Das London Eye wurde am 10. Oktober 1999 aufgerichtet. Mehr als drei Millionen Touristen besuchen das Wahrzeichen jedes Jahr. Die Architekten des Riesenrads wollten mit dem Eiffelturm konkurrieren – und scheiterten fast mit ihren Plänen.
Big Ben, Tower Bridge, Buckingham Palace, Westminster Abbey: Die englische Hauptstadt London ist voller Wahrzeichen. Doch das beliebteste Ziel für Touristen ist ein 135 Meter hohes Stahlrad. Das London Eye.
Mehr als 3,5 Millionen Touristen besuchen es jedes Jahr. Sie zahlen fast 40 Pfund für ein Ticket, steigen in eine der 32 Gondeln und blicken dabei über die Skyline von London. Die Fahrt dauert rund 30 Minuten. An klaren Tagen reicht der Blick bis zu 40 Kilometer weit – bis zum Schloss Windsor.
Seit 25 Jahren steht das London Eye am Ufer der Themse, zwischen dem britischen Parlament und dem Bahnhof Waterloo. Doch wären die beiden Architekten David Marks und Julia Barfield nicht so beharrlich gewesen, hätte es das Riesenrad nie gegeben.
Eine Jury war vom London Eye nicht begeistert
Marks und Barfield reichten ihr Konzept für das London Eye erstmals 1993 bei einem Wettbewerb der Sunday Times ein. Die Zeitung suchte damals zusammen mit der Stiftung «Architecture Foundation» zur Feier des neuen Jahrtausends ein neues Wahrzeichen.
David Marks hatte hierfür kühne Träume. Er wollte mit einem der bekanntesten Wahrzeichen der Welt konkurrieren – dem Eiffelturm. Eines Morgens habe er plötzlich die passende Idee gehabt, sagte er 2015 in einem Interview mit dem «Guardian». «Mit einem Riesenrad kann man Menschen mühelos und effizient in die Höhe befördern.»
Marks schlug den Hyde Park als Standort vor, wo 1851 die Weltausstellung stattfand. Doch seine Frau Julia Barfield empfahl das South Bank an der Themse. Dort wurde im Sommer 1951 die von der britischen Regierung organisierte Nationalausstellung Festival of Britain durchgeführt. Das Ehepaar war überzeugt, mit diesem Konzept den Wettbewerb zu gewinnen. Die Wettbewerbsjury war hingegen weniger begeistert.
Sie lehnte das London Eye ab, ebenso wie alle anderen eingereichten Ideen. Kein Projekt überzeugte sie. Der Wettbewerb scheiterte.
Mit teuren Projekten ins neue Jahrtausend
Marks und Barfield wollten ihre Idee trotzdem umsetzen. «Wir waren sauer über die Absage. Wir hatten eine grossartige Idee, aber niemand wollte sie weiterverfolgen. Also sagten wir: ‹Lass es uns einfach selbst machen.›» Sie reichten einen Bauantrag ein – es war der Beginn eines langen Weges.
Die beiden Architekten mussten mehrere Instanzen von ihrem Projekt überzeugen. Darunter den Londoner Stadtrat, die Verwaltungsbehörde, die Hafenbehörde, alle Organisationen in London, die mit der Themse und der Umwelt zu tun haben, sowie alle 32 Bezirke der Stadt.
In England war zu dieser Zeit vieles im Wandel. Der Britpop hatte gerade seine Hochphase. Bands wie Oasis, Blur oder The Verve dominierten die englischen Charts und sorgten in der Nation für Aufbruchstimmung. Grossbritannien wollte modern sein und war in vielen Bereichen tonangebend. Besonders die Hauptstadt London prosperierte. Unter Premierminister Tony Blair leistete sich die Stadt teure Projekte, die die Zeitenwende symbolisierten.
In London begann um die Jahrtausendwende ein Boom beim Bau von Hochhäusern, entlang der Themse eröffneten die Fussgängerbrücke Millennium Bridge und die Tate Modern, eines der weltweit grössten Museen für moderne und zeitgenössische Kunst. Diese Bauten prägten das Stadtbild neu und zogen Touristen an. Ein Riesenrad galt als Rückschritt.
