Der südliche US-Gliedstaat Florida erlebte seit der Pandemie einen unvergleichlichen Boom. Die Häuserpreise verdoppelten sich innert weniger Jahre. Die ständigen Sturmfluten und explodierende Versicherungskosten führen jetzt bei vielen zum Umdenken.
Erst kam «Helene», jetzt «Milton». Und dann?
Das fragen sich immer mehr Bewohner in Tampa Bay, der bis vor kurzem boomenden Metropolregion an der Westküste Floridas. Weil der Hurrikan «Milton» sich in letzter Minute abschwächte und weiter südlich vorbeizog, ist die befürchtete Rekord-Sturmflut diesmal ausgeblieben. Dennoch sorgten Sturmböen und enorme Regenmengen für grosse Schäden in der Region.
Dabei kämpften die Anwohner bis zuletzt noch mit den Folgen des letzten Hurrikans, «Helene». Der peitschte vorletzte Woche das Wasser an die Strände von Tampas Vororten und führte zu gewaltigen Flutschäden in der ganzen Region, in der 3,2 Millionen Personen leben. Tampas Bürgermeisterin Jane Castor nannte «Helene» den zerstörerischsten Sturm, den sie je erlebt habe.
Mehr als ein Dutzend Personen starben, zu grossen Teilen ältere Bewohner, die sich nicht evakuieren lassen wollten. Zehntausende Hausbesitzer müssen Schäden im fünf- oder sechsstelligen Bereich bewältigen: Autos, teure Möbel und Elektrogeräte wurden in der Flut zerstört, die in Amerika sehr beliebten Wände aus Gipskarton sogen sich mit Wasser voll und mussten ersetzt werden. An manchen Strassen türmte sich der Schutt meterhoch, als bereits «Milton» anrückte.
Nur noch weg
In den amerikanischen Medien häufen sich derzeit Berichte über Hauseigentümer aus Florida, die mehrfach von Sturmfluten heimgesucht wurden und nun ihr Haus verkaufen. Manchen fällt das schwer, weil sie ihr Haus mit Gewinn abstossen wollten – und jetzt keinen Käufer finden. Frühere Flutschäden schrecken potenzielle Neuzuzüger ab. Hinzu kommt, dass in Florida in den vergangenen Jahren sehr viel gebaut wurde – zu viel, wenn nun die Nachfrage wegbricht.
Für viele Einwohner von Floridas Golfküste eine neue Erfahrung. Sie hatten sich daran gewöhnt, dass der Wert ihrer Immobilie ständig steigt. Der Sunshine State hat in den vergangenen Jahrzehnten einen Dauer-Boom und starke Zuwanderung erlebt. Rentner, aber zusehends auch jüngere Amerikaner verliessen New York, Philadelphia oder Chicago, um sich in Süden ein Traumhaus zu kaufen. Die Immobilien waren günstiger, das Klima wärmer, die Aussicht auf das Meer und kleine Buchten grandios.
Schon vor der Pandemie 2020 hatten die Verkaufspreise die alte Höchstmarke aus der Zeit vor der grossen Finanzkrise 2007/08 übertroffen. Doch erst nach dem Ausbruch von Corona ging es richtig los: In Massen zogen die Amerikaner nach Florida. Die Arbeit konnten sie jetzt ja von zu Hause aus erledigen. Die tieferen Steuern und die lockeren Corona-Regeln in Florida sahen viele als Vorteil gegenüber Städten wie New York. In der Tampa Bay haben sich die Verkaufspreise für Häuser zwischen 2018 und 2024 verdoppelt.
Plötzlich sinken die Preise
Jetzt scheint der Trend gebrochen. In der Gegend um Cape Coral, das wie Tampa an der exponierten Westküste Floridas liegt, treten die Preise an Ort und Stelle, seit der Hurrikan «Ian» 2022 den Landstrich verwüstete. Rechnet man die starke Inflation der vergangenen drei Jahre heraus, sind die Transaktionspreise sogar rückläufig. Auch in Tampa hat sich der Immobilienmarkt schon vor «Helene» und «Milton» abgekühlt.
