Wegen der Erwärmung der Meere bleichen Korallenriffe aus. Forscher haben ein paar überraschende Ideen, wie sich die Korallen erhalten lassen – zum Beispiel durch den 3-D-Druck von künstlichen Riffen.
Ein Stück Meeresboden im westlichen Pazifik: Wo vor mehreren Monaten noch tote Korallenskelette und Sand den Boden bedeckten, tummeln sich heute bunte Fische. Sie schwimmen durch ein verwinkeltes Riff aus 3-D-gedruckten Tonziegeln, das seit einem halben Jahr vor der Südostküste der philippinischen Insel Mindanao liegt.
Gebaut hat das künstliche Riff in der Grösse von rund zehn Parkplätzen das Startup Rrreefs aus Zürich, mitgegründet von der Meeresbiologin Ulrike Pfreundt. Das Ziel der Schweizer Gründerinnen: zerstörte Korallenriffe wiederaufbauen, die Korallen retten.
Überall auf der Welt arbeiten Wissenschafter daran, das Korallensterben zu stoppen – nicht nur mit künstlichen Riffen, sondern auch mit hitzeresistenten Korallen und sogar mit Soundeffekten. Denn die Meere werden weltweit immer wärmer, mit gravierenden Folgen. Die Korallen bleichen häufiger und stärker aus – und können letztlich absterben.
Damit der Wiederaufbau der Korallenriffe gelingt, haben Pfreundt und ihr Team erst an der ETH Zürich und später als Startup spezielle Tonmodule entwickelt, die wie kleine Kunstwerke aussehen. Auf der Oberfläche der Ziegel zeichnen sich wellenförmige Muster ab, es gibt viele Hohlräume. «Korallenlarven können so besser an der Oberfläche anhaften. Fische und eine Vielzahl anderer Organismen finden kleine Versteckräume», erklärt Pfreundt. Die Tonmodule werden wie Legosteine zusammengesetzt – eine stabile Riffstruktur entsteht.
Die Komponenten des Riffs werden mit moderner 3-D-Drucktechnologie angefertigt. Es entsteht ein widerstandsfähiges und autarkes Korallenriff.
Das erste künstliche Riff funktioniert schon
Und es funktioniert, wie man nicht nur an dem Riff in den Philippinen erkennen kann, wo bereits mehrere Korallen und Fische eingezogen sind. Das erste künstliche Riff hat Rrreefs vor drei Jahren vor der kolumbianischen Insel San Andrés gebaut.
Seitdem wird das künstliche Riff regelmässig untersucht und mit einem nahe gelegenen natürlichen Riff verglichen: «In unserem Riff leben mittlerweile doppelt so viele neue Korallen wie im natürlichen Riff. Die Fischvielfalt ist genauso hoch», sagt Pfreundt. «Für uns ist das ein voller Erfolg – und natürlich für die Korallen und die Fische.»
Korallenriffe sind lebenswichtig für Mensch und Natur: Sie beherbergen ein Viertel aller Meereslebewesen, schützen als Wellenbrecher die Küsten und sichern den Lebensunterhalt von rund 500 Millionen Menschen durch Tourismus und Fischerei.
Doch Überfischung, die zunehmende Versauerung der Ozeane und vor allem der Klimawandel setzen den Ökosystemen zu. Korallen leben in Symbiose mit Mikroalgen, die ihnen Nährstoffe liefern und ihnen die Farben verleihen. Bei steigenden Temperaturen stossen die Korallen die Algen ab – sie bleichen aus. Bleiben die Temperaturen zu lange erhöht, sterben die Korallen ab. Der Uno-Klimarat warnt davor, dass bei einer dauerhaften globalen Erwärmung um 1,5 Grad Celsius bis zu 90 Prozent der Warmwasser-Korallenriffe weltweit verschwinden könnten.
Können künstliche Riffe das Sterben der Korallen aufhalten? Der Meeresökologe Christian Wild von der Universität Bremen ist skeptisch. Sinnvoll seien die künstlichen Riffe, wenn der Meeresboden mit losem Korallenschutt bedeckt sei – etwa nach Dynamitfischerei oder einem Wirbelsturm. «In diesen Geröllfeldern brauchen Korallenlarven feste Strukturen, um sich anzusiedeln. Ein Riff aus Ton – den Larven besonders lieben – ist da ideal», erklärt Wild.
Gegen die Erwärmung der Meere vermögen allerdings auch künstliche Riffe wenig auszurichten. Selbst wenn sich dort neue Korallen ansiedeln, könnten sie bei der nächsten Hitzewelle sterben. Zwar sind Korallen fähig, sich an steigende Temperaturen anzupassen. «Aber die Erwärmung, die wir derzeit erleben, geht viel zu schnell. Die Korallen können da einfach nicht mehr mithalten», sagt Wild.
Die langsame Anpassung der Korallen lässt sich aber beschleunigen – durch die sogenannte «assistierte Evolution». Dabei gibt es zwei vielversprechende Ansätze.
