Die Stimmbürger wünschen keine schleichende Angleichung der Leistungen für abgelehnte Asylbewerber und anerkannte Flüchtlinge.
Rein vordergründig hat der Kanton Zürich am Sonntag über eine Marginalie im Bildungswesen abgestimmt. Es ging um eine Detailfrage, um eine kleine Ausweitung der Stipendienansprüche auf wenige Hundert Personen pro Jahr. Die Folgen dieses Schritts wären weder für die Kantonsfinanzen noch für die Bildungssysteme untragbar gewesen.
Doch weil es sich bei den Betroffenen, die künftig schon früher als bis jetzt Ansprüche auf Stipendien erhalten sollten, nicht um irgendeine Gruppe handelte, sondern um vorläufig aufgenommene abgewiesene Asylbewerber, barg die Vorlage Zündstoff.
Die Abstimmung war, wie die Referendumsführerin SVP sofort sehr richtig erkannt hatte, ein Stimmungstest für die Zufriedenheit der Bevölkerung mit der kantonalen und mit der eidgenössischen Asylpolitik, und das Signal, gerade nach Bern, ist deutlich: Es muss sich etwas ändern.
Aus dem Nein-Resultat der Zürcher Abstimmung lassen sich zwei Hauptforderungen destillieren.
Die erste ist, dass am klaren Unterschied in der Behandlung von anerkannten Flüchtlingen und abgewiesenen Asylbewerbern nicht gerüttelt werden darf. Wer kein Asyl erhalten hat, darf unter gewissen Umständen zwar vorläufig bleiben, aber das Ziel muss immer die möglichst baldige Rückkehr sein und nicht die Integration. Entsprechend begrenzt müssen die Leistungen bleiben.
Die zweite Forderung, die aus dem Zürcher Volksentscheid gelesen werden kann, ist, dass Zürich und die Schweiz nicht noch attraktiver werden sollen für Migranten; erst recht nicht für jene, deren Aussichten auf eine Anerkennung als Flüchtling sehr gering sind.
Natürlich wären die Flüchtlingsboote im Mittelmeer nicht noch voller geworden, nur weil der Kanton Zürich eine Detailregelung im Bildungsgesetz angepasst hätte. Aber es geht um das Gesamtpaket: Wenn aus der Schweiz Zeichen gesendet werden, dass letztlich doch grosszügig unterstützt wird, wer gar keinen Grund hat zu bleiben, dann dürfte das sehr wohl wahrgenommen werden.
Das Nein in Zürich muss schliesslich auch vor dem Hintergrund eines Schweizer Asylsystems verstanden werden, das genau wie das europäische zunehmend ans Limit kommt.
Seit 2015 sind 6,8 Millionen Asylsuchende nach Europa gekommen. Über 3,6 Millionen von ihnen sollten abgeschoben werden, nur eine Million ging tatsächlich. Und in Osteuropa tobt ein Krieg, der Millionen in den Westen treibt.
Gerade die kleinen Zürcher Landgemeinden, in denen die Vorlage zum Teil mit 70 oder 80 Prozent Nein-Stimmen versenkt wurde, spüren diese Welle von Asyl- und Schutzsuchenden sehr direkt.
Seit 2020 ist die Zürcher Asyl-Aufnahmequote viermal angehoben worden. Die Gemeinden müssen nicht mehr 5 Personen pro 1000 Einwohner aufnehmen wie noch vor vier Jahren, sondern 16, also mehr als dreimal so viele. Ein Hauptgrund ist der Anstieg von Schutzsuchenden aus der Ukraine.
Für all die Ankömmlinge finden die Gemeinden kaum noch Wohnungen. Nicht selten bleiben nur teure temporäre Lösungen wie Wohncontainer – über die es dann unter Umständen auch noch Rechtsstreitigkeiten gibt, die bis ans Bundesgericht führen können.
Das alles hat direkt zwar nichts mit dem Zürcher Bildungsgesetz zu tun, über das am Sonntag abgestimmt worden ist, aber indirekt sehr wohl. Denn wer den Asyldruck jetzt schon sehr direkt spürt, dürfte sich gegen alles wehren, was diesen Druck weiter erhöhen könnte – und sei es auch nur eine grosszügigere Stipendienregelung für abgelehnte Asylbewerber.
Die Abstimmung war schliesslich auch ein Test für die Zürcher Freisinnigen: Sie hatten sich erst vor kurzem ein neues Parteiprogramm gegeben und dabei – in Einklang mit der nationalen FDP – einen härteren Kurs in der Migrationspolitik beschlossen. Nun liegt der erste Beweis vor, dass sie mit dieser Haltung mehrheitsfähig unterwegs sind.