Ist Floridas Betongoldrausch zu Ende? In manchen Gegenden des Sunshine State, unter anderem in Tampa, gehören jetzt Profi-Investoren zu den eifrigsten Verkäufern – ein ominöses Zeichen. Ganz so eindeutig ist es jedoch nicht. Im Grossraum Miami, der weiterhin reiche Neuzuzüger anzieht und über einen attraktiven Arbeitsmarkt verfügt, steigen die Preise weiter.
Ohnehin sorgen zerstörerische Hurrikans nicht immer für einen Preiszerfall. Manchmal haben sie den gegenteiligen Effekt und treiben die Gentrifizierung voran: Florida hat seine Bauordnung im Lauf der Jahre verschärft, weshalb neuere Häuser starken Sturmwinden eher widerstehen. Ältere Häuser erleiden dagegen oft einen Totalschaden – die ursprünglichen Eigentümer können sich den Wiederaufbau nicht leisten und verkaufen ihr Land an Immobilienfirmen oder reichere Neuzuzüger. Die Lokalmedien sind voll von Klagen langjähriger Anwohner, der Charakter ihres Quartiers habe sich mit jedem Hurrikan unwiederbringlich verändert.
Teure Versicherung
Ein Grund für die steigenden Flutschäden in Florida ist zweifellos der Klimawandel: Je wärmer es in der Karibik wird, desto mehr Wasser können die Hurrikans aufnehmen, bevor sie auf Floridas Küste treffen und es dort als Regen wieder abgeben. Doch verschlimmerten die Immobilienentwickler und die örtlichen Behörden das Problem massiv, weil sie Millionen in flutgefährdete Gegenden knapp über dem Meeresspiegel ziehen liessen. Vielerorts führt die zunehmende Versiegelung des Bodens dazu, dass Regenwasser nicht versickern kann und sich stattdessen in Keller und Erdgeschosse ergiesst.
Auch Hausbesitzer, die bisher von Hurrikans verschont worden sind, spüren die Folgen dieser Fehlplanung, weil ihre Gebäudeversicherung immer mehr kostet. Gemäss Zahlen des Insurance Information Institute zahlten die Bewohner Floridas 2023 im Schnitt mehr als 6000 Dollar pro Jahr – mehr als dreimal so viel wie Amerikaner in anderen Gliedstaaten jeweils berappen müssen. Eigentliche Flutschäden sind in diesen Policen noch gar nicht enthalten und müssen zusätzlich versichert werden. Viele Eigentümer zahlen drei- bis viermal höhere Prämien als noch vor wenigen Jahren.
Die Gebäudeversicherer haben mit den Preiserhöhungen auf die Milliardenverluste reagiert, die sie seit 2017 in fast jedem Jahr geschrieben haben. In den vergangenen Jahren hatte sich die republikanische Regierung von Gouverneur Ron DeSantis – der sich damals Chancen auf die Präsidentschaftskandidatur ausrechnete – wegen der steigenden Prämien bereits mit der Branche gestritten.
Die Gliedstaaten der USA müssen die Versicherungsprämien jeweils genehmigen, in Florida haben sie das zeitweise nicht mehr getan. Zahlreiche Versicherer haben den Gliedstaat in der Folge verlassen. Florida bietet zwar eine staatliche Auffangversicherung für Hausbesitzer an, diese droht wegen der Häufung von schweren Sturmschäden aber ihrerseits in Finanzierungsprobleme zu geraten. Eine nachhaltige Lösung dürfte es ohnehin nicht sein, wenn Floridas Steuerzahler die Hausbesitzer subventionieren.
Für die Bauindustrie und die Tagelöhner, die Floridas Küstenstädte nach jedem Hurrikan vom Schutt befreien und wieder neu aufbauen, versprechen «Helene» und «Milton» viel Arbeit und gute Geschäfte. Als Ganzes steht Florida aber vor dem Scheideweg. Jeder Hurrikan stellt die alte wirtschaftliche Erfolgsformel des Gliedstaates, günstige Häuser für ganz Amerika an die Küste zu stellen, infrage. Irgendwann könnte der Zustrom an Zuwanderern versiegen.