Der reduzierte und der Sondersatz bei der Mehrwertsteuer verbessern die Situation der Bevorteilten nicht entscheidend. Sie führen aber zu einer abstrusen Abgrenzungsbürokratie. Es ist höchste Zeit für einen Einheitssteuersatz.
Mit den steuerlichen Ausnahmen ist es wie mit den Subventionen: Sie sind das Resultat fortwährenden Lobbyings und bringen meist nicht viel – ausser bürokratischen Aufwand. Ganz besonders gilt das für die Mehrwertsteuer. Dennoch sind bisher Versuche, den Steuersatz wieder zu senken und dafür die Sondersätze abzuschaffen, am Parlament gescheitert.
Umso erfreulicher ist, dass der Ständerat nun auf eine dauerhafte Festschreibung des Sondersatzes für die Hotellerie zumindest vorerst verzichtet hat. Stattdessen beauftragte er seine zuständige Kommission mit einer Evaluation.
Den Parlamentariern wäre zu empfehlen, sich einmal über die branchenspezifischen Erläuterungen der Eidgenössischen Steuerverwaltung zu beugen. Der Leitfaden für das Gastgewerbe zählt 78 Seiten.
Darin wird festgehalten, dass auf gastgewerblich konsumierten Speisen und Getränken der Normalsatz abzuliefern ist. Ganz anders hingegen ist die Situation bei Speisen, die zum Verzehr ausserhalb des Lokals abgegeben werden. Diese sind zum reduzierten Satz von 2,6 Prozent für Nahrungsmittel abzurechnen – es sei denn, sie seien alkoholhaltig.
Dasselbe gilt für nach Hause gelieferte Mahlzeiten. Beim Essensdienst muss allerdings sichergestellt und dokumentiert werden, dass die Mahlzeit nicht serviert wird, denn das wäre dann eine gewerbliche Dienstleistung.
Und was ist mit dem Gipfeli in der Bäckerei-Konditorei? Zum Mitnehmen fällt der reduzierte Satz an. Aber Achtung! Es genügt nicht, dass der Kunde das Gipfeli selbst entgegennimmt. Es muss auch sichergestellt sein, dass er es nicht im Lokal verzehrt. Ob er bereitgestellte Stühle und Tische benutzt, ist dabei unwesentlich, entscheidend ist, ob «Konsumvorrichtungen vorhanden sind».
Unter einer «Konsumvorrichtung» versteht man «besondere Einrichtungen zur Konsumation der Lebensmittel. Als solche gelten beispielsweise Tische, Stehtische, Theken und andere für den Konsum zur Verfügung stehende Abstellflächen oder entsprechende Vorrichtungen in Zügen und Reisecars.» Doch Achtung! Nicht als «Konsumvorrichtungen» gelten blosse Sitzgelegenheiten ohne dazugehörende Tische, die den Kunden in erster Linie als Ausruhmöglichkeit dienen.
Etwas ganz anderes ist es, wenn das Gipfeli als Frühstück im Rahmen einer Übernachtung eingenommen wird. Dann nämlich wird der Sondersteuersatz für die Hotellerie von 3,8 Prozent fällig.
Und so geht es weiter. Ganze 96 Seiten lang ist die Wegleitung für das Gesundheitswesen. Dort werden Heilbehandlungen von der Mehrwertsteuer ganz ausgenommen, aber nicht «ästhetische Leistungen zur Hebung von Wohlbefinden und Leistungsfähigkeit».
Das führt dazu, dass die Zahnärztin auf Implantaten keine Mehrwertsteuer abliefern muss, jedoch sehr wohl auf abnehmbaren Prothesen und Zahnspangen. Und selbstverständlich ist sie verpflichtet, die Abgrenzung minuziös zu dokumentieren. Eine Wissenschaft für sich ist zudem, wer zu Heilbehandlungen ohne Steuersatz berechtigt ist und wer nicht und wie das kantonsspezifisch nachzuweisen ist.
Es ist der pure Bürokratenwahnsinn. Der Wirtschaftsdachverband Economiesuisse hat 2013 den Aufwand zur Abrechnung der Mehrwertsteuer auf 1,5 Milliarden Franken geschätzt. Ein Grossteil davon würde entfallen, wenn auf allem ein Einheitssatz erhoben würde. Das Argument der Hotellerie, sie wäre nicht mehr wettbewerbsfähig, wenn auf einer Übernachtung für 180 Franken 14 Franken 60 statt wie heute 6 Franken 85 Mehrwertsteuer abzuliefern wären, wirkt da wenig überzeugend.
Die Expertengruppe des Bundes zum Sparen hat es ausgerechnet: Würden der reduzierte und der Sondersatz abgeschafft, so könnte der Einheitssteuersatz auf 6,8 Prozent gesenkt werden und nähme der Bund eine Milliarde mehr ein. Besser noch wäre eine aufkommensneutrale, noch stärkere Senkung. In soziale Engpässe geriete deswegen kaum jemand. Es ist höchste Zeit, den gordischen Knoten des Beamtendickichts zu durchtrennen und den Einheitssteuersatz einzuführen.