Rekordhohe 45 Milliarden Franken gibt Kiew dieses Jahr für den Abwehrkampf aus. Das geht nur, weil der Westen alles andere zahlt. Dennoch müssen die Ukrainer bald tiefer in die Tasche greifen.
Im allerletzten Moment haben Präsident und Parlament in der Ukraine am Wochenende den Zahlungsstopp für die Armee abgewendet. Nach langem Streit einigten sich Wolodimir Selenski und die Werchowna Rada, die Abgeordnetenkammer, auf Zusatzausgaben von umgerechnet 10 Milliarden Franken für die Streitkräfte. Für das ganze Jahr erhalten diese 45 Milliarden. Dieser rekordhohe Betrag entspricht mehr als einem Viertel des Bruttoinlandproduktes – und praktisch allen eigenen Einnahmen des Landes.
Die Ukraine ist längst nicht mehr in der Lage, alle staatlichen Aufgaben selbst zu finanzieren. Das Budget ist zweigeteilt: Für den Krieg zahlen ukrainische Bürger und Unternehmen mit ihren Steuern. Für Sozialausgaben, Bildung und Gesundheitswesen kommen die ausländischen Partner mit ihren Hilfsgeldern auf. Doch die Kosten des Abwehrkampfs gegen Russland sind so stark angestiegen, dass auch dieses Arrangement stets unsicher bleibt.
Die Regierung in Kiew improvisiert
Das Ringen um die zusätzlichen Milliarden für den Nachtragshaushalt zeigt dies. Seit Monaten war klar, dass dieses Geld nötig ist. Die Armee braucht es für die Rekrutierung neuer Soldaten, für die Löhne und für die Modernisierung der Bewaffnung. Die Kosten steigen einerseits, weil die Militärführung heuer mehrere hunderttausend neue Kämpfer mobilisierte. Andererseits muss Kiew für die Behandlung der vielen Verwundeten zahlen und die Familien der Gefallenen unterstützen.
Praktisch alle Kräfte im Land sind sich zwar einig, dass Geld fliessen muss. Doch alle haben unterschiedliche Interessen, und die Regierung improvisiert eher, als dass sie vorausplant. Immerhin einigermassen erfolgreich: Für den Moment finanziert sie die zusätzlichen Militärausgaben zu zwei Dritteln durch die Ausgabe neuer Staatsanleihen und bessere Bedingungen für bestehende Schulden, die sie mit internationalen Gebern Anfang September ausgehandelt hatte.
Allerdings rechnet Kiew für 2025 mit gleich hohen Kosten. Dies bedeutet, dass die Ukrainer wohl tiefer in die Tasche greifen müssen: Nach Protesten aus der Wirtschaft musste die Regierung eine geplante Steuererhöhung zwar reduzieren. Doch das Herzstück, eine Verdreifachung der Militärsteuer auf 5 Prozent des Einkommens, soll bleiben. Auch die Mehrwertsteuer wird erhöht. Populär ist das nicht.
Schwerwiegender ist das strukturelle Problem, dass jeder in die Armee eingezogene Ukrainer den Staat mehr kostet als er an Steuern beiträgt. Die Wirtschaft kämpft somit mit Personalknappheit und den Folgen des Krieges gleichzeitig. Im Haushaltsentwurf für 2025 erwartet die Regierung einen Rückgang des Wachstums von 3,5 auf 2,7 Prozent. Grund seien «die grossflächige Zerstörung von Industriekomplexen, die eingeschränkte Logistik, die externe und interne Migration sowie die Ungleichgewichte auf dem Arbeitsmarkt».
Geld kommt mit dem militärischen Erfolg
Um nicht in den Bankrott zu schlittern, braucht Kiew also dieses und nächstes Jahr je über 30 Milliarden Franken an externer Finanzierung. Diese zu sichern, ist stets eine Zitterpartie, die aus ukrainischer Wahrnehmung stark von der Lage auf dem Schlachtfeld abhängt. «2023 wurden wir mit Geld geflutet, weil man einen militärischen Erfolg erwartete», kommentierte dies der Ökonom Dmitro Bojartschuk gegenüber einem ukrainischen Portal. «2024 ist die finanzielle Situation wegen der erfolglosen Gegenoffensive im Vorjahr schrecklich.»
Konkret hiess dies für die Ukrainer, dass vor allem zu Jahresbeginn das Geld aus dem Westen vorübergehend fast ausblieb. Dazu kam die Blockade im amerikanischen Kongress. Inzwischen haben sich die Aussichten etwas verbessert, auch wenn eine mögliche Wahl Donald Trumps in den USA weiterhin wie eine schwarze Wolke über den ukrainischen Verteidigern hängt.
Die EU zeigt aber die Absicht, bei der zivilen Finanzhilfe in die Bresche zu springen. Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen stellte Selenski bei ihrem Besuch in Kiew am Freitag eine Anleihe von 35 Milliarden Euro in Aussicht. Brüssel will das Geld aus dem Erlös eingefrorener russischer Vermögen bekommen, die sich in der EU befinden. Der Plan muss aber noch durch das Europäische Parlament und braucht eine qualifizierte Mehrheit unter den Mitgliedsstaaten.
Fliesst das Geld bis Ende Jahr, was Experten für wahrscheinlich halten, hat Kiew ein Problem weniger. Dies ist umso wichtiger, als Russland keine Anstalten macht, die Angriffe einzustellen. Am Montag meldete Bloomberg, dass Moskau sein Militärbudget 2025 noch einmal um mehr als ein Viertel auf umgerechnet 120 Milliarden Franken erhöht. Damit geben die Russen fast dreimal so viel aus wie die Ukrainer.