Mit einer deutschen Cloud hat Ionos seine Nische gefunden – und baut sie neben dem angestammten Web-Hosting-Geschäft aus. Doch der Blick der Anleger fällt eher auf die US-Konkurrenz. Entsprechend bietet das Unternehmen einen günstigen Einstieg in die Grossthemen der Digitalisierung.
Ein deutsches Unternehmen aus dem Westerwald, das eine Nische im Wachstumsmarkt Cloud und künstliche Intelligenz (KI) besetzt: Die United-Internet-Abspaltung Ionos bringt spannende Eigenschaften mit. Doch die Börse schaut in Sachen Tech allerdings lieber in die USA – zu Unrecht.
Eine eigene Internet-Seite ist für viele kleine Unternehmen der Schlüssel zu neuen Absatzmärkten, via Webshop können sie ihre Produkte weltweit verkaufen. Entsprechend geben rund 70% der für eine Microsoft-Studie befragten Unternehmen an, dass digitale Technologien zentral für ihr Wachstum sind. Trotz dieser weit verbreiteten Erkenntnis haben viele Betriebe in der Praxis noch grossen Nachholbedarf.
Genau in dieser Nische der kleinen und mittleren Unternehmen hat sich Ionos als Anbieter eingerichtet. Ionos-Sprecher Andreas Maurer rechnet vor: «In Europa gibt es rund 58 Mio. kleine und mittlere Unternehmen. Davon sind 96% Kleinstunternehmen und Solopreneure – von denen nur die Hälfte eine eigene Website hat.» Als einen One-Stop Shop für Unternehmen bei der Digitalisierung hat Ionos-Finanzchefin Britta Schmidt die Position der deutschen Tech-Experten in einem Interview skizziert. Kleine und mittelgrosse Unternehmen können die Digitalisierung dank Ionos weitgehend mithilfe eines Anbieters aufsetzen.
Ionos ist Weltmarktführerin im Webhosting
Das Unternehmen stellt im Hauptgeschäft Online-Baukästen bereit, mit denen Unternehmer eine eigene Internet-Seite erschaffen und betreiben können. In diesem Webhosting, genannt Web Presence & Productivity, ist die 2018 aus dem Zusammenschluss von 1&1 Internet und ProfitBrick entstandene Ionos Weltmarkführerin. Der Bereich steht für rund 90% des Umsatzes und ist vor allem ein wiederkehrendes Geschäft. Wer seine Seite erst einmal erstellt hat, zahlt in der Regel Monat für Monat weiter die verlangten Gebühren, um die Seite zu betreiben.
Was technisch und langweilig klingt, ist zumindest in Teilen durchaus anspruchsvoll. Diesen Sommer hat das Unternehmen eine generative KI auf den Markt gebracht (ein sogenanntes Large Language Model, LLM ). Mit diesem kann ein kleines Unternehmen zum Beispiel problemlos Text für eine Website erstellen. Aber es sei noch mehr denkbar, zum Beispiel die Extraktion von Daten etwa für Versicherungsberichte oder Chatbots, schreiben die Berenberg-Analysten Usman Ghazi und Gustav Froberg. Eine Plattform also, die Wachstum verspricht. Vorteilhaft sei, dass Ionos damit im europäischen Wettbewerb recht früh auf den Markt komme.
Ionos› zweite Säule ist das Cloud-Geschäft (Cloud Solutions). Ohne digitale Wolke keine künstliche Intelligenz, auf diese einfache Formel bringt es der «Data Complexity Report» von NetApp. Laut der Digitalisierungsumfrage der Deutschen Industrie- und Handelskammer (DIHK) plant ein Drittel der Unternehmen den KI-Einsatz für seine Zukunft ein. Und braucht dazu folglich Speicherplatz in Rechenzentren von Drittanbietern, eben das Cloud Computing. In den kommenden Jahren dürfte der Umsatz von Tech-Unternehmen mit Cloud-Angeboten in Europa weiter deutlich steigen.
