Der 37-jährige Deutsche absolviert monatelang jeden Tag einen Langdistanz-Triathlon. Anstatt die Beine hochzulegen, wird er weiter Sport treiben – aber nur noch 40 statt 90 Stunden pro Woche.
Jonas Deichmann, soeben sind Sie an 120 Tagen nacheinander 3,8 Kilometer geschwommen, 180 Kilometer Velo gefahren und haben einen Marathon absolviert. Wie sind Sie am ersten Morgen nach den 120 Ironman-Triathlons aufgestanden?
Ich hatte schon um 7 Uhr das erste Radiointerview, war aber vor dem Wecker wach, weil mein Schlafrhythmus noch an die 120 Ironmen angepasst war. Nach dem Interview bin ich zum Arzt zur Leistungsdiagnostik gegangen, dann 2 Kilometer geschwommen und 5 Kilometer gerannt. Ausserdem war ich beim Zahnarzt. Muskelkater habe ich keinen, nur eine Grundmüdigkeit im Körper.
Sie gönnen sich keine Pause?
Ich habe während vier Monaten 90 Stunden Sport pro Woche getrieben. Meine Organe sind wegen der ständigen Belastung vergrössert, ich muss das in nächster Zeit abtrainieren. Dazu werde ich aber den Umfang auf 40 Stunden wöchentlich reduzieren – doch das ist immer noch mehr, als ein Profisportler trainiert. Ich werde nun jeden Morgen entscheiden, worauf ich Lust habe. Ich freue mich auf Touren mit dem Gravel-Bike oder Trail-Läufe in den Bergen. Ausserdem werde ich Yoga machen. Körperlich geht es mir gut, das hat mein Sportarzt herausgefunden. Meine Blutwerte befinden sich allesamt im Normalbereich.
Sie haben die 120 Ironmen auf der immergleichen Strecke der Challenge Roth in Mittelfranken absolviert. Wie sind Sie mit der Monotonie umgegangen?
Zum Glück begleiteten mich von Anfang an andere Sportlerinnen oder Sportler, manche rannten ein paar Kilometer mit mir, andere absolvierten den ganzen Triathlon. Das hat für Unterhaltung gesorgt. Die grösste Herausforderung war die Radstrecke, weil ich dort alleine vorausgefahren bin. Da half nur knallharte Disziplin. Doch die Monotonie brachte auch Routine. Und ohne die hätte ich dieses Projekt nicht geschafft.
Wie hat Ihnen die Routine geholfen?
Ich habe die Regel aufgestellt, dass ich keinen Tag Pause machen darf zwischen den Triathlons. Fehler lagen also weder bei mir noch dem Betreuerteam drin. Fehler passieren aber, wenn man die Routine durchbricht. Ich brauchte daher einen geregelten Tagesablauf, aufstehen zur gleichen Zeit, essen, schwimmen, Rad fahren, Mittagspause, Nickerchen, Rad fahren, laufen, essen, Massage und Schlaf. Ich habe in den letzten Monaten knapp genügend Schlaf bekommen, zwischen sechs und sieben Stunden pro Nacht. Wäre ich wegen Fehlern zu spät ins Ziel gekommen, hätte ich weniger geschlafen, mich schlechter erholt und wäre in eine Abwärtsspirale gekommen.
120 Ironmen nacheinander – wie haben Sie verhindert, dass die Grösse dieser Herausforderung Sie überwältigt?
Ich habe das Projekt in Einzelschritte unterteilt, also zunächst Tag für Tag, Ironman für Ironman genommen. Ich habe nie hinterfragt, ob ich aufstehen und in den See steigen soll, wenn der Wecker um 5 Uhr 40 geklingelt hat. Es war mein Alltag. Und ich habe jeden Tag noch einmal aufgeteilt, vier Runden schwimmen, zwei Runden Rad fahren und dann ein Läufchen.
Sie nennen einen 42,195 Kilometer langen Marathon ein Läufchen?
Mental war es für mich einfacher, ein Läufchen zu absolvieren, Marathon klingt viel brutaler. Viele Extremsportler wollen zeigen, was für harte Kerle sie sind, und zelebrieren ihr Leiden. Ich denke anders, ich will zeigen, dass ich die 120 Ironmen auch leicht und locker absolvieren kann.
Jetzt untertreiben Sie.
Ich hatte Momente, in denen ich gelitten habe. In den ersten Tagen rebellierte mein Körper gegen die Belastung, ich hatte Rückenschmerzen, danach tat die Achillessehne weh. Gleichzeitig wusste ich, dass ich noch wochenlang weitermachen würde, das war mental schwierig zu verkraften. Noch härter war eine Erkältung, die ich mir nach stundenlangem Velofahren im Dauerregen eingefangen hatte. Ich mass jeden Abend meine Temperatur, denn für mich und meinen Arzt war klar, dass ich aufhören würde, wenn ich Fieber bekommen würde. Dass ich das nicht selbst in der Hand hatte, machte es schwierig. Doch ich bin ein Optimist. Ich versuche, den Strapazen zu trotzen, indem ich mich locker gebe.
