverlässiger Vorbote eines Abschwungs war.
Dass es zu einer Rezession kommt, ist keineswegs sicher. Die Erfahrungen der letzten Jahre haben verdeutlicht, wie unberechenbar sich die amerikanische Wirtschaft seit der Pandemie verhält. Selbst Optimisten müssen aber einräumen, dass die Wahrscheinlichkeit für eine Abkühlung steigt.
Bei solchen Rahmenbedingungen kommen die defensiven Qualitäten von Unternehmen aus dem Gesundheitswesen zum Zug. «In der laufenden Berichtssaison zum zweiten Quartal heben sich die Nachrichten aus dem Sektor bisher klar positiv ab», sagt Thomas Heimann, Analyst bei der auf Biotech-Gesellschaften spezialisierten Investmentfirma HBM Partners. «Eine Ausnahme ist das Segment Medtech, das näher am zyklischen Konsum ist. Unternehmen aus den Bereichen Pharma, Biotech und Liefe Sciences sind demgegenüber auch in einem schwierigen Konjunkturumfeld ausgesprochen solide aufgestellt.»
Das lässt sich anhand historischer Daten belegen. Ein Beispiel ist die Finanz- und Wirtschaftskrise von 2008/09. Wie eine Auswertung mit Hilfe des Datendiensts S&P Global Market Intelligence zeigt, hat sich das Wachstum im Gesundheitssektor damals zwar verlangsamt. Auf dem Tiefpunkt im ersten Quartal 2009 verzeichneten Konzerne aus dem S&P-500-Subsegment Pharma, Biotech und Life Sciences einen Rückgang von etwas mehr als 3%. Im Vergleich dazu brachen die Einnahmen im S&P 500 insgesamt fast 20% ein.
Ähnlich verhielt es sich während der Gewinnrezession von 2014/15, die durch die Abkühlung der Weltwirtschaft und speziell durch die Konjunkturflaute in China verschärft wurde. Unternehmen aus dem Bereich Pharma, Biotech und Life Sciences konnten in dieser heiklen Phase sogar über ansprechendes Wachstum berichten.
Das jüngste Beispiel sind die Verwerfungen während der Pandemie. Trotz des scharfen Konjunktureinbruchs blieb die Branche selbst im zweiten Quartal 2020 auf Expansionskurs. Die Nachfrage nach Medikamenten und Impfstoffen gegen das Coronavirus löste einen kräftigen Boom aus, worauf im Nachgang der Pandemie mit dem Wegfall der Sondereinnahmen allerdings ein Konsolidierungsprozess folgte.
Besonders interessant aus einer Investmentperspektive ist, dass diese Bereinigungsphase weitgehend abgeschlossen ist. Mit anderen Worten: Das Wachstum der Einnahmen und damit auch der Gewinne dürfte sich in den kommenden Quartalen beschleunigen, wogegen es sich bei vielen Unternehmen aus anderen Branchen voraussichtlich abschwächen wird.
Zuversichtlich stimmen diesbezüglich die Abschlüsse zum ersten Semester. An der Schweizer Börse hat sowohl Roche als auch Novartis die Prognose für den restlichen Verlauf des Jahres erhöht. Dasselbe gilt für andere Branchenschwergewichte wie Pfizer, Johnson & Johnson, AstraZeneca oder Bristol-Myers Squibb, um nur einige Beispiele zu nennen.
Im Biotech-Sektor ist die Berichtssaison noch voll im Gang. Branchenprimus Amgen legt die Quartalszahlen heute Abend nach Börsenschluss in den USA vor, Gilead Sciences folgt am Donnerstag. Vertex Pharmaceuticals und Biogen haben den Ausblick letzte Woche erhöht. Regeneron Pharmaceuticals gab wie immer keine Prognose ab, traf aber auf positive Resonanz. Zu den negativen Ausnahmen zählte Moderna.