Konkurrenz gibt es in diesem Bereich zwar durchaus. Deutschlands Tech-Schwergewicht SAP etwa setzt beim Thema Cloud auf die Kooperation mit US-Plattformen wie Microsoft. Zwar hat das Softwareunternehmen angekündigt, in den kommenden zehn Jahren 2 Mrd. € in «hochsichere, lokale und regulatorisch konforme Cloud-Angebote» zu investieren. SAP-Tochter Delos Cloud soll das Angebot bereitstellen, die Plattform basiert jedoch auf der Technologie von Microsoft Azure. Eine deutsche Cloud bietet der Handelskonzern Lidl an. Stackit, eine Tochter der Schwarz-Gruppe, die auch Lidl betreibt, ist seit 2023 aktiv. Die Entstehungsgeschichte des Geschäfts ist ähnlich wie beim weltgrössten Cloud-Anbieter Amazon, der solche Datenspeicher zunächst für das eigene Geschäft entwickelte und dann für Dritte zugänglich machte.
Ionos will gegen diese Konkurrenz aber mit der vergleichsweise einfachen Integration der Angebote punkten, der Interoperabilität dank einer Vielzahl an Open-Source-Elementen und dem eigenen Hintergrund als Mittelständler aus Deutschland, sagt Sprecher Maurer.
Tatsächlich ist der Markt gross genug und wächst vor allem so stark, dass es Platz für unterschiedliche Anbieter gibt. Uwe Rathausky, Fondsmanager bei der Gané-Gruppe und mit dem Value Event Fonds in Ionos investiert, sagt: «Bei den meisten Unternehmen sind die bestehenden IT-Infrastrukturen sehr heterogen. Und die mehrheitlichen Anwendungsfälle in der Cloud sind Multi-Cloud-Anwendungen, weil sich Unternehmen an den verschiedensten Anwendungslösungen und Partnerschaften orientieren, nicht an einem bestimmten Anbieter.» Ausserdem wollen sich Unternehmen in der Regel nicht auf einen Cloud-Anbieter verlassen. «Entsprechend ist das Marktpotenzial riesig für verschiedene Anbieter.» Er geht davon aus, dass Ionos in dem Segment stark wachsen werde und rechnet damit, dass das Unternehmen allein in diesem recht neuen Geschäft «in einigen Jahren auf einen Jahresumsatz von 1 Mrd. € zusteuern kann».
Ionos selbst hat bereits den Zuschlag für den Aufbau der deutschen Bundes-Cloud im Volumen von 400 Mio. € erhalten. Genutzt werden soll diese Datenwolke von rund 200 Behörden. Helfen dürfte bei weiteren Ausschreibungen ein weiteres Argument: Die Cloud ist «Made in Germany». Sicherheitsbedenken vor einer Datenspeicherung in den USA lässt sich so der Wind aus den Segeln nehmen – wichtig für Anwender mit sensiblen Daten, eben in der Verwaltung, aber auch im Gesundheitswesen oder der Finanzbranche. Gut für das Unternehmen: In der ersten Säule zahlen Kunden pro Monat im Schnitt 10 bis 20 €, im Cloud-Geschäft monatlich 300 bis 500 € aufwärts.
Profitabler Wachstumskurs
Gemessen am Umsatz hat Ionos damit den richtigen Pfad eingeschlagen: Seit 2018 ist er von 0,9 Mrd. € auf 1,4 Mrd. € im Jahr des Börsengangs 2023 gestiegen. Im laufenden Jahr soll das Plus 9% betragen.
Die gleiche Entwicklung zeigt sich auch beim Ergebnis vor Zinsen, Steuer und Abschreibungen (Ebitda). 2018 lag es bei 258 Mio. €, 2023 waren es schon 363 Mio. €. Im laufenden Jahr sollen es 450 Mio. € werden. Das Unternehmen hatte zuletzt die Preise zum Teil erhöht. Berenberg-Analysten schreiben dazu, dass die Preissetzungsmacht des Unternehmens zu steigen scheine. Die Ebitda-Marge soll von zuletzt 25,2% (2023) schon 2025 auf mehr als 30% klettern, schätzen die bei S&P Capital IQ erfassten Analysten. Konkurrent Wix.com hat aber zuletzt aufgeholt.
