Das begehrte Metall lockt kriminelle Banden an. Einem Händler fehlen deshalb plötzlich tonnenweise Kabel.
Zehn Minuten reichen den Dieben. Es ist der 12. Oktober 2023, kurz vor Mitternacht, und Adrian Matei (Namen geändert) steht zusammen mit mehreren Komplizen auf dem Hof der Recyclingfirma Kamu AG. Das Firmengelände ist etwas ausserhalb von Zwillikon gelegen, einem ruhigen Ort, der zur Zürcher Gemeinde Affoltern am Albis gehört.
Perfekt für Kriminelle wie Matei. Denn für seine Tätigkeit braucht der Rumäne keine Zeugen.
Matei ist eigentlich Coiffeur. Doch er ist nicht in der Schweiz, um Haare zu schneiden. Der 41-jährige Rumäne gehört zu einer Bande, die es bloss auf eines abgesehen hat: Kupfer. Zehn Minuten brauchen die Männer, um ihren Mercedes zu beladen. Dann verschwinden sie wieder in der Nacht.
Die Kriminellen sind wählerisch
Als Oliver Python am nächsten Morgen zu seiner Firma fährt, merkt er rasch, dass etwas nicht stimmt. Die Fassade auf der Rückseite des Firmengebäudes ist beschädigt, der Maschendrahtzaun um das Areal an zwei Stellen aufgeschnitten, das Türschloss aufgebrochen, die Rolltore stehen offen.
Und es fehlt etwas: Kupfer. Rund drei Tonnen Kabel mit dem begehrten Metall sind verschwunden. Der Wert des Materials beträgt rund 20 000 Franken. Und noch etwas stellt der Geschäftsführer der Recyclingfirma fest: Hier waren Profis am Werk. Die Täter haben nur das qualitativ höherwertige Kupfer mitgenommen.
Der Firma ist passiert, was in seiner Branche alle fürchten: Kriminelle Banden plündern Unternehmen und Baustellen, angelockt vom wertvollen Metall. In den letzten Monaten kam es regelmässig und quer durch die Schweiz zu solchen Vorfällen. In Granges-près-Marnand stahlen Diebe Anfang Juli mehrere riesige Rollen mit Kupferkabel von einer Baustelle der SBB. Im aargauischen Seon entwendeten Kriminelle Anfang Mai mehrere hundert Kilogramm Kupfer, und Ende April verschwanden rund zweihundert Meter Kupferkabel von einer Baustelle in Oberkulm.
Im Ausland hatten die Diebestouren teilweise drastische Konsequenzen. In Barcelona legten Kriminelle das S-Bahn-Netz der katalanischen Metropole ausgerechnet am Tag der Regionalwahlen praktisch lahm. Am frühen Morgen des 12. Mai kam es wegen eines Kupferdiebstahls zu Kabelbränden und zu einer Überlastung von Teilen des Stromnetzes. Daraufhin ging zeitweise nichts mehr. Auch in der deutschen Hauptstadt Berlin sind in letzter Zeit immer wieder U-Bahnen ausgefallen, weil Leitungen gestohlen wurden.
Die Kupferdiebe gehen nach der Konjunktur: Sobald die Preise auf den Märkten steigen, schlagen die Banden zu. Und für Kupfer sind die Prognosen gerade gut. Neben Silber ist es der beste elektrische Leiter und deshalb zentral für die Energiewende.
Die Beratungsfirma S&P Global schätzt, dass sich der Bedarf an Kupfer von 2023 bis 2035 auf 50 Millionen Tonnen pro Jahr verdoppeln wird – wenn das Netto-Null-Ziel bis 2050 erreicht werden soll. Denn vom Autofahren bis zum Heizen soll alles elektrifiziert werden. Die Welt giert nach dem Metall, doch das Angebot ist knapp, und damit steigen die Preise.
Diebe fühlen sich ungestört
Oliver Pythons Firma kauft von Privaten und Betrieben Altmetalle, ausrangierte Kabel, Elektroschrott sowie Komponenten wie Transformatoren, Schaltsysteme oder öffentliche Beleuchtungen. Die Materialien werden dann auf dem Firmengelände zerlegt, bearbeitet und weiterverkauft.
Früher befand sich auf dem Gelände in Zwillikon eine Abfallverbrennungsanlage. Das Ende der Anlage kam 1985, nachdem der Kanton die Subventionen für die kleine Anlage gestrichen hatte. Danach stand das Gebäude lange leer. Bis es schliesslich zurückgebaut und 2008 an die Kamu AG verkauft wurde. Diese liess drei Jahre später einen Neubau auf dem Gelände erstellen. Python hat den Standort in der Lokalzeitung «Anzeiger aus dem Bezirk Affoltern» einmal als Glücksfall bezeichnet. Denn an dem Ort störe man niemanden.
Womit Python nicht gerechnet hat: Auch Diebe bleiben ungestört.
Nach dem Diebstahl sitzen die Kriminellen auf drei Tonnen Kupfer. Adrian Matei weiss genau, was zu tun ist. Es ist nicht sein erster Einbruch, wie die Ermittlungen später zeigen werden. Schon zehn Monate zuvor ist er mit mehreren Komplizen auf Diebestour. Mitte Dezember 2022 verschaffen sie sich Zugang zum Gelände einer Firma, die sich auf Verkehrs- und Tunneltechnik spezialisiert hat.
Die Männer schneiden das Gitter zur Liegenschaft auf und verladen im Freien gelagerte Rollen mit Kupferkabel im Wert von fast 60 000 Franken in ein Fahrzeug. Die Täter entkommen unerkannt – und verhökern das Diebesgut.
