Das Gesundheitswesen gleicht einem «All you can eat»-Buffet. Damit sich das ändert, müssen die richtigen Sparanreize gesetzt werden. Die Stimmbürger haben im November die Möglichkeit dazu.
Schon wieder steigen die Krankenkassenprämien! Viele Schweizerinnen und Schweizer haben mit einem Stossseufzer auf die jüngsten Ankündigungen des Bundesrates reagiert. Im nächsten Jahr gibt es den dritten Prämienschub in Folge. Innert weniger Jahre haben sich die durchschnittlichen Krankenkassenprämien um rund 20 Prozent verteuert. Wo soll das nur hinführen?
Wie bei jedem Prämienanstieg setzt nun auch wieder das Wehklagen über die hohen Gesundheitskosten ein. In der Politik beginnt ein Festival der Schuldzuweisungen.
Doch Jammern hilft nicht weiter. Die Lage im Gesundheitswesen ist besser, als es scheint. Einerseits sind die hohen Ausgaben nicht einfach zum Fenster hinausgeworfenes Geld; sie bringen den Menschen auch viel. Anderseits können Politik und Stimmbürger etwas gegen übermässiges Kostenwachstum tun – eine Gelegenheit dazu bietet sich schon bei der Abstimmung zur Efas-Gesundheitsreform im November.
Hohe Kosten, hoher Nutzen
In der Öffentlichkeit wird meist nur auf die Kosten des Gesundheitswesens geschaut. Gewiss, die Schweiz gibt derzeit 92 Milliarden Franken pro Jahr für die Gesundheitsversorgung aus, das sind knapp 12 Prozent der Wirtschaftsleistung. Vergessen geht angesichts dieser Zahlen aber meist, dass das Gesundheitswesen auch Nutzen stiftet.
Das verdeutlicht ein Gedankenexperiment. Würden Sie lieber im Jahr 1966 leben als heute? In den 1960er Jahren gab der durchschnittliche Schweizer Haushalt erst 5 Prozent seines Budgets für die Gesundheitspflege aus. Dafür verwendete er die Hälfte seines Geldes für die Grundbedürfnisse Essen und Kleidung. Die Lebenserwartung lag bei knapp 70 Jahren für Männer und 75 Jahren für Frauen.
Heute geben die Schweizer Haushalte deutlich mehr für die Gesundheit aus, im Durchschnitt sind es 15 Prozent. Dafür reichen 17 Prozent ihres Budgets, um Lebensmittel und Kleider zu kaufen. Die Menschen leben länger, Männer in der Schweiz können bei Geburt mit 82 Jahren rechnen und Frauen mit 86 Jahren. Für welche Welt würden Sie sich entscheiden?
Das Gedankenexperiment macht deutlich, dass die moderne Medizin den Menschen viele Segnungen gebracht hat. Die Lebenserwartung ist auch deshalb gestiegen, weil heute beispielsweise zahlreiche Krebsarten, die noch vor einigen Jahrzehnten ein Todesurteil bedeuteten, häufig geheilt werden können.
Kein Wunder, steigt die Nachfrage nach medizinischen Dienstleistungen. In allen Gesellschaften geben die Menschen mit steigendem Wohlstand weniger für Grundbedürfnisse wie Nahrung aus und leisten sich stattdessen mehr «Luxusgüter» wie Gesundheit. Diese Entwicklung hat auch die Schweiz in den letzten Jahrzehnten erlebt.
Keine Anreize zum Sparen
Doch im Gesundheitswesen gibt es auch einen grossen Haken. Fast niemand hat einen Anreiz, darauf zu achten, dass das Geld stets sinnvoll eingesetzt wird. Es ist wie bei einem «All you can eat»-Buffet: Jeder nimmt, so viel er kann. Das gilt für die Ärzte, Spitäler und Krankenversicherer – aber auch für die Versicherten, also uns alle. Zwar steht im Gesetz, dass von der Allgemeinheit bezahlte medizinische Leistungen «wirksam, zweckmässig und wirtschaftlich» sein müssen. Aber in der Praxis ist das oft toter Buchstabe. Es wird zu viel gemacht und zu teuer abgerechnet, denn es bezahlen ja «die anderen».
Das Grundproblem des Gesundheitswesens liegt deshalb nicht in den hohen Kosten an sich. Es besteht im Drang zur Mengenausweitung – wir konsumieren mehr Leistungen. Die Kosten stehen oft nicht im Einklang mit dem Nutzen. Laut Experten könnten bis zu 30 Prozent der Gesundheitsausgaben eingespart werden, ohne dass die medizinische Qualität litte.
Entscheidend ist daher, dass die Anreize im Gesundheitswesen richtig gesetzt werden. Alle müssen ein Interesse am Sparen und an einem effizienten Mitteleinsatz haben. Zum Glück ist das kein Ding der Unmöglichkeit. In der Schweiz sind verschiedene Reformen in diese Richtung auf dem Weg.
Sinnvolle Erhöhung der Mindestfranchise
Ein erstes Beispiel betrifft die Anreize der Versicherten, nur wenn nötig zum Arzt zu gehen. Die populäre Sicht, dass die Gesundheit zu wichtig sei, als dass das Portemonnaie den Ausschlag gäbe, stimmt nicht. Menschen nehmen weniger Gesundheitsleistungen in Anspruch, wenn sie einen grösseren Teil der Rechnung selbst bezahlen müssen. Das haben Studien auch für die Schweiz gezeigt.