Eine realistische Einschätzung, sagt Fondsmanager Rathausky. Immerhin skaliere das Geschäftsmodell: Der mittelfristige Plan sehe vor, dass der Umsatz rund 10% pro Jahr wachsen solle.
Setzt man die Nettoschulden, also die Gesamtverschuldung abzüglich der liquiden Mittel, in Relation zum Ebitda, zeigt sich die gute Entwicklung: Mitte 2024 lag das Verhältnis bei 2,9 und hat sich damit in wenigen Jahren mehr als halbiert. Stephane Beyazian, Analyst bei Oddo BHF, geht davon aus, dass Ionos sich bei Erreichen des Faktors 2 auch dem Thema Übernahmen widmen werde, um seinen Marktanteil in Europa weiter zu stärken.
Bremsklotz, der zum Turbo werden könnte
Im Blick behalten sollten Anleger die Eigentümerstruktur. 63,8% von Ionos gehören United Internet. Weitere 16% lagen zuletzt in den Händen des Private-Equity-Unternehmens Warburg Pincus. Es gehört zum Geschäftsmodell solcher Beteiligungsgesellschaften, nach fünf bis sieben Jahren komplett zu verkaufen. Viele Marktteilnehmer dürften also davon ausgehen, dass in den kommenden Monaten weitere Aktienpakete durch die in Europa von Ex-Deutsche-Telekom-Chef René Obermann geführte Private-Equity-Gesellschaft platziert werden. Solch ein Aktienüberhang kann die Kursentwicklung belasten.
Der Streubesitz, also der nicht bei Grossanlegern gebunkerte Anteil der Ionos-Aktien, ist mit knapp 15% vergleichsweise klein. Von 3 Mrd. € Marktkapitalisierung bleiben weniger als 0,5% Streubesitz-Kapitalisierung. Viele Fondsmanager dürften wegen der eingeschränkten Börsenliquidität Abstand halten.
«Es würde der Equity Story guttun, wenn die beiden Grossaktionäre weitere Anteile abgeben, um die Liquidität der Aktien zu erhöhen», sagt daher Fondsmanager Rathausky. Tatsächlich ist genau das zumindest in Teilen zuletzt geschehen. Warburg Pincus hat Mitte September rund 7 Mio. Aktien auf den Markt geworfen und seinen Anteil damit um mehr als 5 Prozentpunkte von zuvor knapp 22% auf die bereits genannten 16% reduziert.
Angesichts der guten Marktposition ist Ionos an der Börse überraschend günstig. Das Kurs-Gewinn-Verhältnis (KGV), gemessen am für die kommenden zwölf Monate geschätzten Gewinn, liegt bei knapp 15 – was deutlich unter der Bewertung kurz nach dem Börsengang liegt. Weil der allerdings erst im Frühjahr 2023 erfolgte, ist der Blick auf die Konkurrenz aussagestärker. «Im Vergleich zu den Konkurrenten Wix.com, GoDaddy und anderen ist Ionos sehr niedrig bewertet», sagt Fondsmanager Rathausky. «Das liegt hauptsächlich an den unterschiedlichen Börsenplätzen USA und Deutschland, den trüberen wirtschaftlichen Aussichten auf unserer Seite des Atlantiks, aber auch an jener niedrigen Liquidität der Ionos-Aktien.» Es ist zu erwarten, dass der Bewertungsabschlag angesichts der guten Entwicklung tendenziell sinkt.
Ionos ist für geduldige Anleger eine Wette auf zwei Triebkräfte: zum einen darauf, dass kleine und mittelgrosse Unternehmen künftig noch mehr Geld in die Hand nehmen, um die Digitalisierung zu nutzen und auch bereit sind, Preiserhöhungen mitzugehen. Als Marktführer in Europa und Gesamtanbieter aus einer Hand stehen die Chancen von Ionos darauf nicht schlecht; zu gross ist der Handlungsdruck für Kleinunternehmer.
Zum anderen würde es den Aktienkurs mittelfristig beflügeln, wenn die beiden Grossinvestoren ihren Aktienbestand reduzieren, damit den Streubesitz erhöhen und diejenigen Grossanleger locken, die wegen der geringeren Börsenliquidität bislang noch abseits stehen.