Trotz strengen Normen zur Wasserdichtigkeit warnen viele Uhrenhersteller davor, ihre Modelle im Wasser zu tragen. Das irritiert, denn schon seit 2007 ist belegt: Wasserdicht heisst wasserdicht. Warum also diese Vorsicht?
Um das Prädikat «wasserdicht» zu tragen, muss eine Uhr hohe Anforderungen erfüllen. Sie muss 10 Minuten lang dem Druck von 2 Bar standhalten. Das ist der Druck, der in 20 Metern Wassertiefe herrscht. Zudem darf sie während einer Stunde in 10 Zentimetern Tiefe keine Feuchtigkeit ins Innere lassen. Und sie darf kein Problem damit haben, in unterschiedlich heisses und kaltes Wasser eingetaucht zu werden. So verlangt es die seit 2010 gültige Norm ISO 22810 bzw. ihr Schweizer Pendant NIHS 92-20.
Fehlendes Wissen selbst bei Herstellern
Man könnte meinen, dass eine solche Uhr problemlos beim Duschen oder Schwimmen getragen werden kann. Doch erstaunlicherweise wird bei vielen Uhrenherstellern und Juwelieren anderes kommuniziert. Dort heisst es oft, dass eine mit 3 Bar (30 Meter) wasserdicht deklarierte Uhr lediglich «spritzwassergeschützt» sei und nur «vorsichtig mit einem feuchten Tuch gereinigt werden» könne. Wer seine Uhr beim Schwimmen tragen möchte, solle eine wählen, die mindestens mit 5 Bar getestet sei.
Bedeutet wasserdicht also gar nicht in jedem Fall wasserdicht? Dann wäre der Begriff irreführend. Eine Anfrage beim Uhrenverband Fédération Horlogère (FH) bringt Klärung: Die verbreiteten Aussagen stimmen nicht. Eine Uhr, die als wasserdicht, étanche oder water resistant deklariert sei, könne problemlos zum Duschen, Schwimmen oder Schnorcheln getragen werden.
Warum die Marketingabteilungen der Uhrenhersteller dennoch zurückhaltend kommunizieren, ist unklar. Möglicherweise liegt es daran, dass lange Zeit Unsicherheit darüber herrschte, wie viel Druck in verschiedenen Wassersituationen tatsächlich entsteht. So ging man früher davon aus, dass das herabprasselnde, oft sehr warme Wasser beim Duschen Druckspitzen bis zu 5 Bar bewirkt, womit Gefahr bestünde, dass bei einer auf 2 Bar getesteten Uhr Feuchtigkeit eindringt. Das Gleiche bei einem plötzlichen Aufprall aufs Wasser.
Doch seit 17 Jahren ist bekannt, dass dies nicht stimmt. Im Jahr 2007 stellten zwei Ingenieure der Swatch-Group-Tochter ETA am jährlichen Chronometrie-Kongress eine Studie vor, die zeigte, dass der Druck, der in verschiedenen Wassersituationen auf eine Uhr ausgeübt wird, viel niedriger ist als bis dahin angenommen.
2 Bar genügen fürs Schwimmen
Die ETA-Ingenieure prüften sämtliche Aktivitäten und Situationen, die in Wasserumgebungen vorkommen: Schwimmen, Tauchen, Planschen, Turmspringen. Durchgeführt wurden die Versuche mit Uhrengehäusen, die mit Sensoren an der Position der Krone, der Oberseite und des Gehäusebodens ausgerüstet waren. Gemäss den Messungen entsteht der grösste Überdruck auf eine Uhr beim Sprung vom 10-Meter-Brett im Moment des Eintauchens. Aber selbst dort beträgt er gerade einmal 0,7 bis 1,4 Bar.
Die Zusammenfassung der Publikation stellt fest: «Sie (die Tests) zeigen, dass in all diesen Situationen die tatsächlichen Spannungswerte auf der Uhr unter den von der ISO-Norm 2281 (Vorgängerin von ISO 22810) vorgeschriebenen Mindestkriterien liegen. Die Tests stehen im Widerspruch zu den bisher allgemein veröffentlichten Informationen.» Einfach gesagt: Es genügt also, eine Uhr bei 2 Bar (20 Meter) zu prüfen, damit sie problemlos für sämtliche Wasseraktivitäten (abgesehen von Tauchen) genutzt werden kann.
Ist es vielleicht Vorsicht, die viele Hersteller dazu veranlasst, die Erwartungen an die Wasserdichtigkeit ihrer Uhren bei den Kunden nicht zu hoch zu stecken? Man muss berücksichtigen, dass Wasserdichtigkeit keine Eigenschaft für die Ewigkeit ist. Dichtungen, insbesondere aus Gummi, zeigen mit der Zeit Alterungserscheinungen: Sie können ihre Elastizität verlieren, und das Schmiermittel kann sich verflüchtigen. Zudem ist die Dichtung einer Krone bei jedem Bedienen Reibung ausgesetzt und nutzt sich dadurch ab. Eine Uhr, die heute wasserdicht ist, ist es vielleicht plötzlich morgen nicht mehr.
