Ludovic Waeber ist in seiner Karriere fast immer misstrauisch beäugt worden, auch bei den ZSC Lions. Jetzt ist er mit 28 die unumstrittene Nummer 1 im EHC Kloten. Und einer der wichtigsten Faktoren für den starken Saisonstart des Underdogs.
«Eine Frechheit», entfährt es Ludovic Waeber. Die Frage war, wie es bei den Florida Everblades gewesen sei, einem Team der sagenumwobenen drittklassigen East Coast Hockey League. Dorthin war der Torhüter im März abgeschoben worden. «Ich bin kurz vor dem Anpfiff angekommen und hatte kein einziges Training. Es war absurd», sagt Waeber.
Es war der Tiefpunkt eines unerwarteten Abenteuers, zu dem Waeber im letzten Herbst aufgebrochen war. Zur allgemeinen Verwunderung sagten sich die Florida Panthers: Von allen in der National League unter Vertrag stehenden Goalies hätten wir gerne die Nummer 2 der ZSC Lions. Florida überwies für die Übernahme die Standardentschädigung von 260 000 Dollar nach Zürich. Um Waeber vom Wechsel zu überzeugen, bot das Management in einem Video-Meeting unter anderem den früheren Superstar Roberto Luongo und den als Berater engagierten Goalieflüsterer François Allaire auf – eine inzwischen ergraute Eminenz, die einst grossen Anteil an den steilen NHL-Karrieren der Schweizer Torhüter David Aebischer, Martin Gerber und Jonas Hiller hatte.
Die Prominenz wäre nicht nötig gewesen: Für Waeber ist klar, dass er sich diese Chance nicht entgehen lassen will. Zumal die Alternative ist, beim ZSC hinter der Nummer 1 Simon Hrubec ein bisschen das Törchen zur Bande aufzuklappen.
Kloten zog Waeber dem Servettien Gauthier Descloux vor – es scheint eine weise Entscheidung gewesen zu sein
Finanziell hat sich das Abenteuer für ihn nicht gelohnt – sein AHL-Salär lag bei 85 000 Dollar, davon geht knapp die Hälfte für Steuern und Abgaben drauf. Und auch sportlich klappte wenig: 15 Spiele mit sehr mittelmässigen Statistiken für Charlotte, dann das Intermezzo in der East Coast Hockey League und letztlich ein Wechsel in die Organisation Pittsburghs, wo das Farmteam auch wenig Verwendung für ihn fand. Waeber sagt: «Es war mental kein einfaches Jahr. Aber ich habe viel gelernt und bin reifer geworden.»
Der Profiteur dieser Entwicklung ist der EHC Kloten. Klotens Chefetage hat viel Energie darauf verwendet, Waeber vom Lokalrivalen ZSC loszueisen, wo dieser noch bis 2025 unter Vertrag gestanden hätte. Die Bemühungen waren erfolgreich, bestimmt auch weil Kloten den Zürchern auf Sicht nicht ernsthaft gefährlich werden kann. Die Klubs spielen zwar in der gleichen Liga, aber es trennen sie Welten.
Nach dem Aufstieg von 2022 vertraute Kloten zwei Jahre lang auf den Finnen Juho Metsola. Doch im Kader gibt es so viele Problemfelder, dass in den Monaten die Überzeugung reifte, nach Möglichkeit keine Ausländerlizenz mehr für die Torhüterposition zu verwenden. Kloten hätte Gauthier Descloux verpflichten können, den Schlussmann von Genf/Servette. Doch als dieser zögerte, ein Bekenntnis zum Klotener Projekt abzugeben, fokussierte sich der Verein voll auf Waeber. Es dürfte der richtige Entscheid gewesen sein: Descloux ist schon wieder verletzt.
Waeber hat derweil seine ersten vier Spiele für Kloten allesamt gewonnen, die Abwehrquote liegt bei famosen 95,04 Prozent. Zum Vergleich: In der zumeist qualvollen Saison 2023/2024 hatten sich die Klotener bis zur 13. Runde gedulden müssen, um vier Spiele zu gewinnen. Nun gelang das schon am zweiten Wochenende. In Kloten kündigt sich für den Moment ein milder Herbst an.
Es ist auch Waebers Verdienst, dass Kloten neben den Lakers die positive Überraschung der noch sehr jungen Saison ist. Es wirkt, als ob sich da zwei gefunden hätten, die beide Kraft und Motivation daraus schöpfen, dass man ihnen wenig zutraut. Das gilt für Kloten, einen Klub, der nach sehr chaotischen Monaten mit vielen ruckartigen Richtungswechseln erst wieder Goodwill aufbauen muss. Und es gilt für Waeber, dem in seiner Karriere wenig geschenkt wurde, vielleicht sogar: nichts.
Bei den ZSC Lions übertraf Waeber alle Erwartungen – und war trotzdem nur zweite Wahl
Waeber ist in Freiburg gross geworden, im Sog Gottérons. Er entdeckte den Sport im Alter von fünf Jahren bei einem Matchbesuch mit seinem Vater, obwohl die Familie eher dem Fussball zugewandt war: Sein Grossvater Jean-Claude Waeber hatte den FC Bulle als Trainer einst bis in die Nationalliga A geführt. Doch der Enkel ist sofort fasziniert von der Erscheinung der Goalies im Eishockey – namentlich vom damaligen Gottéron-Torhüter Gianluca Mona. Waeber sagt: «Ich begeisterte mich damals sehr für Superhelden. Power Rangers, Spiderman, Batman, Hulk. Und für mich sahen die Torhüter mit ihrer Ausrüstung genau so aus. Also wollte ich selbst Goalie werden.»
Er verwirklichte sich den Traum, musste aber sehr lange darauf warten, dass wirklich ein Klub auf ihn setzte. Bei Gottéron war er fünf Winter lang bestenfalls zweite Wahl und wurde oft in die Swiss League verliehen. In Zürich übertraf er alle Erwartungen, trotzdem wurde ihm bei erster Gelegenheit erst Jakub Kovar und dann Simon Hrubec vor die Nase gesetzt. Er ist ein zu wohlerzogener junger Mann, als dass er sich darüber beschweren würde: «Ich habe dem ZSC viel zu verdanken», sagt er.
In Kloten hat Waeber für zwei Jahre unterschrieben; es ist das erste Mal, dass er in einem National-League-Klub die unumstrittene Nummer 1 ist. Manche in der Branche sagen, diese zwei Winter seien de facto ein Testlauf dafür, ob Waebers Schultern breit genug seien, um eine Equipe dauerhaft tragen zu können – Kloten ins Play-in beispielsweise. Es ist jedenfalls kein Geheimnis, dass seine Entwicklung bei Gottéron aufmerksam verfolgt wird, seinem Stammklub, wo der Vertrag des Nationalmannschaftsgoalies Reto Berra interessanterweise ebenfalls 2026 endet.
«Null Sekunden» verschwende er an solche Gedankenspiele, sagt Waeber, wenn das Eishockey ihn etwas gelehrt habe, dann, dass man im Moment leben müsse, weil sowieso alles anders komme, als man denke. Und doch: In seiner derzeitigen Verfassung ist Waeber nicht nur ein Glücksgriff für Kloten. Sondern könnte sehr bald auch wieder fürs Nationalteam interessant werden, für das er bisher nur vier Testspiele bestritten hat.