Am Sonntag trifft die Schweiz in der Nations League auf das beste Team der letzten Jahre. Obwohl der spanische Fussball erfolgreich ist wie kein anderer, kommt es immer wieder zu Misstönen. Auch mancher Nationalspieler gibt keine gute Figur ab.
Einige Stunden waren seit Gewinn des EM-Titels gegen England vergangen, als Spaniens Captain Álvaro Morata mit einem Ghettoblaster durch die Katakomben des Berliner Finalstadions tänzelte. Aus den Boxen tönte in der Endlosschleife der Folklore-Hit «Viva España». Selbst einige Mitspieler schauten inzwischen leicht genervt drein, doch im nationalen Sound ging es weiter, und das bald weniger harmlos. Tags darauf bei der offiziellen Siegesfeier in Madrid grölten Morata und sein Vize Rodri Hernández vor breitem Strassenpublikum in die Mikrofone: «Gibraltar ist spanisch.»
Weil es sich bei der Enklave am Affenfelsen nach internationalem Recht allerdings um ein britisches Überseegebiet handelt, das eine eigene Auswahlmannschaft unterhält, sperrte der europäische Fussballverband Uefa die beiden Krakeeler für ein Länderspiel. Sie hätten «generelle Anstandsregeln» verletzt, ein «Sportereignis für nichtsportliche Äusserungen missbraucht» und «den Fussball und besonders die Uefa in Verruf gebracht». Beim Nations-League-Auftakt in Serbien (0:0) fehlten sie dem Titelverteidiger. Rodri wird am Sonntag in Genf gegen die Schweiz zurückkehren, Morata ist verletzt.
«Falscher Feminismus» als «Plage des Landes»
Spanien, Land des Fussballs: Keine Nation spielt so gut und triumphiert so viel – allein 2024 ausserdem noch bei Olympia der Männer und in der Nations League der Frauen. Doch kaum ein Land produziert dabei auch so viele politische und gesellschaftliche Misstöne. Unvergessen sind die Szenen nach dem Weltmeistertitel der Frauen 2023, als der damalige Verbandschef Luis Rubiales der Stürmerin Jenni Hermoso einen Mundkuss aufzwang. Nach einer abstrusen Selbstverteidigungsrede wurde er vom Weltverband Fifa des Amtes enthoben, wegen Nötigung und Einschüchterung Hermosos läuft ein Gerichtsverfahren gegen ihn, für Februar 2025 ist der Prozess terminiert.
In der Zwischenzeit bekam Spanien zusammen mit Portugal und Marokko die Ausrichtung der WM 2030 übertragen, und es wurde erst auf Regierungsintervention ein Boykott der Spielerinnen abgewendet – nur so konnte der Verband dazu bewegt werden, die wichtigsten Rubiales-Gefolgsleute zu entsorgen. Zu einem echten Kulturwandel oder einer Selbstreinigung ist es bis heute nicht gekommen.
Diese Woche erfuhr der noch von Rubiales designierte Nachfolger Pedro Rocha, dass er den Posten aufgeben muss. Sein Antrag auf einstweilige Verfügung gegen seine Amtsenthebung durch den spanischen Sportgerichtshof wurde abgelehnt. Rocha wird die Überschreitung von Befugnissen vorgeworfen, ausserdem ist er Mitbeschuldigter in einem Ermittlungsverfahren wegen Veruntreuungen in der Rubiales-Zeit.
Sonstige Topnachrichten der Länderspielwoche? Valencias Angreifer Rafa Mir, ein Silbermedaillengewinner mit Spanien bei Olympia 2021, wurde wegen Verdachts auf sexuellen Übergriff gegen zwei junge Frauen festgenommen, verhört und nur unter Auflagen wieder freigelassen – nicht der erste Fall seiner Art.
Und Real Madrids Sturmstar Vinícius Júnior äusserte sich bei «CNN» zum Kampf gegen Rassismus. Der Brasilianer, der in den Stadien des Landes wiederholt verunglimpft wurde, hofft, «dass Spanien sich entwickelt und begreift, wie schwerwiegend es ist, einen Menschen aufgrund seiner Hautfarbe zu beleidigen». Anderenfalls, so Vinícius, plädiere er dafür, die Endrunde 2030 «an einen anderen Ort zu verlegen».