Die Banden gehen dabei fast immer gleich vor: Sie stehlen bei einem Händler und bieten die Beute dann einem anderen zum Verkauf an.
Auch im Fall der Kamu AG. Am Morgen nach dem Einbruch in dem Recyclingunternehmen in Zwillikon fahren sie mit einem Seat Alhambra bei einem Recyclingbetrieb im aargauischen Buchs vor. Das Auto ist vollgepackt mit blanken Kupferkabeln. Die Waage zeigt: 1,4 Tonnen Kupfer haben die Männer in ihrem Auto geladen.
Adrian Matei will das Material verkaufen, doch das Personal des Recyclingbetriebs wird misstrauisch. Mitarbeiter rufen die Polizei, statt auf das dubiose Geschäft einzugehen. Matei und ein 36-jähriger Komplize werden festgenommen. Die Rumänen machen unglaubwürdige Aussagen zur Herkunft des Kupfers, und bald wird klar: Die Kabel stammen von Oliver Pythons Firma in Zwillikon.
Doch noch fehlt rund die Hälfte der gestohlenen Ware. Die Aargauer Kantonspolizei startet einen Aufruf. «Wo wurde entwendetes Kupfer angeboten?», fragt sie in einem Zeugenaufruf, der am Tag der Festnahme publiziert wird.
Bald werden die Ermittler fündig. Denn tatsächlich fährt ein anderes Mitglied der Bande bei einem weiteren Recyclinghof vor und versucht, das Kupfer zu verscherbeln. Zunächst schöpfen die Mitarbeiter keinen Verdacht. Sie zahlen dem Rumänen den vereinbarten Preis für das Metall. Erst danach wird einer der Mitarbeiter misstrauisch.
Doch da ist das Geld schon weg. Bloss die Kupferkabel sind noch da.
«Ich werde stutzig, wenn es keine plausible Erklärung gibt»
Die Schäden, welche die betroffenen Firmen durch den Metalldiebstahl erleiden, sind enorm. Die Recyclingfirmen haben deshalb ihre Sicherheitsmassnahmen erhöht.
Die Händler kämpfen gegen die Kriminellen, indem sie den Austausch untereinander verbessern. Der Verband der Schweizer Recycler hat auf seiner Website eigens ein Formular aufgeschaltet, mit dem betroffene Firmen Diebstähle melden können. So werden die Mitglieder regelmässig über Vorfälle informiert. In den Warnmeldungen ist etwa festgehalten, an wen man sich wenden kann, sollte das mutmasslich gestohlene Material bei der eigenen Firma auftauchen.
Oliver Python sagt, es seien auch schon verdächtige Händler bei ihm vorbeigekommen. Gebe es keine plausible Erklärung, werde er stutzig. «Wenn eine Privatperson plötzlich mit zwei Tonnen Kupferkabel oder 2000 Wasserhähnen vorbeikommt, dann läuten bei mir die Alarmglocken.»
«Ich habe einen Blödsinn gemacht»
Nach seiner Verhaftung sitzt Adrian Matei fast zehn Monate in Untersuchungshaft und im vorzeitigen Strafvollzug. Seine Verwicklung in die kriminellen Geschäfte gesteht er bald ein. Die Staatsanwaltschaft erhebt deshalb Anklage im abgekürzten Verfahren gegen ihn – wegen Diebstahls, Hausfriedensbruchs und Sachbeschädigung.
Auch die beiden Komplizen von Matei, welche die Ermittler verhaften können, sind geständig. Sie werden im Juli dieses Jahres verurteilt. Einem der beiden Rumänen kann die Staatsanwaltschaft die Beteiligung an einem weiteren Kupferdiebstahl im November 2022 in Regensdorf nachweisen.
Anfang August steht auch Matei vor dem Bezirksgericht in Dietikon. Er wird von zwei Polizisten in Handschellen in den Gerichtssaal geführt. Der Rumäne sagt nur wenige Worte. Auf die Frage der Richterin, ob er noch immer geständig sei, antwortet er knapp: «Ja, gnädige Frau.» Und er fügt an: «Ich bin in die Schweiz gekommen und habe einen Blödsinn gemacht, zusammen mit den anderen.»
Nach seiner Entlassung aus dem Gefängnis will er zurück nach England. Er sagt: «Meine Familie ist dort, meine Kinder sind dort, ich gehe dort arbeiten. Ich habe 25 000 Euro Schulden, und die muss ich abarbeiten.»
Das Bezirksgericht stimmt dem Urteilsvorschlag der Zürcher Staatsanwaltschaft nach kurzer Beratung zu. Es verurteilt den 41-jährigen Rumänen zu einer bedingten Freiheitsstrafe von elf Monaten. Zudem spricht es einen Landesverweis von sechs Jahren aus.
Die Richterin sagt zu Matei: «Sie haben sich an zwei umfangreichen Kupferdiebstählen beteiligt. Das waren keine Bagatelldelikte.» Und sie warnt den Rumänen. Sollte er nochmals in die Schweiz kommen, um zu delinquieren, dann müsse er die noch verbleibende Strafe absitzen. Und er werde für sehr lange Zeit aus dem Land verwiesen.
Nach dem Diebstahl im vergangenen Herbst hat Oliver Python investiert. Neue Beleuchtung, besserer Schutzzaun, neue Alarmanlage und Steinblöcke, um die Zufahrt zu erschweren. Er sagt: «Wir haben ziemlich aufgerüstet, um Einbrüche zu verhindern. Aber eine absolute Sicherheit gibt es natürlich nicht.»
Der Geschäftsführer der Kamu AG hofft, dass es bei diesem einen Vorfall bleiben wird. Und dass er das sichergestellte Kupfer bald zurückerhalten wird.
Urteil GG 240 021 vom 6. 8. 24.