Das venezolanische Regime ist auch mathematisch entlarvt: Die Ergebnisse sind kaum durch die Auszählung der Stimmen, sondern mit dem Taschenrechner zustande gekommen. Das schreibt der kolumbianische Schriftsteller Héctor Abad in seinem Beitrag.
Um sich auf die Kunst der Errichtung einer totalitären Demokratie zu verstehen, braucht man Talent, mathematische Intelligenz (wir werden sehen, warum) und einen absoluten Mangel an Skrupeln. Statt zu erklären, was dieser in sich widersprüchliche Begriff «totalitäre Demokratie» bedeutet, werde ich auf einige Länder verweisen, die seiner Definition entsprechen. Seltsamerweise sind es genau jene Länder, die sich beeilt haben, Nicolás Maduro als Präsidenten Venezuelas anzuerkennen, sobald die sogenannten Wahlergebnisse bekanntwurden: Russland, Iran, China, Nicaragua und Kuba. Diese fünf Länder wissen, wie man eine totalitäre Demokratie errichtet.
Zunächst einmal muss es eine einzige Partei geben, für die man stimmen darf. Dies ist manchmal explizit, wie in China, Kuba oder Iran, und manchmal wird es verschleiert wie in Russland oder Nicaragua. In der verkleideten totalitären Demokratie muss jeder politische Gegner, der populär und also gefährlich wird, verbannt, verhaftet, ausgeschlossen oder getötet werden. Putin im Grossen und Ortega im Kleinen sind Meister darin: Ersterer setzt Gift, den Fenstersturz oder unbefristete Haft ein; Letzterer ist gnädiger und zieht es vor, Gegner zu verbannen und ihnen die Staatsbürgerschaft zu entziehen.
Venezuela ist hingegen eine sehr mittelmässige totalitäre Demokratie. Ich kann mir die totalitären Führer vorstellen, die mit Maduro telefoniert haben: «Mensch, Nicolás, ich gratuliere dir, aber das nächste Mal, wenn du betrügst, musst du es richtig machen.» Und Maduro: «Die Wahlbehörde zählt immer noch zusammen, um das zweite Bulletin herauszugeben. Sie addieren schon seit vier Tagen. Geben Sie mir ein wenig Zeit.»
Verräterische Genauigkeit
Wenn die Chavistas nicht so viel Zeit mit dem Entwurf der Kostüme verschwenden würden, die sie tragen, um ihren betrügerischen Sieg zu feiern, dann würden sie wenigstens die Zahlen richtig berechnen. Denn gerade die Zahlen, die sie vorlegen, entlarven sie als Betrüger.
Um 12 Uhr 07 in der vorletzten Sonntagnacht (es war bereits Montag) nahm Elvis Amoroso ein Stück Papier heraus und verlas die Wahlergebnisse nach Auszählung von 80 Prozent der Wahllokale. Ich kann mir vorstellen, wie der Befehl an Amoroso lautete: «Was auch immer passiert, um Mitternacht gehen Sie raus und verlesen die Ergebnisse mit Maduros absolutem Triumph.»
Amoroso muss sich eingeschlossen haben, um gründlich nachzudenken, und kam auf diese Lösung: Sagen wir, dass wir bereits 10 Millionen Stimmen gezählt haben. Aber sagen wir nicht 10, weil niemand an eine solche Zahl glaubt, sagen wir etwas mehr: 10 058 774. Sagen wir auch, und hier holte er seinen Taschenrechner hervor, dass Maduro 51,2 Prozent der Stimmen erhalten hat. Er berechnete 51,2 Prozent von der ersten erfundenen Zahl und kam auf 5 150 092,28.
Da die Zahl der Wähler keine Nachkommastellen haben kann, rundete er sie auf 5 150 092 ab. Jetzt geben wir diesem Edmundo 21,1 Prozent, nein, übertreiben wir nicht, besser 44,2 Prozent der Stimmen. Er nimmt den Taschenrechner und multipliziert erneut: Das ergibt 4 445 978.10. Wieder lässt er die Stellen nach dem Komma weg und rundet. Sehr gut. Welcher Prozentsatz fehlt uns noch, um auf 100 zu kommen? Genau 4,6 Prozent (keine ungültigen Stimmen, keine leeren Wahlzettel oder Ähnliches). Nochmals multiplizieren: 462 703,60, und aufrunden: 462 704 Stimmen für die anderen Kandidaten, alle zusammen. Das Huhn ist fertig, ich kann auf Sendung gehen.
Camilo Arias, Doktor der Mathematik an den Universitäten von Utrecht und Zürich, sagte mir: «Offensichtlich haben sie die Prozentsätze gewählt und dann die Anzahl der Stimmen berechnet. Nach der vom Centro Nacional Electoral gemeldeten Stimmenzahl erhielt Maduro 51,199999971 Prozent der Stimmen und González 44,1999989 Prozent. Es ist unmöglich, dass der prozentuale Anteil beider Kandidaten hinter dem Komma viermal die Ziffer 9 in Folge hat. Die Wahrscheinlichkeit liegt bei weniger als eins zu einer Million.»
Mit den Techniken der Rundung von Prozentsätzen (nach oben oder unten) gibt es etwa tausend verschiedene Stimmenzahlen, die ebenfalls 51,2 oder 44,2 Prozent ergeben würden. Aber die von Herrn Amoroso abgelesenen Stimmen kommen diesem exakten Prozentsatz so nahe wie möglich. Es ist lächerlich und praktisch unmöglich, dass ein solches Wunder der Genauigkeit geschehen sein könnte. Die venezolanische Fälschung könnte nicht plumper sein und entlarvt sich selbst. Man braucht nur ein wenig Mathematik zu verstehen.
Am Ende seiner Rede sagte Amoroso: «In den nächsten Stunden werden die Ergebnisse auf der Website des Nationalen Wahlrats tabellarisch verfügbar sein, wie es in der Vergangenheit dank dem automatischen Wahlsystem der Fall war.» In den folgenden Stunden am Montag wurden keine Ergebnisse veröffentlicht. Auch nicht in den 24 Stunden von Dienstag oder an den folgenden Tagen.
Nachträgliche Korrektur
Am Freitag gab die Wahlbehörde schliesslich ein zweites Bulletin heraus, diesmal auf der Grundlage von fast 100 Prozent der Stimmen. Sie haben die Ergebnisse noch nicht Tabelle für Tabelle bekanntgegeben. Das venezolanische Regime scheint dazu nicht in der Lage zu sein. Deshalb geben sie auch die Gesamtzahlen an, die wohl abermals erfunden wurden.
Allerdings haben sie vermutlich in den fünf Tagen seit Sonntagnacht den Rat eines russischen Beraters mit mathematischen Kenntnissen eingeholt. Die am Freitag veröffentlichte Anzahl der Stimmen stimmt nicht mehr perfekt mit dem Prozentsatz überein, wie es im ersten Bulletin der Fall war.
Sie können nicht leugnen, dass das erste Bulletin mit 80 Prozent der abgegebenen Stimmen eindeutig betrügerisch war. Sie können aber auch nicht behaupten, dass durch die Hinzufügung der restlichen 20 Prozent das Endergebnis plötzlich zuverlässig geworden ist. Es ist möglich, dass Maduro in den nächsten Jahren an der Macht bleibt. Er bliebe es jedenfalls nicht auf mathematisch oder demokratisch legitime Weise. Auf jeden Fall, ja.
Héctor Abad, 1958 in Medellín geboren, gehört zu den bedeutendsten Schriftstellern Kolumbiens. – Übersetzt aus dem Spanischen.