Das Starship von SpaceX explodierte bei einem Testflug im November 2023. Wissenschafter haben analysiert, was dabei in grosser Höhe passierte – und überraschende Beobachtungen gemacht.
Mit grosser Spannung wurde der zweite Testflug des Raketensystems Starship im vergangenen Jahr erwartet. Im April 2023 war ein erster Versuch unternommen worden, um die grösste Rakete aller Zeiten in den Weltraum zu schiessen. Doch sie explodierte kurz nach dem Start.
Sieben Monate später sollte für das amerikanische Raumfahrtunternehmen SpaceX des Tech-Milliardärs Elon Musk alles besser werden. Am 18. November 2023 startete das Starship im Weltraumbahnhof Boca Chica im Süden von Texas ein zweites Mal. Dieses Mal gelangte die Rakete in eine grössere Höhe und erreichte damit ein Etappenziel. Der Flug konnte aber erneut nicht erfolgreich beendet werden.
Nach knapp drei Minuten trennte sich das Starship wie vorgesehen von der ersten Raketenstufe welche kurz darauf in einer Höhe von 90 Kilometern explodierte. Das Starship setzte seinen Flug in den Weltraum zunächst fort. Doch wenig später brach der Kontakt zu ihm ab. In einer Höhe von 150 Kilometern kam es im Inneren der Rakete zu einer Verpuffung und mehreren Bränden, worauf der Bordcomputer die Sprengladungen zur Selbstzerstörung zündete.
Mehr als 2500 Navigationssysteme ausgewertet
Wie sich nun herausstellt, hat die Explosion des Starship nicht nur viel Feuer und Rauch verursacht, sondern auch einen Teil der Atmosphäre verändert. Zu diesem Schluss kommen russische Wissenschafter in einem im Fachblatt «Geophysical Research Letters» publizierten Bericht. Besonders davon betroffen war die Ionosphäre.
In der Ionosphäre ist die Luft dünn. Sie befindet sich in einer Höhe von 60 bis 1000 Kilometern und enthält eine grosse Menge an elektrisch geladenen Teilchen. In ihr entstehen unter anderem auch die Polarlichter. Die Ionosphäre spielt zudem eine wichtige Rolle im Funkverkehr. So werden an ihr beispielsweise Radiowellen reflektiert und um die Erde geleitet.
Die Wissenschafter wollten in ihrer Studie herausfinden, wie eine enorme Explosion – wie diejenige des Starship – sich auf die Ionosphäre auswirkt. Sie werteten dafür Daten von satellitengestützten Navigationssystemen (GNSS) von mehr als 2500 Bodenstationen aus. Sie fanden heraus, dass die Starship-Explosion Stosswellen erzeugte, die sich schneller als der Schall bewegten. Und sie konnten feststellen, dass die Zahl der elektrischen Teilchen in der Ionosphäre abnahm. Die Störungen breiteten sich V-förmig nach Norden aus, bis in eine Entfernung von 2000 Kilometern. «Dies ist die erste Entdeckung einer nichtchemischen ionosphärischen Störung, die durch eine vom Menschen verursachte Explosion hervorgerufen wurde», heisst es in dem Bericht.
Durch die Explosion sei die Ionosphäre über eine Strecke von tausend Kilometern, von der mexikanischen Halbinsel Yucatán bis in den Südosten der Vereinigten Staaten, für fast eine Stunde lang zu einer neutralen Luftschicht geworden. Solche ionosphärische Störungen können beispielsweise Probleme bei GPS-Systemen verursachen, weil die Satellitennavigation beeinträchtigt wird.
Die Wissenschafter schreiben deshalb von einem «Loch». Dieser Umstand sei nichts Neues, auch die Abgase von Raketen können vorübergehend Löcher erzeugen, wie Juri Jasjukewitsch, der Erstautor der Studie, der Wissenschaftszeitschrift «Nature» sagte. «Aber durch die Stosswellen der Explosion war der Effekt im Fall des Starship besonders gross.»
Auswirkungen auf die Satellitennavigation?
Wie es in der Studie weiter heisst, reagiert die Ionosphäre auf verschiedenste Einflüsse. So könne sie sich bei Sonneneruptionen, bei grossen Meteoriten und bei Ereignissen auf der Erdoberfläche wie einem Erdbeben oder Vulkanausbrüchen verändern. Die Auswirkungen der Starship-Explosion auf die Ionosphäre seien vergleichbar mit jenen von grossen Erdbeben oder dem Ausbruch des Unterseevulkans Hunga Tonga-Hunga Ha’apai in der Nähe des Südseekönigreichs Tonga im Jahr 2022.
Der Erstautor Jasjukewitsch zeigte sich überrascht darüber, wie viele Veränderungen er und sein Team in der Studie beobachten konnten. «Das bedeutet, dass wir die Prozesse, die in der Atmosphäre stattfinden, nicht verstehen», sagte er. Solche Ereignisse könnten künftig Auswirkungen auf die Satellitennavigation haben, etwa für autonome Fahrzeuge, heisst es in dem Bericht.
Der vierte Testflug gelingt
Weniger Probleme als die Explosion lösten die Trümmer der Rakete aus. Sie fielen nordöstlich von Puerto Rico ins Meer. Gefährlicher war es beim ersten Testflug im April 2023 geworden. Damals regnete es laut Berichten Staub und Trümmer auf Port Isabel in Texas – eine Stadt etwa zehn Kilometer von der Startrampe entfernt. Auch die Strände von Boca Chica, wo gefährdete Tiere wie Vögel und Meeresschildkröten ihre Eier legen, waren betroffen. Der Vorfall löste eine bundesstaatliche Untersuchung aus, und SpaceX wurde von Umweltorganisationen angeklagt.
Das Raumfahrtunternehmen führte in der Folge weitere unbemannte Starts des Starship durch. Beim vierten Test in diesem Juni flog die Rakete eine halbe Stunde im All, ehe eine kontrollierte Landung gelang. Raumschiff und Rakete sollen künftig wiederverwendet werden können. Mit dem Starship-System will Elon Musk dereinst bemannte Missionen zu Mond und Mars ermöglichen.