Seit 2019 haben Schweizer Behörden keine Ausschaffungen nach Afghanistan mehr vollzogen. Nun hat das Bundesamt für Migration die Praxis geändert.
Die Schweiz hat zwei Männer aus Afghanistan nach Kabul ausgeschafft. Das bestätigte ein Sprecher des Eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartements am Sonntag gegenüber der Nachrichtenagentur Keystone-SDA. Vor einigen Tagen seien die beiden ausser Landes gebracht worden.
Beide Männer sind rechtskräftig verurteilte Straftäter. Gegenüber dem «Sonntags-Blick» sagte Vincenzo Mascioli, der Vizedirektor des Bundesamts für Migration (SEM), sie stellten für die innere Sicherheit der Schweiz ein Problem dar. Bei schweren Straftätern gelte Nulltoleranz. Einzelheiten zu den Straftaten gab Mascioli nicht bekannt. Auch darüber, wie die Ausschaffungen vollzogen wurden, äusserte er sich nicht.
Ein Pilotprojekt
Am Freitag hatte das SEM die Kantone über die Ausschaffung informiert. Es ist die erste Abschiebung aus der Schweiz nach Afghanistan seit 2019. Damals wurden die Rückschaffungen wegen der Corona-Pandemie unterbrochen. 2o21 übernahmen die radikalislamistischen Taliban wieder die Macht in Kabul, und die politischen Verhältnisse wurden unsicher. Die Schweiz setzte Zwangsrückführungen generell aus.
Es wurden auch keine Ausschaffungen mehr verfügt. Personen, bei denen ein öffentliches Interesse an der Rückführung bestehen würde – etwa weil sie straffällig geworden sind – wurden vorsorglich im Strafvollzug behalten. Auch bei diesen sei eine Rückführung nicht möglich, entschied das Bundesamt für Migration vor drei Jahren.
Diese Praxis ist nun geändert worden. Das Ganze sei ein Pilotprojekt, sagte Mascioli. Nachdem es erfolgreich verlaufen sei, wolle man möglichst rasch weitere straffällige Afghanen ausschaffen. Wann dies geschieht, steht noch nicht fest. Laut den Recherchen des «Sonntags-Blicks» befinden sich zurzeit 13 kriminelle afghanische Staatsbürger in der Schweiz.
500 Franken Taschengeld
Einzelheiten zu den Rückführungen gibt das SEM «aus taktischen Gründen» keine bekannt. Die Ausschaffungen finden in der Regel mit einem Linienflug statt, wobei Angehörige der Kantonspolizei sicherstellen, dass die Personen tatsächlich das Flugzeug besteigen, das sie in ihren Heimatstaat bringt.
Vor dem Abflug erhielten die ausgeschafften Afghanen von den Schweizer Behörden 500 Franken Bargeld. Dies sei aber keine Rückkehrhilfe, wie das SEM sagt. Von dieser sind verurteilte Straftäter ausgeschlossen. Der Betrag sei ein Taschengeld, das den Ausgeschafften dazu dienen solle, die Bedürfnisse zu decken, die unmittelbar nach der Ankunft anfielen.
Die Schweiz ist das zweite europäische Land, das wieder Zwangsrückführungen nach Afghanistan durchführt. Ende August hatte Deutschland erstmals wieder Straftäter nach Kabul abgeschoben. Unter den Ausgeschafften sollen sich auch Gefährder befunden haben, die möglicherweise politisch motivierte Straftaten oder Anschläge verüben könnten. Vor wenigen Tagen hat die deutsche Innenministerin Nancy Faeser angekündigt, dass weitere Ausschaffungen nach Afghanistan geplant seien.
Deza wieder präsent in Afghanistan
Im September hatte der Luzerner FDP-Ständerat Damian Müller gefordert, dass Abschiebungen nach Afghanistan wieder aufgenommen werden. Deutschland handle, während die Schweiz zuschaue, kritisierte Müller in den Medien. Es sei nicht tragbar, dass die Schweiz sogar afghanische Terroristen im Land behalte, nur weil das SEM nichts dagegen unternehmen wolle.
Damals hatte das SEM darauf hingewiesen, ein Zwangsvollzug nach Afghanistan sei aus operativen Gründen nicht möglich. Unter anderem deshalb, weil die Sicherheit der begleitenden Polizisten nicht gewährleistet werden könne. Man beobachte aber die Lage und prüfe, wann Rückübernahmen wieder möglich seien.
Noch in diesem Jahr will die Direktion für Entwicklungshilfe und Zusammenarbeit (Deza) das 2021 geschlossene Büro in Kabul wieder eröffnen. Sie wäre eine der ersten staatlichen Entwicklungshilfeorganisationen, die wieder in Afghanistan präsent sind.