Sinkende Zinsen geben Auftrieb
Für Pharma- und Biotech-Konzerne spricht ein weiteres Argument: In einem Umfeld mit weniger erbaulichen Konjunkturaussichten werden sich die Zinsen aller Voraussicht nach weiter ermässigen. Nachdem die EZB, die Schweizerische Nationalbank und zuletzt die Bank of England ihre Geldpolitik bereits gelockert haben, zeichnen sich auch in den USA bald Zinssenkungen ab.
Wie US-Notenbankpräsident Jerome Powell vergangene Woche durchblicken liess, ist ein erster Schritt im September «auf dem Tisch». Zudem machte er klar: Das Federal Reserve hat «viel Spielraum, um zu reagieren», wenn sich die Wirtschaft abschwächen sollte. Aufgrund der Erschütterungen der letzten Tage indizieren die Terminmärkte für die nächste Fed-Sitzung von Mitte September eine Wahrscheinlichkeit von über 70%, dass es gleich zu einem Doppelschritt von 50 Basispunkten kommt. Teils wird darauf spekuliert, dass Powell schon vorher notfallmässig intervenieren muss.
Märkte neigen zu Übertreibungen. Die Zinserwartungen können sich rasch ändern. Zur Erinnerung: Im Januar hatten Investoren für 2024 sechs bis sieben Zinsschritte eingepreist. Bis vor wenigen Wochen war umstritten, ob das Fed die Zinsen dieses Jahr überhaupt senken wird. Aktuell kann aber zumindest mit grosser Wahrscheinlichkeit davon ausgegangen werden, dass ein neuer Zyklus mit Zinssenkungen bevorsteht. In welchem Umfang sie ausfallen, wird sich zeigen.
Für Aktien aus dem Pharma- und Biotech-Sektor lassen sich daraus zwei positive Entwicklungen ableiten. Erstens werden Dividendenzahlungen und Ausschüttungen in Form von Aktienrückkäufen relativ zu den Renditen am Bondmarkt attraktiver. Die Rendite zehnjähriger US-Staatsanleihen ist am Montag temporär unter 3,8% gefallen, noch Ende April stand sie auf über 4,7%.
Gemäss dem Datendienst Koyfin rechnen Analysten damit, dass die meisten gestandenen Grosskonzerne aus der Gesundheitsbranche in den nächsten zwölf Monaten eine Dividendenrendite von rund 3 bis 5% auszahlen werden. Eli Lilly und Novo Nordisk sind angesichts der phänomenalen Kursavancen im Zug des Booms mit Abnehmspritzen Sonderfälle.
Etwas anders verhält es sich im Biotech-Sektor, wo sich der Fokus primär auf Wachstum richtet. Ausser Amgen und Gilead zahlt kein Unternehmen aus der Branche eine Dividende. Als klassische «Long Duration»-Anlagen, sollten die Aktienkurse von Biotech-Gesellschaften aber überdurchschnittlich positiv auf sinkende Zinsen reagieren.
Die folgende Grafik zur Performance des Nasdaq Biotechnology Index in den vergangenen zwanzig Jahren veranschaulicht diesen Effekt. Um prozentuale Kursveränderungen besser darzustellen, wurde eine logarithmische Skala für die vertikale Achse gewählt. In Phasen, in denen die US-Notenbank die Zinsen senkte oder auf tiefem Niveau hielt, entwickelte sich der Sektor positiv. Weniger gut lief es in Phasen mit steigenden oder erhöht bleibenden Leitzinsen, wobei ein Regimewechsel typischerweise einige Zeit vorweggenommen wird.
«Unsere Analyse früherer Zyklen stützt die Annahme, dass Biotech-Aktien in Zeiten fallender Zinsen zu einer Outperformance gegenüber dem Gesamtmarkt neigen», halten dazu Analysten von Morgan Stanley fest. «Wir glauben, dass dies auf die Sensibilität der Bewertungen gegenüber den Diskontsätzen und auf die Erwartung vermehrter Übernahmeaktivitäten bei sinkenden Zinsen zurückzuführen ist.»
