Soll es nur regnen, drinnen gibt es genug zu sehen: Diese fünf Ausstellungen von Bern über Zürich bis Weil am Rhein entführen in entfernte Welten, loten die Grenzen von Kunst und Raum aus oder widmen sich Turnschuhen mit Kultstatus.
1.
«Matisse – Einladung zur Reise», Fondation Beyeler, Riehen
2.
«Konzepte des All-Over», Haus Konstruktiv, Zürich
3.
«Nike: Form Follows Motion», Vitra Design Museum, Weil am Rhein
4.
«Brasil! Brasil! Aufbruch in die Moderne», Zentrum Paul Klee, Bern
5.
«Archives du Design Romand. Welche Narrative?», Mudac, Lausanne
Nach den grossen Ausstellungen über Paul Gauguin, Claude Monet und Pablo Picasso trumpft die Fondation Beyeler ein weiteres Mal mit einem Highlight im Kunstkalender auf. Rund vier Jahre lang wurde an den Vorbereitungen gearbeitet, um 72 Hauptwerke zu zeigen. So gesellen sich zu den beachtlichen Matisse-Beständen aus der Beyeler-Sammlung – etwa dem «Interieur mit schwarzem Farn» (1948) und ikonischen Scherenschnittwerken mit blauen Akten und Algenmotiven – selten gesehene Werke aus Privatsammlungen und aus amerikanischen Museen; einige haben gar einen Wert von über hundert Millionen Franken.
Baudelaires Gedicht «Einladung zur Reise» ist Ausgangspunkt der Schau über das Schaffen von Henri Matisse (1869–1954), das von seinen Reisen stark geprägt war. Matisse’ Erkundungen von Natur und Kunst in Italien, Spanien, Russland, Marokko, Amerika und Tahiti dienten ihm als Inspiration.
Wurde Matisse’ Œuvre zu Lebzeiten von Kritikern als zu gefällig abgetan, faszinieren heute vor allem seine Bilder. Vom üppig gedeckten Esstisch im Frühwerk «La Desserte» (1896–1897) über das bunt flirrende Fauvismus-Hauptwerk «Luxe, Calme et Volupté» (1904), die Odaliskenbilder und Stillleben mit Früchteschalen, Goldfischgläsern und gemusterten Wohntextilien bis hin zu seinem Spätwerk, den ikonischen Scherenschnitten, bietet die neue, von Raphaël Bouvier kuratierte Retrospektive eine Vielzahl von Themenfeldern für ein breites Publikum. Ein Multimediaraum mit Animationen historischer Reisefotos sowie Einblicken in seine Ateliers und den Entstehungsprozess der Werke schliesst die Schau in zehn chronologisch angereihten Themenräumen ab.
«Matisse – Einladung zur Reise», Fondation Beyeler, Riehen, bis 26. Januar 2025.
Text: Kim Dang
Mit «Konzepte des All-Over» bringt das Haus Konstruktiv eine letzte Schau ins EWZ-Unterwerk Selnau, bevor im Frühjahr 2025 der Umzug ins Löwenbräu-Kunstareal ansteht. Die Ausstellung zelebriert das Ende eines Kapitels und den historischen Industriebau, der für zwei Jahrzehnte dem Museum als Zuhause diente – und die Verbindung von Farben, Formen, Licht und Architektur.
Der Begriff «All-Over» beschreibt in der Kunst die mehr oder weniger einheitlich-flächendeckende Gestaltung eines Bildträgers, die über dessen Grenzen hinausgeht. Unter den raumgreifenden Werken von Carlos Bunga, Carlos Cruz-Diez, Ana Montiel oder Christine Streuli sticht etwa Esther Stockers Raumintervention «A Space for Thoughts» hervor – das exemplarisch für die Einbindung der Museumsarchitektur in die Kunst steht.
Sie verpasst der grossen Eingangshalle mit schwarzem Klebeband und bemalten Holzlatten ein orthogonales Liniennetz, das nicht nur die Wände, sondern auch den Boden und die Fenster überzieht. Das geometrische Muster lässt die Grenzen zwischen Kunst und Architektur verschwimmen. Mit dem Effekt einer schwindelerregenden Überforderung, welche die regelmässige Rasterung bei wohl jedem Menschen hervorrufen wird, zeigt Stocker, dass es in einem Raum, der grenzenlos wirkt, auch schwieriger ist, sich zu orientieren.
Die Ausstellung «Konzepte des All-Over» ist ein würdiger Abschied vom alten Standort. Mit ihr wird nicht nur die Nutzung der gesamten Ausstellungsfläche, sondern auch die Kunst selbst auf die Spitze getrieben – und die Besuchenden auf die wunderbare Suche nach Weg und Ausgang geschickt.
«Konzepte des All-Over», Haus Konstruktiv, Zürich, 3. Oktober 2024 bis 13. April 2025.
Text: Sonja Siegenthaler
Kennen Sie Frank Rudy? Wahrscheinlich nicht. Das Produkt, für das er verantwortlich ist, aber bestimmt: Nike. Die Bequemlichkeit der Schuhe ist Rudys Erfindung zu verdanken: Luftkissen in den Sohlen. Sein Gesicht ziert die erste Vitrine der Ausstellung «Nike: Form Follows Motion» im Vitra Design Museum, die sich dem Kultturnschuh widmet. Sie wurde vom Museum initiiert und produziert; Kurator ist der international renommierte Designhistoriker Glenn Adamson.
