Der Bundesrat prüft bis Ende Jahr alternative Dienstpflichtmodelle, um den Armee- und den Zivilschutz-Bestand langfristig zu sichern. Eine Zusammenlegung von Zivildienst und Zivilschutz hat gute Chancen.
Für Patrik Reiniger, Leiter des Amts für Militär und Bevölkerungsschutz Baselland, funktioniert das heutige Dienstsystem nicht mehr: «Wir werden 2026 vom benötigten Bestand an Zivilschützern nur noch ein Drittel haben.» Reiniger ist auch Vizepräsident der Konferenz der kantonalen Verantwortlichen für Militär, Bevölkerungsschutz und Zivilschutz. Wegen des Klimawandels werden vermehrt Hitzewellen oder Hochwasser erwartet. Wie sollen Katastrophen mit so wenigen Zivilschützern bewältigt werden?
Grund für den tiefen Bestand ist einerseits, dass seit 2021 das totalrevidierte Bevölkerungs- und Zivilschutzgesetz in Kraft ist. Dieses hat die Dienstdauer von Zivilschutzleistenden verkürzt, also von jenen Personen, die nicht militärdiensttauglich sind, aber schutzdiensttauglich.
Dazu komme, dass diese Totalrevision vor der Corona-Pandemie und vor dem Ukraine-Krieg aufgegleist worden sei, sagt Reiniger. «Bund und Kantone mussten neu rechnen und haben gemerkt: Uns fehlen für diese Szenarien die Leute.»
Zivilschutz hat heute schon zu wenig Personal
Der Zivilschutz braucht schweizweit 72 000 Personen, um seine Leistungen zu erfüllen. Diese Zielgrösse wird jedoch schon jetzt nicht mehr erreicht. So lag der Ist-Bestand Anfang 2024 bei 60 000 Schutzdienstpflichten. Gemäss Prognosen des Bundes wird der Bestand bis 2030 auf 50 000 sinken, wenn die Entwicklung so weitergeht und keine Massnahmen ergriffen werden.
Auch die Armee wird in absehbarer Zeit Probleme haben, ihren Bestand zu sichern. Heute hat sie für den Ernstfall noch genug Soldatinnen und Soldaten. Die Anzahl übersteigt gegenwärtig sogar den geforderten Effektivbestand von 140 000 um 7000 Armeeangehörige (Stand 1.1.2023). Gegen Ende des Jahrzehnts wird der Bestand aber sinken. 2028 und 2029 werden als Spätfolge der Militärreform «Weiterentwicklung der Armee» (WEA) jeweils gleich zwei Jahrgänge aus der Militärdienstpflicht entlassen.
Dazu kommt, dass die Armee Jahr für Jahr Militärdienstpflichtige an den Zivildienst verliert. Grund ist, dass 2009 die Gewissensprüfung abgeschafft wurde. Männer, die keinen militärischen Dienst leisten wollen, müssen einen sogenannten «Tatbeweis» erbringen, indem sie einen 1,5-mal so langen Ersatzdienst im Zivildienst leisten. Jedes Jahr sind es rund 6600 Personen, die sich für diesen Weg entscheiden, schrieb der Bundesrat Ende 2023. Geht diese Tendenz so weiter, rechnet der Bund damit, dass ab 2030 die geforderte Anzahl von 140 000 Soldatinnen und Soldaten nicht mehr erreicht wird.
Bis Ende Jahr prüft der Bundesrat deshalb zwei alternative Dienstmodelle: die Sicherheitsdienstpflicht und die bedarfsorientierte Dienstpflicht. Bei beiden Varianten hätte die Armee Priorität, um ihren Bestand zu sichern.
- Sicherheitsdienstpflicht: Zivilschutz und Zivildienst würden fusioniert zu einem Katastrophenschutz. Dieser würde unter anderem technische Hilfe und Logistikleistungen anbieten sowie Betreuungs- oder Pflegeinstitutionen unterstützen. Die Armee wäre wie bis anhin für Schutzaufgaben, Verteidigung und militärische Friedensförderung zuständig. Rettung und Spitalpflege würden jedoch abgebaut und im Katastrophenschutz neu aufgebaut. So hätte die Armee zusätzliche Ressourcen im Bereich Schutz und Verteidigung. Dienstpflichtig wären weiterhin nur Männer. Militärdiensttaugliche, die den Dienst nicht mit ihrem Gewissen vereinbaren können, müssten wie heute einen längeren Dienst in Kauf nehmen. Er ist jedoch nicht wie derzeit automatisch im Zivildienst, sondern in einer Katastrophenschutzorganisation. Wer beim Auswahlverfahren nicht militärdiensttauglich ist, wird dem Katastrophenschutz zugeteilt, wobei hier die Dienstdauer nicht länger wird. Eine längere Dienstdauer hätten nur jene, die Gewissenskonflikte geltend machen.
