Die Schulden der USA werden bald die jährliche Wirtschaftsleistung der Supermacht übersteigen. Das schafft gefährliche Abhängigkeiten. Doch die Defizite dürften auch unter der nächsten Administration weiter ansteigen.
Die Warnung ist alt. Bereits vor zwanzig Jahren wies der ehemalige Finanzminister Larry Summers seine Landsleute darauf hin, dass die steigende Staatsschuld zu einer gefährlichen Abhängigkeit von ausländischen Gläubigern führe. Genutzt hat es wenig. Die Verschuldung der USA ist seit Summers’ Rede von rund 35 Prozent auf fast 100 Prozent des BIP angestiegen. Die ausländischen Gläubiger halten nicht weniger als 7900 Milliarden US-Dollar – was 29 Prozent der US-Staatsschuld und etwa dem Doppelten des deutschen BIP entspricht. Ohne das Ausland hätte die westliche Supermacht enorme Finanzierungsprobleme.
Immerhin gehören die Hauptgläubiger dem westlichen Lager an: Japan (1,137 Milliarden Dollar), Grossbritannien (679 Milliarden), Luxemburg (371 Milliarden), Kanada (336 Milliarden), Belgien (314 Milliarden) und die Cayman Islands (305 Milliarden). Sie sind militärisch so abhängig von den USA, dass von ihnen keine unmittelbare Gefahr ausgeht. Aber da wäre noch die Volksrepublik China, die hinter Japan der zweitgrösste ausländische Gläubiger (816 Milliarden Dollar) ist.
Gleichgewicht des finanziellen Schreckens
Summers glaubte damals, dass die chinesischen Gläubiger kein Interesse daran hätten, sich eines Tages ganz schnell von ihren amerikanischen Staatspapieren zu trennen. Die Kosten wären zu hoch, argumentierte er, denn der Verkauf wäre mit einer starken Abwertung des Dollars und entsprechend grossen Verlusten verbunden. Er sprach diesbezüglich von einem «Gleichgewicht des finanziellen Schreckens», das für Stabilität sorge – in Anlehnung an den Kalten Krieg, als die nuklearen Arsenale der Sowjetunion und der USA durch ihre abschreckende Wirkung einen Krieg der Supermächte unwahrscheinlich machten.
Aber die Situation war damals eine ganz andere. China und die USA sahen sich noch nicht im selben Masse als Rivalen, wie sie es heute tun. Zwar dürften die chinesischen Gläubiger weiterhin davor zurückschrecken, ihre amerikanischen Staatsanleihen massenhaft auf den Markt zu werfen. Doch sie werden sicherlich nicht mehr im gleichen Stil neue US-Schulden finanzieren, wie sie es in der Vergangenheit taten. Auch die wohlgesinnten Gläubiger könnten dereinst die Geduld verlieren. Sie sind nur deshalb bereit, den USA unter die Arme zu greifen, weil sie davon ausgehen, dass Washington dereinst die Staatsfinanzen wieder in Ordnung bringen wird. Sobald sie aber Zweifel hegen, werden sie höhere Zinsen verlangen. Dies wiederum würde eine Sanierung der amerikanischen Staatsfinanzen noch viel schwieriger machen. Es hängt alles von den Erwartungen und Stimmungen der ausländischen Gläubiger ab.
Wie wahrscheinlich ist es, dass ein solcher Moment eintritt? Optimisten weisen darauf hin, dass die Politik bisher immer reagiert habe, wenn die Staatsfinanzen in Schieflage geraten seien. Am Ende des Zweiten Weltkriegs war der Schuldenstand etwa so hoch wie heute (rund 100 Prozent des BIP), bereits zehn Jahre später sank er auf 51 Prozent und weitere zwanzig Jahre danach auf 23 Prozent. In den 1990er Jahren gelang es dem Demokraten Bill Clinton, das strukturelle Defizit, das er von Präsident Reagan geerbt hatte, durch Steuererhöhungen zum Verschwinden zu bringen, und dank einer unerwartet guten Konjunktur vermochte er die Staatsverschuldung sogar von 50 auf 35 Prozent des BIP herunterzudrücken.
Egal, wer Präsident wird: Die Schulden steigen weiter
Diese historischen Verweise vermögen allerdings nicht zu überzeugen. Nach dem Zweiten Weltkrieg war es recht einfach, die Staatsschulden zu senken. Man brauchte nur die hohen Militärausgaben zu reduzieren und die kriegsbedingten hohen Steuern beizubehalten – eine Option, die in Friedenszeiten fehlt. Und die Demokraten sind heute alles andere als eine Partei, die sich wie Clinton für eine nachhaltige Staatsfinanzierung einsetzt. Ganz im Gegenteil: 2023 betrug das Budgetdefizit nicht weniger als 6,3 Prozent. Ein Machtwechsel würde indes wenig helfen. Trump hat angekündigt, dass er die Steuern senken werde, in der irrigen Annahme, dass er damit das Wirtschaftswachstum so stark ankurbeln könne, dass keine höheren Defizite resultieren. Das hat schon in seiner ersten Amtszeit nicht funktioniert.
Ganz aufgeben sollte man die Hoffnung dennoch nicht. Die Washingtoner Politik ist seit der Gründung der USA für ihre Unberechenbarkeit berüchtigt. Selbst in den 1940er Jahren, als sich die USA auf dem Höhepunkt ihrer Macht befanden, gingen die Verantwortlichen unnötige Risiken ein. Doch am Schluss fanden sie immer einen Ausweg. Einer, der die Unwägbarkeiten der damaligen US-Regierung besonders gut kennenlernte, war der britische Premierminister Winston Churchill. Vielleicht ist sein Spruch nicht mehr gültig, aber es ist zurzeit der einzige Trost, den man angesichts der liederlichen amerikanischen Finanzpolitik spenden kann: «Man kann sich immer darauf verlassen, dass die Amerikaner das Richtige tun, nachdem sie alles andere versucht haben.»
Tobias Straumann ist Professor für Wirtschaftsgeschichte an der Universität Zürich.
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