Wie immer in den Ausstellungen im deutschen Weil am Rhein nahe Basel lohnt es sich, Zeit zum Lesen der Informationen mitzubringen. Man erfährt so etwa, dass in den ersten Modellen Ende der 1970er Jahre die Air-Sohle im Inneren versteckt war. Als sie 1987 mit dem Air Max durch ein Seitenfenster (die «Bubble») sichtbar gemacht wurde, stellte sich der Erfolg ein.
Andere Vitrinen sind berühmten Nike-Trägern wie Michael Jordan und LeBron James gewidmet. Überraschend ist, wie zeitgemäss auch die alten Modelle noch heute wirken. Aber nicht nur Sport- und Sneaker-Addicts kommen hier auf ihre Kosten. Man kann sich auch über innovative und ökologische Materialien informieren, über Sportforschung. Am meisten Raum nimmt aber der Bereich Design ein: Unter dem Motto «Relation» werden hier Kooperationen wie jene mit der Designerin Hella Jongerius 2009, dem Modelabel Comme des Garçons 2018 oder der Graffiti-Künstlerin Claw Money gezeigt. Und wer mag, entwirft dann seinen eigenen Nike-Schuh, zumindest auf dem Papier.
«Nike: Form Follows Motion», Vitra Design Museum, Weil am Rhein, bis 24. Mai 2025.
Text: Malena Ruder
Die Ausstellung «Brasil! Brasil! Aufbruch in die Moderne» erzählt die bewegende Geschichte Brasiliens anhand der Werke von zehn Kunstschaffenden. Beleuchtet wird die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts, eine Zeit des Wandels für die damals noch junge Nation: Nach 67 Jahren Kaiserreich wurde 1889 die Erste Republik mit der Hauptstadt Rio de Janeiro ausgerufen, der Kaffeehandel florierte, die Sklaverei wurde abgeschafft: «Diese Aufbruchstimmung spiegelt sich in Kunst, Literatur, Musik sowie in Design und Architektur wider», heisst es im Begleittext zur Ausstellung. Die Kunstschaffenden wollten sich vom vorherrschenden Kunstkanon des 19. Jahrhunderts lösen und ihre eigene Bildsprache entwickeln.
Nebst der Auseinandersetzung mit der eigenen Kultur und Geschichte suchten sie auch den Austausch mit europäischen Künstlerinnen und Künstlern. Erkennbar sind Einflüsse von Expressionismus, Futurismus und Kubismus: «Brasilianische Kunstschaffende aus wohlhabenden Familien oder mit Reisestipendien reisten für längere Aufenthalte nach Europa – Anita Malfatti nach Berlin oder Tarsila do Amaral, Candido Portinari, Vicente do Rego Monteiro und Geraldo de Barros nach Paris.» Auch Paul Klee war für manchen Künstler eine wichtige Referenz, weshalb der Ausstellungsort in Bern passend gewählt ist.
Kuratiert wurde die Ausstellung von Fabienne Eggelhöfer vom Zentrum Paul Klee in Bern und von Roberta Saraiva Coutinho aus São Paulo. Noch bis Anfang Januar sind die Werke in Bern zu sehen, danach reist die Ausstellung weiter nach London in die Royal Academy of Arts – das Institut war an der Organisation der Ausstellung beteiligt.
«Brasil! Brasil! Aufbruch in die Moderne», Zentrum Paul Klee, Bern, bis 5. Januar 2025
Text: Lea Hagmann
Das Mudac gehört zum Museumskomplex Plateforme 10 in unmittelbarer Nähe des Lausanner Bahnhofs. Die gegenwärtige Ausstellung heisst «Archives du Design Romand. Welche Narrative?» und leistet designhistorische Rückschau, Gegenwartsblick und Ausblick gleichermassen. Gezeigt wird ausschliesslich Design aus der Westschweiz.
Die Ausstellung versteht sich als lebendige Plattform, in der während der Ausstellungsdauer Schwerpunkte geschärft und Debatten angeregt werden sollen. Unterstützt wird dieser Prozess durch die Residenz des «Studio oio»: Das Kreativstudio will neue, zeitgemässe (Archiv-)Zugänge schaffen. Auch finden Vorträge, Gespräche und Round Tables zu sechs Themenschwerpunkten statt. Zu diesen wurden Designschaffende unterschiedlicher Gebiete – wie Mode, Industriedesign, Vermittlung oder Grafikdesign –, aber auch Journalistinnen oder Historiker eingeladen.
Vielseitige Interessen der Besucherinnen können in dieser Ausstellung befriedigt werden: die Lust an der reinen Übersicht im Hinblick auf Westschweizer Design und natürlich die Reflexion darüber, was institutionelles Sammeln auch noch bedeuten und wie Sammlungen zukünftig präsentiert werden könnten.
«Archives du Design Romand. Welche Narrative?», Mudac, Lausanne, bis 25. Januar 2025.
Text: Rike Hug