Diese Information kann den Kunden allerdings offen kommuniziert werden. Gleichzeitig kann man sie darauf hinweisen, dass es sinnvoll ist, regelmässig beim Fachhändler vorbeizugehen, um die Wasserdichtigkeit zu prüfen. Viele bieten diesen Service, der mit Druckluft durchgeführt wird, kostenlos an. Das ist besser, als eine Uhr als wasserdicht zu bezeichnen, um danach im Kleingedruckten zu empfehlen, sie nicht im Wasser zu tragen.
Fürs Tauchen gibt es Taucheruhren
Die Ergebnisse der ETA-Tests werfen auch die Frage auf, ob es sinnvoll ist, verschiedene Grade von Wasserdichtigkeit (3 Bar, 5 Bar, 10 Bar) anzugeben. Wenn alle wasserdichten Uhren den normalen Gebrauch im Wasser problemlos aushalten, ist der Nutzen dieser Angaben fraglich. Höhere Anforderungen sind nur nötig, wenn eine Uhr zum Tauchen genutzt wird. Dann reicht eine hohe Wasserdichtigkeit allerdings nicht aus; die Uhr muss zusätzliche Sicherheitsanforderungen erfüllen.
Laut der Norm ISO 6425 (NIHS 92-11) müssen Taucheruhren bis 100 Meter wasserdicht sein, wobei die Tests mit einer Sicherheitsmarge von 25 Prozent durchzuführen sind. Sie benötigen aber auch eine Lünette zur Berechnung der Tauchzeit. Diese darf nur einseitig drehbar sein, damit bei einer Fehlmanipulation die Zeit unter Wasser nicht plötzlich zu niedrig angegeben wird. Zudem müssen sie besonders leuchtkräftige Zeiger und Indizes besitzen.
Patek Philippe vereinfacht Angaben zur Wasserdichtigkeit
Ein Vorreiter in der Vereinfachung der Wasserdichtigkeitsangaben ist Patek Philippe. Der Genfer Luxusuhrenhersteller deklariert seit einigen Monaten all seine wasserdichten Modelle mit «wasserdicht bis 30 Meter».
Argumentiert wird mit den Erkenntnissen aus der besagten ETA-Studie: «Wasserdicht zertifizierte Uhren erlauben es dem Kunden, die Uhr bei folgenden täglichen Aktivitäten zu tragen: Händewaschen, Duschen, Baden, Schwimmen und andere Aktivitäten im Wasser, einschliesslich Tauchen bis zu einer Tiefe von 30 Metern, was den meisten Anwendungen entspricht», heisst es in einer Mitteilung vom April. Bei Patek sind es 30 statt 20 Meter, weil das Unternehmen den eigenen Standard etwas über der ISO-Norm ansetzen will.
Auch Modelle wie die Nautilus, die bisher als wasserdicht bis 120 Meter galten, werden nun mit einer Dichtheit bis 30 Meter angegeben, was Fans der Marke zunächst verunsicherte. Patek betont jedoch, dass sich an der tatsächlichen Konstruktion der Uhren nichts geändert habe – sie würden nur nicht mehr auf 12 Bar getestet. Laut Philip Barat, dem Chef Uhrenentwicklung bei Patek Philippe, ist dies besser für die Uhren. Diese würden zwar auch bei 12 Bar dicht halten, aber der hohe Druck könne etwa dazu führen, dass bei Uhren mit versenkten Korrektoren das Datum verstellt werde. Deshalb wolle man den Kunden nicht suggerieren, dass die Nautilus eine geeignete Uhr sei, um in 120 Metern Tiefe getragen zu werden. Dafür gebe es Taucheruhren.
Die frühere Angabe von 120 Metern stammt laut Barat aus einer Zeit, als die Wasserdichtigkeit noch nicht so verbreitet war und man sich damit differenzieren konnte. Die Nautilus-Kollektion wurde 1976 lanciert. Heute sind 3 Bar schon fast Standard, und diese genügen für die meisten Anwendungen.
Aufklärung tut not
Das Fazit ist somit einfach: Wasserdicht heisst tatsächlich wasserdicht. Und wer als Hersteller eine Uhr als wasserdicht bezeichnet, kann sich im Garantiefall nicht darauf berufen, dass er dem Kunden empfohlen habe, die Uhr beim Schwimmen abzulegen. Die Fédération Horlogère startet demnächst eine Informationskampagne, um ihre Mitglieder und die Öffentlichkeit besser über dieses Thema aufzuklären.
Beilage in der «Neuen Zürcher Zeitung»
Dieser Artikel ist am Freitag, 20. September 2024, im neuen NZZ-Schwerpunkt «Uhren & Schmuck» erschienen. Weitere aktuelle Storys, Reportagen und Interviews aus der 18-seitigen Beilage sind im E-Paper der «Neuen Zürcher Zeitung» zu finden.