Nach der Kritik des Schweizers präsentiert sich der Meister verbessert. Doch von der Souveränität der Vorsaison ist das Team noch weit entfernt.
Die erste Reaktion nach dem Abpfiff verriet beinahe alles über das Spiel. Die einen ballten die Fäuste, die anderen winkten ab. Die einen, die die Fäuste ballten und offenbar recht zufrieden waren mit ihrem Auftritt, das waren die Leverkusener.
Die, die abwinkten, waren die Bayern. Beide hatten gute Gründe, so zu reagieren, denn für die Bayern wäre weit mehr möglich gewesen als ein 1:1 nach dem Tor von Robert Andrich für Leverkusen und dem spektakulären Ausgleich durch Aleksandar Pavlovic. Die Leverkusener aber hatten augenblicklich begriffen, dass dies ein Ergebnis war, wie es besser für sie an diesem Nachmittag nicht hätte sein können. Und das war, gemessen an den Erwartungen, oder besser: an den Befürchtungen, eine ganze Menge.
Denn der Meister war zwar mit drei Siegen und einer Niederlage nicht katastrophal in die Saison gestartet, doch die Art und Weise, wie die Mannschaft auftrat, gab dem Trainer Xabi Alonso Grund zur Sorge. Leverkusen war ja nicht einfach nur der Titelverteidiger, der in der vergangenen Spielzeit das Kunststück fertiggebracht hatte, die Meisterschaft ohne eine einzige Niederlage zu gewinnen. Leverkusens Spiel zeichnete sich durch eine Besonderheit aus: die bedingungslose Hingabe. Nicht nur über 90, sondern zur Not über 96, 97 und 98 Minuten.
Die letzte Saison ist nicht zu übertreffen
Die späten Tore waren die Signatur des Meisters, doch dies wäre nicht möglich gewesen, hätten sie nicht über ein gesamtes Spiel diese Gier gezeigt, den Willen, dem Gegner gar nichts zu schenken. Alonsos Team war eine geradezu monströse Verkörperung von Einsatzbereitschaft, wie sie diese Liga zuvor nicht gesehen hatte.
Eine solche Saison zu übertreffen, ist unmöglich. Und deshalb wird bei Leverkusen besonders genau hingeschaut, auf Details geachtet, die anderswo gar nicht so sehr zählen. Nur waren es bisher nicht nur Kleinigkeiten, die dem Trainer Anlass zur Sorge gaben. In der letzten Woche hatte seine Mannschaft 4:3 gegen Wolfsburg gewonnen, sie hatte wieder einmal ein spätes Tor erzielt. Und doch war eine gewisse Laxheit zu beobachten. Die Bereitschaft, das eigene Tor zu verteidigen, schien längst nicht mehr so gross wie in der Meistersaison.
Granit Xhaka, der Leader, verharrte nach dem Spiel gegen Wolfsburg vor jedem Mikrofon, das ihm in den Weg gestellt wurde. Und Xhaka gab bereitwillig Auskunft über die Defizite. «Wir können nicht so naiv verteidigen. Das reicht nicht und darf auf diesem Niveau nicht passieren. Das ist ein Riesen-Weckruf für uns alle», sagte Xhaka in einem TV-Interview, und er wiederholte diese Diagnose in vielen Variationen. Eine Spitzenmannschaft, so Xhaka, kassiere nicht zwei Gegentore in neun Minuten.
Xhaka gab sich am Samstag versöhnlicher
Am Samstag gab sich Xhaka nach dem Abpfiff versöhnlicher, und auf die Frage, wie zufrieden er mit diesem Auftritt sei, sagte er, dass das allein schon das Ergebnis zeige: «Wir haben wesentlich besser verteidigt, über das gesamte Spiel hinweg.» Auch dieser Befund war durchweg richtig. Aber er drückte nicht viel mehr aus als eine erste Erleichterung darüber, dass der Erosionsprozess einstweilen gestoppt wurde.
Man muss sich bloss einmal in Erinnerung rufen, woher Leverkusen kommt: Beim letzten Match gegen die Bayern wurde der Rekordchampion mit 3:0 demontiert. Von dieser Form aber ist Leverkusen gegenwärtig weit entfernt, so weit, dass man beinahe vergessen konnte, dass es die Bayern sind, die die Rolle des Herausforderers einnehmen.
Bayern-Trainer Kompany lobt Leverkusen
Für die Münchner ist dies ungewohnt genug, doch für den neuen Trainer Vincent Kompany hat die Situation einen Vorteil: Die Erwartungen waren niedriger als sonst, was auch damit zu tun hatte, dass die Skepsis gegenüber seiner Verpflichtung nicht gerade klein war. Nach dem Spiel zeigte sich der Belgier nicht unzufrieden, selbst der Umstand, dass seiner Mannschaft, die so dominant aufgetreten war, im Leverkusener Strafraum nicht viel gelang, irritierte ihn nicht: «Ich glaube, wir müssen auch darauf schauen, wie gut Leverkusen das gemacht hat.»
Ein Lob für die Abwehrarbeit des Titelverteidigers: Auch das ist eine Möglichkeit, den eigenen Anspruch zu formulieren. Als sein Kollege Xabi Alonso, der Meistertrainer, gefragt wurde, was die Bayern von denjenigen der Vorsaison unterscheide, die seinem Team 0:3 unterlagen, sagte er: «Die Energie, der Glaube, das kann man fühlen.» Für einen Augenblick klang das so, als habe er über seine Mannschaft aus der letzten Saison gesprochen.