Von vernebelten Hinterzimmern in Kyoto bis hin zu weltweiten Millionenverkäufen – der Aufstieg von Nintendo ist einmalig.
In den vergangenen Jahrzehnten war Nintendo in den Wohnzimmern dieser Welt allgegenwärtig. Pokémon, Donkey Kong, Super Mario, The Legend of Zelda, Wii Sports: einzigartige, bahnbrechende Videospiele mit beispiellosem Charme.
Doch wie schafft es ein Tech-Unternehmen, so lange zu bestehen? Die Geschichte von Nintendo ist eine Geschichte über Anpassungsfähigkeit.
Gegründet wurde die Firma Nintendo am 23. September 1889 in der japanischen Grossstadt Kyoto, wo sie bis heute ihren Sitz hat. Es war die Zeit, in der Thomas Edison die Glühbirne erfand und die letzten Samurai durch die Präfekturen Japans ritten.
Die ersten Jahrzehnte stellte Nintendo traditionelle japanische Spielkarten her – sogenannte Hanafuda-Karten – und wurde schnell zum bekanntesten Hersteller. Heute zählen Hanafuda-Karten zu den gängigsten Kartenspielen für jedermann. Doch im Japan des 19. Jahrhunderts waren sie lange Zeit verboten. Und galten als Unterhaltungsform der Gauner und Gangster.
Verbindungen zu Schattenwelten
Hanafuda-Karten wurden oft im illegalen Glücksspiel eingesetzt. Ihnen haftete der Ruf der Kriminalität und der Nähe zu den Yakuza an, der japanischen Mafia. So wie Nintendos Geschichte mit Hanafuda-Karten verbunden ist, so sind die Spielkarten in Japan seit je mit der Geschichte des organisierten Verbrechens verbunden.
Nintendo fand in den Reihen der Yakuza schnell Käufer, die mit ihren Karten zockten. Das Unternehmen sah eine Marktlücke und bediente sie. Der Nintendo-Gründer Fusajiro Yamauchi hatte seinen Laden in einem Quartier, das von einem der mächtigsten Mafia-Clans beherrscht wurde. Er musste nur vor die Tür treten – und fand schon Interessenten für sein Produkt.
Personale Verstärkung der Extraklasse
Während und nach dem Zweiten Weltkrieg wurde die Nachfrage nach Spielkarten kleiner, und Nintendo wandte sich vom Glücksspiel in verrauchten Hinterzimmern ab. Hiroshi Yamauchi, der Urenkel des Firmengründers, positionierte das Unternehmen in den fünfziger Jahren neu.
Nintendo brauchte einen Imagewandel, verkaufte Instant-Reis und gründete ein Taxiunternehmen. In Japan ist es üblich, dass sich Firmen in branchenfremde Sektoren verzweigen. Mit dem Aufstieg der Computersysteme sah Nintendo eine Gelegenheit, in den Elektronikmarkt einzusteigen. 1977 wurde der Spieledesigner Shigeru Miyamoto eingestellt, der heute weltberühmt ist. Seine Kreationen sollten die Geschichte von Nintendo bleibend verändern.
1985 erreichte die Nintendo-Spielkonsole NES neben dem japanischen auch die amerikanischen und die europäischen Märkte. Der Designer Miyamoto schaffte einen Charakter, der für Nintendo zur Kultfigur und für das Publikum zum grossen Liebling wurde: Super Mario.
Der Klempner mit dem Schnauzbart und der blauen Latzhose erlangte in kürzester Zeit den Status eines Kinderhelden. Die Figur basierte auf dem italienischen Eigentümer eines Lagerhauses, das Nintendo in den frühen Achtzigern in Washington mietete. Das heute ikonische Videospiel Super Mario Bros. verkaufte sich 58 Millionen Mal. Mehr als 20 Jahre lang war es das meistverkaufte Videospiel der Welt, bis es von Wii Sports übertroffen wurde – ebenfalls ein Spiel von Nintendo.
Was Nintendo zu Nintendo macht
Mittlerweile hat sich der Gaming-Markt grundlegend verändert. Nintendo konkurriert nicht mehr mit Herstellern von Brettspielen oder Spielhallenautomaten, sondern mit den milliardenschweren Tech-Giganten Sony oder Microsoft.
Alle drei Konzerne bieten Konsolen an und entwickeln eigene Videospiele. Die Playstation von Sony und die Xbox von Microsoft konkurrieren seit gut 20 Jahren um die Dominanz im Videospielemarkt. Schärfere Grafik, flüssigere Bildrate, höhere Rechenleistung: Die beiden Konsolen übertreffen sich gegenseitig. Nintendo hingegen hat sich aus dem Wettrennen verabschiedet. Die Firma will möglichst günstig sein und baut veraltete Mikrochips in ihre Konsolen, die technisch längst überholt sind. Was die reine Computer-Power betrifft, liegt Nintendos neuste Konsole weit zurück.
Trotzdem verkauft Nintendo dreimal so viele Konsolen wie die Konkurrenz. Die PS5 von Sony wurde 60 Millionen Mal verkauft, die Xbox X von Microsoft etwa 30 Millionen Mal. Nintendos Pendant hingegen, die Nintendo Switch, dominiert seit ihrem Launch die Konkurrenz mit 143 Millionen Verkäufen.
Wenn es also nicht die schicke Grafik oder die Rechenleistung ist, was ist es, das Nintendo abhebt?
Das Geheimnis dürfte auch in Nintendos Anpassungsfähigkeit liegen. Früh beschloss man, dass man mit Microsoft und Sony technisch nicht mithalten will. Und so konzentrierte Nintendo seine Ressourcen auf innovative Ansätze. Die Switch war die erste Konsole, die hybrid funktionierte, mit der man also zu Hause oder unterwegs spielen konnte.
Es war eine Innovation wie 1989, als das Unternehmen den Game Boy entwickelte, die bedeutendste mobile Spielkonsole. Oder 2006, als Bewegungssensoren mit der Konsole Wii salonfähig wurden.
Die Beispiele zeigen, dass Nintendo versteht, wie man eine Nische besetzt und sich dort behauptet. Wie damals, als die Nintendo-Kunden in verrauchten Hinterzimmern Karten spielten. Was damals in den Gassen Kyotos funktionierte, setzt sich heute im globalen Gaming-Markt fort: Nintendo spielt seit 135 Jahren sein eigenes Spiel – und gewinnt.