Was hat Sie an dieser Herausforderung gereizt?
Dass es möglich ist. Das wollte ich mir und einigen Kritikern beweisen. Die haben prophezeit, dass ich scheitern würde.
Sie wollten es also den Kritikern zeigen?
Nein, solche Stimmen interessieren mich nicht. Ich hätte die 120 Ironmen auch gemacht, wenn kein Mensch davon erfahren hätte. Ich hatte einfach Lust darauf.
Wie oft haben Sie sich gefragt, was Sie da machen?
Nie. Ich habe mir im Vorfeld intensive Gedanken über Sinn und Unsinn dieses Projektes gemacht. Nach dem Entscheid, es zu versuchen, habe ich nicht mehr hinterfragt.
Sie sagten vor dem Projekt, dass Sie Ihre körperlichen Grenzen kennenlernen wollten. Haben Sie diese gefunden?
Ich habe Grenzen verschoben, den alten Weltrekord von 105 Langdistanzen nacheinander gebrochen. Ich war in körperlicher und mentaler Hinsicht noch nie so nahe an der Grenze des Möglichen. Das Projekt war zwar eine Grenzerfahrung. Doch an die grosse Grenze, wo ich hätte aufhören müssen, bin ich nicht gestossen.
Sie hätten also weitermachen können?
Körperlich: ja.
Hat es Sie nicht gereizt, herauszufinden, wie viele Ironmen nacheinander Sie schaffen?
Ich muss nicht wissen, ob ich 125 oder 130 oder 140 Triathlons geschafft hätte. Das Projekt war auf 120 Ironmen ausgerichtet, an Tag 121 hätte ich den mentalen Fokus nicht mehr aufgebracht. Das Projekt war inklusive Vorbereitung fast neun Monate lang mein Lebensinhalt – jetzt ist genug.
Welches Erlebnis hat sich bei Ihnen eingebrannt?
Wie sich während der vergangenen vier Monate eine Sport-Community in Roth gebildet hat. Bei Kilometer 30 des Marathons hat eine Familie in der ersten Woche Kekse und Wasser für mich hingestellt, danach kamen von Woche zu Woche mehr Leute. Bei meinem letzten Lauf gab es dort ein Strassenfest mit mehr als tausend Zuschauern. Am letzten Tag standen überall Menschen an der Strecke und haben mich angefeuert, das war ein tolles Gefühl, das ich nie vergessen werde. Ausserdem haben viele Sportlerinnen und Sportler Premieren erlebt. Eine Frau ist im Mai zum ersten Mal einen Marathon gelaufen mit mir, in der letzten Woche hat sie ihre erste Langdistanz absolviert.
Sie hatten in Roth ständig Gesellschaft, waren das Stadtgespräch. Nervte das mit der Zeit?
Genervt hat mich das nie, doch nun sehne ich mich nach Ruhe. Ich hatte während vier Monaten nur auf der Toilette, unter der Dusche und im Bett meine Privatsphäre. War ich unterwegs, habe ich mich manchmal wie ein Filmschauspieler gefühlt, ich wurde überall erkannt, jeder wollte mit mir plaudern und Selfies machen. Das ist ein schönes Gefühl, aber auch anstrengend. Ich werde mich nun ein paar Tage in die Berge zurückziehen.
Sie leben vom Extremsport, schreiben Bücher und halten Vorträge für Unternehmen. Wie gross ist der Druck, ständig neue und verrücktere Herausforderungen zu suchen, um interessant zu bleiben?
Ich bin in der glücklichen Lage, dass ich alle meine Projekte erfolgreich beendet habe. Zum Beispiel den Triathlon um die Erde im Jahr 2021. Zwischen mir und meinen Partnern gibt es deshalb viel Vertrauen. Ich habe weniger Druck als andere, wenn ich nicht sogleich ein neues Projekt in Angriff nehme. Ich will andere Menschen inspirieren, an ihre Grenzen zu gehen, und dabei eine gute Geschichte erzählen.
Wie geht diese Geschichte weiter?
Ich habe eine neue Herausforderung im Kopf. Schliesslich hatte ich in den letzten Wochen genügend Zeit, um mir zu überlegen, was ich als Nächstes machen will. Bei den 120 Ironmen ging es mir strikt um sportliche Leistung. Doch nun sehne ich mich nach Abenteuer – was das sein wird, verrate ich noch nicht.