Die neue Vergabe des Auftrags zur Reinigung städtischer Gebäude wirft Fragen auf.
Zürich ist eine sehr saubere Stadt mit einem unübersehbaren Makel. Gerade für ausländische Besucher ist er so offensichtlich, dass er in sozialen Netzwerken immer wieder Anlass zu Diskussionen gibt. Das beginnt jeweils mit der verwunderten Feststellung, dass in dieser sonst so aufgeräumten Stadt auffallend viele Wände versprayt seien.
Die Thesen folgen auf dem Fuss: Ist es den lokalen Behörden egal? Scheuen sie den Konflikt mit den Fussballfans, die überall ihre Spuren hinterlassen? Oder ist das Laisser-faire das Erbe von Harald Naegeli, dem Pionier der 1970er Jahre, dessen illegale Sprayereien nachträglich in den Kunstrang erhoben wurden?
Auf dem Papier lautet die Antwort auf all diese Mutmassungen: Nein. Die offizielle Politik der Stadt Zürich sieht keine Duldung von illegalen Graffiti vor.
Für private Hauseigentümer bietet die Stadt seit fast zwanzig Jahren eine Art Versicherung gegen Graffiti an. Diese kostet 580 oder 1070 Franken im Jahr, je nach Art der Fassade. Rassistische oder sexistische Schmierereien und dergleichen werden sogar gratis entfernt.
Auch von den vielen hundert städtischen Gebäuden, darunter Schulen oder Amtshäuser, sollen Sprayereien laut offizieller Anti-Graffiti-Strategie unverzüglich entfernt werden – ohne Diskussion über ihren künstlerischen Wert.
Im Rahmen eines Gerichtsverfahrens ist allerdings kürzlich der Vorwurf erhoben worden, dass sich die Stadt nicht seriös um diese Aufgabe kümmere. Gesagt hat dies der Chef jener Firma, die in den vergangenen Jahren den Auftrag hatte, die städtischen Gebäude mit einem Schutzanstrich gegen Graffiti zu behandeln und versprayte Fassaden zu reinigen.
Der Mann ist nicht unbefangen: Sein Unternehmen, ein Limmattaler Malerbetrieb, hat den Job an ein Stadtzürcher Reinigungsunternehmen verloren, als der Auftrag für die Jahre 2024 bis 2028 neu vergeben wurde. Als er diesen Entscheid vor dem Zürcher Verwaltungsgericht anfocht und die Stadt kritisierte, verfolgte er also ein wirtschaftliches Interesse. Und er ist damit abgeblitzt.
70 Prozent tiefere Kosten, als die Stadt erwartet hat
Dessen ungeachtet wirft der Fall Fragen auf, denn im Rahmen des Verfahrens wurde bekannt, wie viel die Stadt künftig für den Schutz vor Graffiti und die Reinigung zahlt: Es ist ein Schnäppchenpreis.
Die Behörden rechneten vor der Vergabe aufgrund ihrer Erfahrungswerte damit, dass sie für diesen Service etwa 720 000 Franken pro Jahr zahlen müssten. Stattdessen sind es jetzt gerade einmal 225 000 Franken, also fast 70 Prozent weniger.
Dies in einer Zeit, in der Handwerker wegen der allgemeinen Teuerung fast durchs Band ihre Preise erhöht haben. Und bei einem Auftrag, der angeblich nicht viel Spielraum erlaubt, weil etwa das Schutzmittel, das verwendet werden muss, von der Stadt vorgeschrieben wird.
Es ist auch nicht so, dass es wenig zu tun gäbe, weil die Sprayer in der Stadt plötzlich ihre Aktivität eingestellt hätten. Ganz im Gegenteil. Eine verlässliche Statistik existiert zwar nicht, aber die Meldungen auf der Plattform «Züri wie neu», wo Bürgerinnen und Bürger Schäden an der städtischen Infrastruktur melden können, sprechen eine klare Sprache.
Laut der städtischen Fachstelle Graffiti hat dort im Jahr 2023 die Zahl der Reklamationen wegen Sprayereien bei städtischen Gebäuden und Anlagen um 16 Prozent zugenommen. Im Schnitt habe es 32 Meldungen pro Monat gegeben, auffällig oft wegen Schmierereien von Fussballfans.
Mehr Arbeit für deutlich weniger Geld – entweder hat die Stadt also bisher viel zu viel bezahlt für den Graffitischutz, oder die Rechnung kann künftig nicht mehr aufgehen.
Diesen zweiten Standpunkt vertrat vor Gericht wenig überraschend die Malerfirma, die den Auftrag verloren hatte: Das auffallend tiefe Angebot «wecke Zweifel an einer seriösen Auftragserfüllung», heisst es in den Prozessunterlagen. Die Stadt habe es versäumt, Nachforschungen anzustellen, ob dies überhaupt realistisch sei.
Das Gericht äussert sich nicht zu dieser Frage. Es stellt aber klar, dass der neue Anbieter verpflichtet ist, den Job genau wie bestellt zu erledigen – selbst dann, wenn er sich verrechnet haben sollte. Er dürfte in diesem Fall also keine Abstriche bei der Leistung machen, sondern müsste ein Verlustgeschäft in Kauf nehmen.
Hat die Stadt bislang zu viel bezahlt?
Das Reinigungsunternehmen, das den Auftrag erhalten hat, gibt sich zuversichtlich: Es habe schon richtig kalkuliert, schliesslich erledige es solche Arbeiten schon seit Jahrzehnten.
Damit erhebt die Stadtzürcher Firma zumindest implizit ihrerseits den Vorwurf, dass ihre Vorgänger aus dem Limmattal zu viel verlangt haben. Und dass manche der eingegangenen Angebote für den Auftrag, die um das Fünffache über dem eigenen lagen, nicht zu rechtfertigen sind.
Auf Nachfrage wollen sich die beiden zerstrittenen Parteien nicht mehr zum Thema äussern. Es sind viele Vorwürfe hin und her gegangen, das Misstrauen ist beiderseits gross.
Die städtischen Behörden haben ihre eigene Erklärung dafür, dass der Preis pro Jahr nun derart deutlich unter den eigenen Erwartungen liegt: Eine «Konsolidierung der ausgeschriebenen Leistungen» habe dazu geführt. Gemeint ist damit unter anderem, dass der Vertrag länger läuft als bisher und dass das gleiche Auftragsvolumen nicht mehr wie zuvor in mehrere kleinere Aufträge unterteilt ist.
Ganz egal, ob diese Erklärung überzeugt: Die städtische Graffiti-Fachstelle wäre sicher nicht schlecht beraten, genau hinzuschauen, ob der Auftrag auch zum Sparpreis wie gewünscht erledigt wird.
Oder ob in den sozialen Netzwerken plötzlich wieder vermehrt Geschichten über das Rätsel von Zürich kursieren.