Der Prozess zog sich über Jahre hin und stiess auf Widerstand. Kritiker nannten das London Eye einen Schandfleck. Sie befürchteten, dass das Riesenrad das «Herz der Stadt» verschandeln würde.
Die Kosten explodierten
Marks und Barfield verfolgten ihr Projekt trotz aller Kritik unbeirrt weiter. Sie nahmen eine Hypothek auf, um die Finanzierung zu sichern. «Irgendwann stand unser Haus und unser gesamter Lebensunterhalt auf dem Spiel», sagte Marks im Jahr 2015. Eine Kampagne in der Londoner Zeitung «Evening Standard» machte verschiedene Geldgeber auf das Projekt aufmerksam, unter ihnen auch der damalige Chef der British Airways.
Die Fluggesellschaft beschloss, das Wahrzeichen mitzufinanzieren. 1996 wurde das Projekt genehmigt, zwei Jahre später begann der Bau des Riesenrads. In Frankreich fertigten Arbeiter die Einzelteile an. Die Arbeiten dauerten nur 14 Monate, doch die Kosten stiegen von 10 auf 85 Millionen Pfund.
Die steigenden Kosten bestätigten die Kritiker. Sie sahen das London Eye als Symbol für die britische Politik, die sich sinnlos im Kreis drehe. Politiker und Gegner sprachen von einem weiteren «weissen Elefanten», wie es der Millennium Dome einer war. Jener zeltähnliche Show-Komplex sollte ein glanzvoller Höhepunkt der britischen Feierlichkeiten rund um die Jahrtausendwende werden. Er erwies sich mit Gesamtkosten in der Höhe von über 750 Millionen Pfund aber als finanzielles Fiasko. Seit 2005 heisst er O2-Arena, und er ist heute eine beliebte Veranstaltungshalle für Sportereignisse und Konzerte.
Auf die Eröffnung folgte die Schliessung
Das London Eye wurde schliesslich am 10. Oktober 1999 aufgerichtet. Die Einzelteile wurden per Lastkahn auf der Themse transportiert und auf acht schwimmenden Inseln aufgebaut. Riesige Kräne hoben das Riesenrad, das an 136 Stahlseilen angebunden war, zunächst auf 60 Grad an. Es in seine endgültige Position zu heben, dauerte eine Woche. In den folgenden Wochen wurden die 32 Gondeln montiert.
Mit einem pompösen Feuerwerk und einer Lasershow eröffnete der damalige Premierminister Tony Blair das London Eye am 31. Dezember 1999 offiziell. Für die Öffentlichkeit blieb die Attraktion jedoch noch weitere zwei Monate geschlossen. Bei einem Sicherheitstest am Vortag der Eröffnungsfeier entdeckten Fachleute Mängel an der Kupplung einer Gondel. Erst am 9. März 2000 öffnete das Riesenrad für zahlende Besucher.
Ein Symbol Londons
Seither dreht das London Eye im Herzen von London seine Runden und hat sich zu einer festen Institution in der britischen Hauptstadt entwickelt. Seit der Eröffnung haben über 60 Millionen Menschen das Riesenrad besucht, mehr als 5000 Heiratsanträge wurden dort gemacht, und seit 2013 gibt es eine königliche Gondel – zum Gedenken an den 60. Jahrestag der Krönung von Queen Elizabeth II.
Ursprünglich sollte die Attraktion nur fünf Jahre lang auf dem Grundstück des Lambeth Council am Ufer der Themse bleiben. Doch im Juli 2002 erteilte der Stadtrat von Lambeth dem Riesenrad ein dauerhaftes Bleiberecht.
Mittlerweile ist das Riesenrad nicht mehr aus dem Londoner Stadtbild wegzudenken. Die Kritiker sind längst verstummt. Der englische Architekt Richard Rogers sagte einst, das London Eye habe für London das getan, was der Eiffelturm für Paris getan habe. Es habe der Stadt ein Symbol gegeben.