In Sport wie Politik war das Aufheulen danach gross. Allen voran der Madrider Bürgermeister José Luis Martínez-Almeida forderte eine «sofortige Richtigstellung» von Vinícius. Den «Fauxpas», der spanischen Gesellschaft und insbesondere seiner Stadt rassistische Tendenzen zu unterstellen, «kann ich nicht akzeptieren», so der konservative Politiker – der seinerseits während der EM-Siegesfeier fröhlich die Gibraltar-Phantasien von Rodri und Morata mitgeträllert hatte und später dazu erklärte: «Die Spieler haben nichts gesagt, was der gewöhnliche Spanier nicht denken würde.»
Nun zeigen vergleichende Studien, dass sich die Alltagsxenophobie in Spanien eher am unteren Ende der europäischen Skala bewegt. Nach einem Bericht der EU-Grundrechte-Agentur von 2023 berichteten 24 Prozent der Schwarzen in Spanien von mindestens einer rassistischen Diskriminierung gegen sie im vergangenen Jahr – in Österreich und Deutschland taten dies 67 bzw. 65 Prozent. Sowieso als fortschrittlich gelten darf das Königreich beim Thema Emanzipation. In einer Untersuchung des Europäischen Instituts für Gleichstellungsfragen belegt Spanien da hinter Schweden, den Niederlanden und Dänemark den vierten Rang unter den 27 EU-Staaten.
Warum wird der Fussball dann immer wieder auffällig? Stinkt der Fisch besonders im Stadion? Auch bei Nationaltrainer Luis de la Fuente scheinen chauvinistische Denkmuster fortzuleben. Er applaudierte Rubiales offen für dessen Selbststilisierung zu einem Opfer «des falschen Feminismus, einer grossen Plage in diesem Land». An der EM wurde er nicht müde zu betonen, dass «Spanien das beste Land der Welt» sei, und Vinícius entgegnete er nun von oben herab: «Spanien ist ein Beispiel für das Miteinander, für Respekt und Integration, das sich viele andere Länder zum Vorbild nehmen sollten.»
Die spanische «La Liga» wiederum präsidiert mit Javier Tebas ein bekennender Wähler der rechtspopulistischen Vox-Partei – deren Chef Santiago Absacal ausdauernd über eine «brutale Migranteninvasion» klagt, Einwanderer als «Feinde Spaniens» bezeichnet oder «mehr Mauern und weniger Mauren» verlangt. Lamine Yamal und Nico Williams, Flüchtlingskinder und Leistungsträger beim sommerlichen EM-Titel, hätte es nach seinem Programm als spanische Nationalspieler nie gegeben.
Carvajal lobt Rubiales
Dennoch gilt auch Dani Carvajal, dritter Captain der «selección», als Vox-Sympathisant. Der Real-Verteidiger soll Abascal sogar einmal in seine Loge ins Bernabéu-Stadion eingeladen haben. Im Sommer avancierte Carvajal vorübergehend zum Star der Politultras, als er Premierminister Pedro Sánchez beim offiziellen EM-Empfang zwar nolens volens die Hand gab, aber betont jedem Blickkontakt auszuweichen schien. Der Sozialist Sánchez gilt den Rechten wegen seiner Verständigungspolitik gegenüber Katalonien und seiner Gleichstellungsagenda als Verräter des wahren Spanien.
Auf dem Höhepunkt der Rubiales-Affäre verblüffte Carvajal mit Äusserungen, in denen er den geschassten Präsidenten für seine «exzellenten Umgangsformen» lobte und eine «Positionierung» zwischen ihm und Hermoso ablehnte. Nur ehemalige Nationalspieler und solche aus dem erweiterten Kreis wie die Betis-Profis Isco und Borja Iglesias versicherten der Berufskollegin ihre Solidarität oder schlossen sich den Protesten der Spielerinnen an. Die damals Berufenen konnten sich lediglich auf ein verspätetes, weiches Communiqué einigen, das viele Beobachter enttäuschte. Ein entschlossenes Auftreten der Männerstars, Aushängeschild jedes Fussballverbandes, hätte wohl einen echten Wandel herbeiführen können. So wartet Spanien noch immer auf ihn.
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