In der Politik sind Bestrebungen im Gang, diesen Mechanismus zu nutzen. Der Ständerat möchte die Mindestfranchise erhöhen – das ist der Betrag, den Krankenversicherte im Minimum jährlich an ihre eigenen Gesundheitskosten bezahlen müssen. Der Bundesrat begrüsst das Vorhaben. Wenn die Mindestfranchise von derzeit 300 Franken auf beispielsweise 500 Franken steigen würde, hätte dies einen deutlichen Spareffekt: Laut einer Studie der Universität Basel liessen sich so die Gesundheitskosten – und damit die Krankenkassenprämien für alle – um 1,2 Milliarden Franken pro Jahr senken.
Die Linke bekämpft den Vorstoss als eine «frontale Attacke auf die Solidarität». Aber die Kritik geht fehl. Die Mindestfranchise ist seit zwanzig Jahren nicht mehr erhöht worden – obwohl sich die Gesundheitskosten in dieser Zeit verdoppelt haben. Zudem hat sich die Solidarität im Gesundheitswesen vergrössert. Der Anteil der Gesundheitskosten, den die Allgemeinheit trägt, ist seit 1996 von 45 auf 58 Prozent gestiegen. Umgekehrt zahlen die Schweizer heute weniger aus der eigenen Tasche, die Selbstzahlungen sind von 29 auf 21 Prozent gesunken. Es hat eine schleichende Kollektivierung stattgefunden. Da scheint eine Rückbesinnung auf mehr Eigenverantwortung richtig.
Einheitskasse als Irrweg
Ein zweites Beispiel sind die Krankenkassen. Bei jedem Prämienschub äussern die linken Parteien, es müsse jetzt die Einheitskasse her, denn so liessen sich die Kosten senken.
Doch die Einheitskasse ist ein Irrweg. Das zeigt nur schon der Blick ins Nachbarland Österreich. Dort hatte der bürgerlich-konservative Bundeskanzler Sebastian Kurz im Jahr 2018 die Schaffung einer Einheitskrankenkasse angekündigt und Einsparungen von 1 Milliarde Euro versprochen. Aber der Rechnungshof kam einige Jahre später zu einem vernichtenden Fazit: Die versprochene Milliarde sei nirgends zu finden, die Kosten des Krankenkassenwesens seien durch die Fusion sogar gestiegen.
Wie sollte es auch anders sein? Eine Einheitskasse hat keinen Anreiz, auf Sparsamkeit zu achten – die Kunden können ihr ja nicht davonlaufen. Der richtige Weg für die Schweiz liegt deshalb im Gegenteil: Die Krankenkassen brauchen mehr Freiheiten. Heute liefern sie sich in weiten Teilen einen Pseudowettbewerb, weil sie in der Grundversicherung nur das praktisch gleiche regulierte Produkt anbieten können.
Mehr Freiheiten bedeutete zum Beispiel, dass der Vertragszwang abgeschafft würde. Die Krankenkassen wären nicht mehr gezwungen, mit schlechten oder überteuerten Ärzten und Spitälern zusammenzuarbeiten – und könnten den Versicherten attraktive Modelle anbieten. Es entstünde ein wirksamer Wettbewerb, der die Gesundheitskosten senken würde. Vorstösse in diese Richtung sind ebenfalls im Parlament hängig.
Einheitliche Finanzierung beseitigt Fehlanreize
Ein drittes Beispiel ist die Efas-Reform, über die das Volk am 24. November abstimmen wird. Es handelt sich um die wichtigste Reform im Gesundheitswesen seit langem. Ihr Hauptziel ist die Beseitigung von Fehlanreizen. In der Schweiz werden immer noch zu viele Behandlungen stationär im Spital durchgeführt, obwohl es ambulant ohne Qualitätseinbussen günstiger ginge. Eine Arthroskopie des Kniegelenks beispielsweise kostet ambulant weniger als halb so viel wie stationär.
Aber bis jetzt haben die Krankenkassen kaum einen Anreiz, auf ambulante Behandlungen zu drängen. Sie zahlen dann nämlich 100 Prozent der Kosten, während es bei stationären Behandlungen nur 45 Prozent sind (und die Kantone die restlichen 55 Prozent übernehmen). Die einheitliche Finanzierung von ambulanten und stationären Leistungen (Efas) würde diesen Fehlanreiz beseitigen, indem es für alle Behandlungen den gleichen Kostenschlüssel zwischen Krankenkassen und Kantonen gäbe. Ambulant würde attraktiver. Das wäre ein wichtiger Beitrag zur Dämpfung der Gesundheitskosten.
Die Schweizerinnen und Schweizer sollten den Kopf nicht in den Sand stecken. Die drei Beispiele zeigen, dass die Anreize im Gesundheitswesen richtig gesetzt werden können. Dann stimmt die Balance zwischen Kosten und Nutzen – und die Krankenkassenprämien bleiben tragbar. Im November hat das Stimmvolk Gelegenheit, die Weichen richtig zu stellen.