Aston Villa gastiert am Dienstag im ersten Spiel der Gruppenphase der Champions League bei den Young Boys. In England will der Klub aus Birmingham die Phalanx der grossen sechs durchbrechen.
Unai Emery wird als «Mr. Europa League» angesehen. Kein anderer Trainer hat diesen europäischen Fussballpokal häufiger gewonnen als der Baske. Er holte ihn dreimal mit dem FC Sevilla und einmal mit dem FC Villarreal. Die Europa League, die weniger Glamour ausstrahlt als der Premium-Wettbewerb Champions League, scheint auf Emery zugeschnitten zu sein. Seine Mannschaften definieren sich stets über Disziplin und Teamgeist. Emerys Abschneiden in der Champions League liest sich denn auch weniger imposant, nur einmal kam er in den Halbfinal, sonst war spätestens im Achtelfinal Schluss.
Den nächsten Anlauf nimmt Emery in dieser Saison als Trainer des ambitionierten Premier-League-Klubs Aston Villa. Am Dienstag, um 18 Uhr 45, startet die Europacup-Kampagne auswärts gegen die Young Boys. Die Teilnahme an der Champions League gleicht einem Coup für Emery: Erstmals in der Historie qualifizierte sich mit Aston Villa einer der zahlreichen Vereine aus dem Ballungsgebiet Birmingham, der zweitgrössten Stadt Englands, für den wichtigsten europäischen Klubwettbewerb.
Die Meisterschaft auf der Insel ist häufig ein Dreieckspiel zwischen den Vereinen aus London, Liverpool und Manchester. Die Dominanz dieser Städte gleicht einem Abbild der wirtschaftlichen Verhältnisse. In den vergangenen 19 Saisons gelang es nur drei Klubs, in die Phalanx der sogenannten Top Six – Arsenal, Chelsea, Liverpool, Manchester City, Manchester United, Tottenham – vorzustossen und eine Spielzeit auf den ersten vier Tabellenplätze abzuschliessen: dem Sensationsmeister Leicester City 2016, dem vom Saudi-Staatsfonds alimentierten Newcastle United 2023 – und nun Emerys Aston Villa.
Aston Villa investiert so viel wie noch nie in Transfers
Solch besondere Tage hatte der Klub zuletzt vor 43 Jahren erlebt, als er in der Saison 1980/81 letztmals die Meisterschaft gewann. Das Gründungsmitglied der Football League und der Premier League, deren Liga-Grundkonzepte auch auf den Villa-Direktor William McGregor im 19. Jahrhundert zurückgingen, zog sich fortan achtbar aus der Affäre. Doch nachdem sich in den nuller Jahren zunehmend vermögende ausländische Kapitalgeber in Spitzenteams eingekauft hatten, verlor Villa den Anschluss.
Der US-Unternehmer Randy Lerner, der den Arbeiterverein 2006 für 62 Millionen Pfund erworben hatte, brachte das zweifelhafte Kunststück fertig, ihn trotz stetigen finanziellen Subventionen und der boomenden Liga ein Jahrzehnt später unter hohem Verlust wieder abzugeben. Auf ihn folgten – nach einer kurzen Episode des Chinesen Tony Xia – 2018 die Milliardäre Wes Edens und Nassef Sawiris, ein Bruder von Samih Sawiris, der in der Schweiz als Investor bei Tourismusprojekten bekannt ist.
Aston Villas Besitzer stehen für den sich ausbreitenden Trend, dass sich immer mehr Vereine mit steinreichen Eigentümern eindecken, wodurch wieder eine Art Chancengleichheit einzieht. Seit ihrem Einstieg haben Sawiris und Edens kontinuierlich in jeder Saison rund 100 Millionen Pfund an Ablösesummen in neue Spieler investiert, vor dieser Spielzeit sogar 150 Millionen – so viel wie nie.
Das Umfeld bei Aston Villa ist ruhiger als jenes in London oder Paris
Die Mannschaft setzt sich überwiegend aus Spielern zusammen, die entweder den Sprung zu einem Spitzenklub schaffen wollen oder deren Potenzial von ebensolchen Vereinen unterschätzt worden ist. So stand der argentinische Weltmeister-Goalie Emiliano Martínez zehn Jahre bei Arsenal unter Vertrag. Die meiste Zeit liehen ihn die Londoner aus und verkauften den heute 32-Jährigen dann 2020 für 20 Millionen Pfund an Villa, eine kostspielige Fehleinschätzung. Dies trifft in gewisser Weise auch auf den Trainer Emery zu.
Bei Paris Saint-Germain und Arsenal wurde er jeweils nach kurzer Zeit entlassen, im Rückblick lag es aber offensichtlich weniger an seinem Coaching als am Missmanagement der Klubs. Gerade das sich bisweilen anmassend verhaltende Arsenal-Publikum schien sich über ihn am Ende zu echauffieren, der häufig von ihm gebrauchte Ausdruck «good ebening» statt «good evening» wurde zum Synonym seines akzentstarken Englisch. Das insgesamt ruhigere und weniger in der Öffentlichkeit stehende Aston Villa kommt Emerys Arbeitsweise entgegen, es gleicht dem Umfeld an früheren Stationen in Sevilla und Villarreal.
Emery übernahm Villa im November 2022 unmittelbar vor der Abstiegszone und führte die Mannschaft in derselben Saison auf den siebenten Platz, der zur Teilnahme an der Conference League berechtigte. Erstmals nach dreizehn Jahren war der Klub wieder international vertreten. Um das Kader zu verstärken, holte man 2023 den Sportdirektor Ramón Rodríguez Verdejo, genannt Monchi. Emery und Monchi arbeiteten einst erfolgreich in Sevilla zusammen. Ähnlich wie bei Manchester City, wo der Trainer Josep Guardiola von Weggefährten im Management umgeben ist, hält auch Monchi Emery als Vertrauensperson den Rücken frei. Gemeinsam gelang ihnen die Qualifikation für die Champions League.
Jetzt geht es für Emery darum, in der Königsklasse zu überzeugen – um vielleicht vom «Mr. Europa League» zum «Mr. Champions League» aufzusteigen.