Die historische Datenlage spricht für sich. Auf Basis der relativen Performance schneiden Unternehmen aus dem Segment Pharma, Biotech und Life Sciences seit Ende der Neunzigerjahre sechs Monate nach der ersten Zinssenkung im Durchschnitt gut 10 Prozentpunkte besser ab als der Gesamtmarkt. Zwölf Monate später sind es über 15 Prozentpunkte. Diese Performance wird nur von Aktien aus dem Halbleitersektor übertroffen, die meist besonders weit vorausschauen und wohl den nächsten Aufschwung als Folge der lockereren Geldpolitik vorwegnehmen.
Strategien für Investments
Wenn man sich in Aktien aus dem Gesundheitsbranche engagiert, dürfte man es deshalb kaum bereuen. Wie jede Anlage an der Börse unterliegen aber auch Pharma- und Biotech-Aktien kurzfristigen Schwankungen. Gerade mit Blick auf die US-Wahlen ist gut denkbar, dass es in den kommenden Monaten immer mal wieder zu erhöhter Volatilität kommt.
In der Regel gilt dies speziell in der heissen Phase des Wahlkampfs zwischen August bis November. Nach dem Wahlentscheid setzt dann dank mehr Klarheit zum politischen Umfeld meist eine Rally ein.
Temporäre Kursschwächen eröffnen somit Chancen. Das Thema US-Medikamentenpreise dürfte zwar am bevorstehenden Parteikonvent der Demokraten zur Sprache kommen. Rigorose regulatorische Eingriffe sind aber auch bei einem Wahlsieg von Kamala Harris nicht zu erwarten. Unter einer Trump-Präsidentschaft ist das weniger eine Frage. Hinsichtlich Akquisitionen haben sich Grosskonzerne wie Pfizer und Amgen zudem letztes Jahr trotz der strengeren Wettbewerbsbehörde unter Präsident Biden durchgesetzt.
Dass der Sektor an der Börse an Aufmerksamkeit gewinnt, lässt sich an der Kursentwicklung ablesen. Aktien von Gesundheitskonzernen im S&P 500 stehen über die letzten drei Monate knapp 5% im Plus. Besser schneiden nur Unternehmen aus den Sektoren Immobilien und Versorger ab. Den Gesamtmarkt schlagen auch Hersteller von Basiskonsumgütern – alle vier Sektoren gelten als defensiv.
Der gleiche Trend spielt sich international ab. Defensive Pharmawerte mit robustem Cashflow und gesunden Bilanzen wie Roche, Novartis, AstraZeneca gewinnen seit Ende April im Kontext zunehmend enttäuschender Konjunkturdaten an Dynamik.
Vergleichbar ist das Muster bei grösseren Biotech-Werten. Vertex, Gilead, Regeneron und Amgen haben sich zuletzt erfreulich entwickelt. Alle vier Aktien schlagen den S&P 500 in den letzten drei Monaten.
Für Investments spricht überdies, dass die Bewertungen oftmals attraktiv sind. Auf Basis der Analystenschätzungen für die nächsten zwölf Monate variiert das Kurs-Gewinn-Verhältnis von Branchenleadern wie Pfizer, Gilead, Roche, Novartis, Amgen und AstraZeneca zwischen 11 und 18. Zum Vergleich: Der S&P 500 ist zum KGV von 21 bewertet. Namen wie Vertex und Regeneron sind etwas teurer, worin sich mehr Wachstumsfantasie spiegelt. Lilly und Novo sind wie erwähnt ein Fall für sich.
Wer das Depot zudem mit kleineren Biotech-Werten anreichern möchte und mit der höheren Volatilität umgehen kann, tut dies aus Überlegungen der Risikodiversifikation vorzugsweise über einen breit ausgerichteten Exchange Traded Funds wie den SPDR S&P Biotech ETF (Kürzel: XBI) oder den iShares Biotechnology ETF (IBB), von dem eine Ucits-Version für europäische Investoren aufgelegt ist. Auch kotierte Fonds mit aktivem Management wie HBM Healthcare oder BB Biotech sind eine Überlegung wert.