Selbst die Demokraten sind für ihre Unterstützung nicht dankbar. Über eine amerikanische Heldin, die niemand liebt.
Liz Cheney, die 58-jährige konservative Politikerin aus dem ländlichen Wyoming, verfolgt eine Mission: Sie will eine zweite Präsidentschaft Donald Trumps verhindern, koste es, was es wolle, wie sie vor kurzem gegenüber CNN erklärte. Nun weiss man, was das heisst. Mit einer dramatischen Geste unterstützt die konservative Republikanerin Vizepräsidentin Kamala Harris, eine Politikerin, die Cheney vor vier Jahren in einem Interview auf Fox News noch als unwählbare «radikale Linke» bezeichnete.
An einem Podiumsgespräch an der Duke-Universität in North Carolina erklärte Cheney: «Als eine Konservative, die tief an die Verfassung glaubt, habe ich über die Gefahr, die Trump darstellt, gründlich nachgedacht.» Und sie sei zum Schluss gekommen, im November zum ersten Mal in ihrem Leben für die demokratische Kandidatur zu stimmen.
Die «Never-Trumper» formieren sich
Damit geht sie weiter als andere Anti-Trump-Republikaner. Die meisten erklären, dass sie entweder den Stimmzettel leer abgeben oder einen alternativen Kandidaten einsetzen werden, wie etwa Trumps Vizepräsidenten Mike Pence, den früheren Sicherheitsberater John Bolton oder Pat Toomey, einen ehemaligen Senator aus Pennsylvania.
Innerhalb der Republikanischen Partei stellen die «Never-Trumper» eine Minderheit dar. Umfragen gehen aber doch von rund 9 Prozent einstigen Trump-Wählern aus, die offen sind, dieses Jahr das Lager zu wechseln. Unter dem Namen «Republicans für Harris» rühren Hunderte von abtrünnigen Republikanern in umkämpften Teilstaaten die Werbetrommel für die Demokratin.
Ende August unterschrieben 200 ehemalige Mitarbeiter von Präsident George W. Bush sowie den Senatoren Mitt Romney und John McCain einen Brief zur Unterstützung von Kamala Harris. Darin warnten sie vor Trumps chaotischem Führungsstil und seinem Ziel, die demokratischen Institutionen zu schwächen.
Der letzte Akt im Kampf gegen Trump
Für Liz Cheney ist es nur der letzte, logische Akt in ihrem aussichtslosen Versuch, die trumpistische Umwälzung der Republikanischen Partei zu stoppen. «Die Republikanische Partei ist an einem Kreuzweg, und die Republikaner müssen sich entscheiden, ob sie der Wahrheit und der Verfassung treu bleiben», schrieb sie in einem vielbeachteten Meinungsartikel in der «Washington Post» im Mai 2021.
Cheneys Karriere ist zweigeteilt, und die Trennlinie liegt punktgenau auf einem Datum: dem 6. Januar 2021, als Trump-Anhänger das Capitol stürmten. Vorher war Cheney eine einflussreiche Abgeordnete in Washington, die Nummer drei in der republikanischen Hierarchie des Repräsentantenhauses. Als Tochter des ehemaligen Vizepräsidenten Dick Cheney gehörte sie einem mächtigen Clan der Grand Old Party an.
Im Kongress politisierte sie ab 2017 auf einer strikt konservativen Linie. Sie ist eine scharfe Abtreibungsgegnerin. Sie geniesst die höchsten Ratings der Waffenlobby und pflegt beste Beziehungen zur Energie- und Waffenindustrie. Im Kongress stimmte sie in 93 Prozent der Fälle im Sinne von Präsident Trump und lehnte 2019 das erste Impeachment gegen ihn entschieden ab.
Der 6. Januar als Zäsur
Dann kam der 6. Januar 2021 – und nichts war für Cheney wie zuvor. Wie die anderen Abgeordneten versteckte sich Cheney im Untergrund des Kongressgebäudes, während ein Mob den Kongress stürmte. Auch viele Republikaner kritisierten unmittelbar danach das Verhalten Trumps und insbesondere sein Nichtstun, während die Lage eskalierte.
Doch weil viele Wähler in den republikanischen Bezirken Trump die Treue hielten, stellten sich die allermeisten republikanischen Politiker bald wieder in Reih und Glied. Cheney hingegen fehlte offensichtlich der politische Opportunismus, um den Rückwärtssalto ins Trump-Lager zu vollziehen. Sie stimmte zusammen mit bloss neun anderen Republikanern für das Impeachment des abgewählten Präsidenten.
Ab Juni 2021 präsidierte sie die Untersuchungskommission zum Capitol-Sturm. In ihrer Eröffnungsrede redete sie ihrer Partei ins Gewissen. «Ich sage meinen republikanischen Kollegen, die das Unhaltbare verteidigen: Es kommt der Tag, an dem Donald Trump nicht mehr hier ist, aber eure Unehre bleibt.»
Eine Verräterin oder eine Heldin?
In den Augen vieler Republikaner ist Liz Cheney eine Verräterin. In den sozialen Netzwerken schwappte bereits während der parlamentarischen Untersuchungen eine Welle des Hasses über Cheney. Das dauert bis heute an, und Trump heizt kräftig mit. Auf Truth Social suggeriert er, dass Cheney vor ein Militärtribunal gestellt werden müsse, wie es für Kriegsverbrecher und Terroristen zum Einsatz kommt. «Elizabeth Lynne Cheney ist des Verrats schuldig», lautet sein Verdikt. Cheney antwortete umgehend auf Twitter: «Donald – Derartiges zeigt, dass du kein stabiler Erwachsener bist – und nicht ins Präsidentschaftsamt gehörst.»
Während Cheney von den Republikanern angefeindet wird, danken ihr die Demokraten ihre Prinzipientreue und ihren Mut auch nicht. Dass sie Kamala Harris ihre Stimme verspricht, kommentiert die Kampagnenführung dünnlippig. Im Gegensatz zu andern republikanischen Trump-Kritikern nahm Cheney auch nicht am Parteitag der Demokraten in Chicago teil. Stattdessen besuchte sie ein Taylor-Swift-Konzert mit ihrer Tochter.
Die politische Karriere von Liz Cheney ist zweifellos zu Ende. In ihrem Heimatstaat Wyoming ist sie zur Persona non grata geworden; längst wurde sie abgewählt. In ihrem Kampf gegen Donald Trump verbrannte die einst prominente Republikanerin ihr ganzes politisches Kapital. Er dominiert nun die Republikanische Partei vollständig; sie unterrichtet praktische Politik an der University of Virginia.
Steckt Trump im November eine Wahlniederlage ein, wäre ihr die Vergeltung gelungen. So oder so bezahlt Liz Cheney für ihre heldenhafte Prinzipientreue einen hohen Preis.