Schlafen unter freiem Himmel boomt, auch dank Social Media. Betroffene Gebiete reagieren mit Verboten, Aufklärung, Alternativen.
Instagram-Hotspots sind eine paradoxe Angelegenheit. Auf den Bildern sehen die Orte aus wie einsame Naturschönheiten, idyllisch und ursprünglich. In Realität sind sie dann aber oft überrannt, lärmig, verschmutzt.
Der Muttenchopf im Kanton Glarus ist seit dem vergangenen Sommer ein Hype für Wildcamper. Auslöser waren Bilder auf Social Media. Sie zeigen die Bergspitze über dem langgezogenen Limmernsee, rechts und links die Felswände. Sie wurden oft geteilt oder vor Ort nachgestellt.
So schön für den Einzelnen, so problematisch ist das in der Masse. Sie zähle am Muttenchopf an manchen Tagen bis zu 30 Zelte, sagte die Hüttenwartin der nahe gelegenen Muttseehütte kürzlich zu SRF. Die Steinböcke ziehen sich zurück, Murmeltiere trauen sich nicht mehr aus ihren Löchern. Ein Wildhüter aus dem Kanton Glarus sagte bereits letztes Jahr: «Es nimmt ein Ausmass an, das wirklich prekär wird für Tierwelt und Flora.»
Viele suchen in den Bergen eine Auszeit vom Alltag, die unberührte Natur abseits der Menschenmassen. Das zieht die Massen an. Zurück bleiben Abfall, Fäkalien, Frust.
Glarus testet eine Alternative
Der Schweizer Alpen-Club (SAC) kennt das Problem. Im Nachgang der Corona-Pandemie hätten viele Leute erstmals in den Bergen übernachtet, sagt Lucie Wiget vom SAC. Seither sei es zwar ruhiger geworden, weil manche wieder im Ausland Ferien machten. Dafür sei der Hype um besonders schöne Plätze, die dank Social Media in Kürze berühmt würden, stark gewachsen. Wiget sagt: «Ein Zelt ist okay. Sind es plötzlich zehn, wird es schwierig, sind es hundert, wird es unmöglich.»
Etliche Regionen in der Schweiz haben auf das gestiegene Interesse reagiert. Mancherorts kontrollieren Ranger gemeinsam mit Polizei und Wildhut geschützte Gebiete, beispielsweise im Gebiet Glaubenberg im Kanton Obwalden, wo sich die Situation laut der Polizei verbessert hat. An anderen Orten wissen Wildcamper dank Informationstafeln, was erlaubt ist und was nicht. Oder sie dürfen schlichtweg nicht unter freiem Himmel ihr Zelt aufschlagen, etwa im Kanton Appenzell Innerrhoden oder in Gemeinden im Wallis.
Die Gemeinde Glarus Süd will das Wildcampen zukünftig ebenfalls regulieren. Auf dem Panixerpass, wo der Weitwanderweg Via Glaralpina durchführt und entsprechend viele Berggänger wild campen, steht seit kurzem ein sogenanntes Basecamp. Zwölf Zelte zur Miete, inklusive Toiletten und Halbpension. Die Idee des Pilotversuchs: Die Leute sollen im kontrollierten Rahmen unter freiem Himmel schlafen. Ob das diejenigen anspricht, die sich vom Wildcampen ein ungestörtes Naturerlebnis erhoffen, bleibt abzuwarten.
Am beliebten Muttenchopf gibt es vorerst keine neue Regelung. Die Gemeinde prüft aber gemeinsam mit der lokalen Tourismusorganisation schrittweise weitere Massnahmen. Im Gebiet Oberblegi, einem weiteren Wildcamp-Hotspot, fasst die private Eigentümerin hingegen ein Verbot ins Auge.
Gemeinderat Stefan Maduz spricht vom touristischen Dilemma in den Bergen: «Wir freuen uns, dass die Leute zu uns kommen, aber die Landschaft darf nicht zum Müllcontainer werden.» Das Basecamp am Panixerpass ist ein Versuch, die Nachfrage zu lenken, statt allein mit Verboten zu agieren. Und zu testen, ob die Wildcamper bereit sind, etwas für die Übernachtung im Freien zu bezahlen. Maduz sagt: «Das Ziel ist es, intakte Natur und Tourismus zusammenzubringen – und bestenfalls daraus Wertschöpfung zu generieren.»
Welche Regeln gelten in den Bergen?
Eine Schwierigkeit beim Wildcampen ist die rechtliche Lage. Grundsätzlich dürfe man in der Schweiz wild campen, sagt Lucie Wiget vom SAC. Aber nicht überall.
Die Regelung unterscheidet sich von Kanton zu Kanton, manchmal von Gemeinde zu Gemeinde. Zudem braucht, wer auf einer privaten Alpwiese übernachtet, die Einwilligung des Besitzers. Der Touring-Club Schweiz empfiehlt ebenso wie der SAC, sich im Vorfeld bei der Gemeinde, im Tourismusbüro oder auf dem lokalen Polizeiposten zu informieren.
Vielerorts gilt: Erlaubt ist das Übernachten oberhalb der Waldgrenze oder auf Privatgrundstücken mit Einwilligung des Besitzers. Ebenso ist das Not-Biwakieren ohne Zelt in der Regel legal. Verboten ist hingegen das Übernachten in Naturschutzgebieten, Hochmooren und Jagdbanngebieten.
Der SAC hat ein Merkblatt mit Empfehlungen erarbeitet. Die Natur respektieren, auf Feuer verzichten, Lärm vermeiden, Schutzgebiete prüfen. Aber auch: sich einen Ort suchen, der sicher ist vor anschwellenden Bächen, Murgängen, Blitzeinschlägen.
Der Rat des SAC lässt sich in einem Schlagwort zusammenfassen: keine Spuren hinterlassen. Damit ist nicht nur der Abfall gemeint, sondern ebenso digitale Spuren. Heisst: Auf Instagram-Beiträge verzichten. Oder Bilder posten, ohne den genauen Ort der Aufnahme zu verraten.
Der SAC, der derzeit gemeinsam mit der Organisation Schweizer Wanderwege eine Kampagne für den richtigen Umgang mit der Notdurft in den Bergen lanciert hat, appelliert an die Selbstverantwortung der Wildcamper. Und hofft, dass Verbote dadurch unnötig werden. Lucie Wiget sagt: «Ein Biwak unter dem Sternenhimmel in den Bergen ist ein einzigartiges Erlebnis, das man schätzen sollte.»