- Bedarfsorientierte Dienstpflicht: Frauen und Männer wären dienstpflichtig. Damit würde sich der Pool an Dienstpflichtigen verdoppeln. Jedoch würden nur so viele Personen rekrutiert, bis der Bedarf in der Armee und im Zivilschutz gedeckt ist. Für jede Funktion würden die beiden Organisationen die geeigneten Personen auswählen. Die Aufgabenbereiche, Struktur und Organisationen bleiben im Wesentlichen unverändert. In einem vorgängigen Bericht wurde diese Variante als «norwegisches Modell» bezeichnet, da Norwegen so ihre Soldatinnen und Soldaten rekrutiert.
Im Zuge des Berichts zu den alternativen Modellen hat das Verteidigungsdepartement auch eine Umfrage unter 1400 Personen gemacht sowie Anhörungen durchgeführt. Darunter etwa der Wirtschaftsverband Economiesuisse, der Schweizerische Gewerkschaftsbund, Jungparteien und auch Frauenorganisationen. Befragt wurden diese nicht konkret zu den Modellen, sondern zu einzelnen Aspekten. Die Fragen waren unter anderem: Wie hoch ist die Bereitschaft der jungen Generation, Dienst zu leisten? Soll die Dienstpflicht generell auf Frauen ausgeweitet werden? Sollen Dienstpflichtige in den gleichen Bereichen wie heute eingesetzt werden?
Sicherheitsdienstpflicht schneidet am besten ab
Aus den Antworten schliesst der Bund in seinem Bericht, dass die Sicherheitsdienstpflicht mit der Zusammenlegung von Zivilschutz und -dienst zum Katastrophenschutz «relativ gut» abschneidet gegenüber anderen Varianten sowie dem heutigen System. Positiv wurde aufgenommen, dass Frauen nicht dienstpflichtig werden würden. Jedoch fordern verschiedene Seiten, dass die Dienstpflicht flexibler werden müsse und stärker auf Freiwilligkeit setzen sollte.
Die Regierungskonferenz Militär, Zivilschutz und Feuerwehr (RK MZF) spricht sich für die Sicherheitsdienstpflicht aus. Sie würde die Kantone signifikant stärken, um Katastrophen und Notlagen zu bewältigen, sagt Alexander Krethlow, Generalsekretär der RK MZF: «So wäre im Katastrophenschutz alles unter einem Dach: die bisherigen Aufgaben des Zivilschutzes und jene des Zivildienstes.» Das Dienstpflichtmodell müsse dringend angepasst werden, um den dramatischen Rückgang der Bestandeszahlen, insbesondere im Zivilschutz, aufzuhalten: «Die Kantone laufen Gefahr, Katastrophen und Notlagen nicht mehr bewältigen zu können. Das System wird an eine Wand gefahren, wenn wir es so belassen.»
Bereits Ende 2022 forderte ein Vorstoss im Nationalrat, dass Zivildienst und -schutz sofort zusammengelegt werden. Verteidigungsministerin Viola Amherd erklärte damals, dass der Bundesrat erst offene Fragen klären und zusammen mit den Kantonen ein Modell entwickeln wolle. Der Vorstoss würde die Vertiefungsarbeiten zur Sicherheitsdienstpflicht und zur bedarfsorientierten Dienstpflicht verzögern. Er wurde daraufhin abgelehnt.
Obligatorischer Orientierungstag für Frauen
In der Debatte sprach der grüne Nationalrat Fabien Fivaz, Co-Präsident des Zivildienstverbandes Civiva. Er erklärte, dass zwei komplett unterschiedliche Systeme aufeinanderträgen: auf der einen Seite der Zivilschutz, von Kantonen, Gemeinden oder Regionen organisiert, hierarchisch und relativ militärisch, auf der anderen der Zivildienst, der vom Bund auf sehr liberale Weise verwaltet wird. Die «Zivis» würden ihre Arbeit selbst organisieren und fast 70 Prozent der Diensttage im Sozial und Gesundheitsbereich leisten. Eine Zusammenlegung würde entweder den Zivilschutz oder den Zivildienst «zerstören». Civiva findet grundsätzlich, dass Alimentierungsprobleme im Zivilschutz von diesem selbst oder der Armee gelöst werden sollten.
Civiva war bereits gegen eine Änderung, die der Bundesrat vorgeschlagen und der Ständerat in der Herbstsession bestätigt hatte: Zivildienstleistende sollen neu verpflichtet werden dürfen, einen Teil ihres Dienstes im Zivilschutz zu leisten. Dies jedoch als letzte Massnahme, um Bestandeslücken im Zivilschutz zu stabilisieren. Damit müssten jene «Zivis» auch eine Grundausbildung beim Zivilschutz absolvieren, damit sie bei Ereignissen aufgeboten werden können. Diese Vorlage geht nun in den Nationalrat.
Neben den beiden neuen Dienstmodellvarianten prüft der Bundesrat ausserdem, ob Frauen künftig an einem Orientierungstag teilnehmen müssen. Dies wäre «in jedem Fall wünschenswert», um den Frauenanteil in der Armee zu erhöhen, schreibt der Bundesrat. Gemäss Verteidigungsministerin Viola Amherd müsste für so ein Obligatorium jedoch die Verfassung geändert werden. Ebenso bei einer Weiterentwicklung des Dienstmodells. Das letzte Wort hätte also in jedem Fall das Volk.