- Der erste Ansatz besteht darin, hitzeresistente Korallen zu züchten. Dafür wählt man Korallen aus, die frühere Hitzewellen überlebt haben. Ihre Spermien und Eizellen werden während der jährlichen Laichzeit gesammelt und im Labor gezielt kombiniert. Das Ergebnis sind neue, widerstandsfähigere Korallen – sogenannte Superkorallen. Zwar passen sich Korallen auch durch natürliche Selektion an die Hitze an, aber dieser Prozess verläuft viel langsamer.
- Beim zweiten Ansatz werden Mikroalgen optimiert, mit denen die Korallen in Symbiose leben. Auch diese Algen lassen sich züchten und an höhere Temperaturen anpassen.
Ein Forschungsteam um die Genetikerin Madeleine van Oppen an der University of Melbourne ist führend auf diesem Gebiet. Im Juli berichteten die Wissenschafter in der Zeitschrift «Trends in Microbiology» über ihre Arbeit: Sie setzen die symbiotischen Algen im Labor schrittweise steigenden Temperaturen aus. Nur die widerstandsfähigsten Algen überleben jede Temperaturerhöhung.
In den Experimenten zeigte sich, dass ebendiese Algen ihre Hitzetoleranz auf die Korallen übertragen können. Mit den hitzetoleranten Algen bleichen die Korallen bei höheren Wassertemperaturen deutlich weniger aus und haben eine viel höhere Überlebenschance.
«Dieser Ansatz ist besonders vielversprechend, da Algen eine schnellere Generationszeit haben und sich hitzeresistente Varianten schneller entwickeln als bei den Korallen», erklärt Wild. Allerdings sind noch grössere Versuche in der freien Natur notwendig.
Die Methode der unterstützten Evolution könnte mit den künstlichen Riffen von Rrreefs kombiniert werden, meint der Meeresökologe. So könnten die Korallen mit den hitzeresistenten Algen in die Tonriffe eingesetzt werden. Auch Ulrike Pfreundt von Rrreefs sieht darin ein grosses Potenzial: «Wir sind offen für eine Zusammenarbeit und haben unsere Riffe so gestaltet, dass das Einsetzen dieser hitzetoleranten Korallen problemlos möglich wäre.»
Die regelmässige Überwachung der künstlichen Riffe sowie weitere Forschungsarbeiten sind entscheidend, um dem Korallensterben entgegenzuwirken.
Schatten bewahrt Korallen vor dem Ausbleichen
Es gibt viele weitere Ansätze, um Korallen zu retten, darunter die Beschattung. Christian Wild und sein Team haben dazu eine Pilotstudie auf den Philippinen durchgeführt. Sie spannten Folien über die Korallenriffe, um sie vor intensiver Sonneneinstrahlung und Hitze zu schützen. Das Ergebnis: Die beschatteten Korallen wurden während einer Hitzewelle weniger gebleicht und überlebten öfter als ungeschützte Korallen. Allerdings ist dieser Ansatz sehr aufwendig.
Die Arbeitsgruppe von Wild versucht auch, die Wasserqualität gezielt zu beeinflussen, indem sie das Verhältnis von Nährstoffen wie Stickstoff und Phosphor anpasst. Wilds Studien und andere Arbeiten zeigen, dass ein höherer Phosphorgehalt im Verhältnis zu Stickstoff den Korallen zugutekommt, ihre Bleiche reduziert und ihre Überlebenschancen erhöht. «Diese Erkenntnisse könnten in der Praxis genutzt werden, indem Kläranlagen technisch so gestaltet würden, dass sie weniger Phosphor aus dem Abwasser entfernen, was kostengünstig umzusetzen wäre», erläutert Wild.
Einen weiteren Ansatz zur Rettung der Korallen hat die Meeresbiologin Raquel Peixoto von der King Abdullah University of Science and Technology in Saudiarabien entwickelt: eine «Medizin» für Korallen, die aus sechs probiotischen Bakterien besteht. Diese Bakterien werden alle zwei Tage direkt im Riff durch ein automatisiertes Dosierungssystem auf die Korallen aufgebracht. Laborversuche zeigen, dass diese Behandlung die Bleiche bei höheren Wassertemperaturen in vielen Fällen verhindern kann. Doch die Methode ist kostenintensiv und aufwendig.
Wissenschafter der Woods Hole Oceanographic Institution in den USA haben einen besonders kuriosen Ansatz zur Korallenrettung entdeckt: Die Geräusche eines gesunden Korallenriffs, etwa von Fischen und Krabben, können beschädigte Riffe regenerieren. Diese Geräusche ziehen neue Korallenlarven an, die sich niederlassen und das Riff wiederbeleben, da sie die Klänge als Zeichen eines gesunden Lebensraums wahrnehmen.
Auf den Amerikanischen Jungferninseln testete das Forscherteam diese Methode, indem es die Geräusche mit Lautsprechern unter Wasser abspielte. Das Ergebnis: Deutlich mehr Korallenlarven siedelten sich in den beschallten Gebieten an, Fische wurden angelockt, was die Regeneration der Riffe weiter förderte.
Doch auch die Klanginstallation kann letztlich nichts gegen die steigenden Meerestemperaturen ausrichten. Für den Meeresökologen Christian Wild ist klar: Die Entwicklung hitzetoleranter Korallen oder Algen ist momentan der vielversprechendste Ansatz – am besten in Kombination mit anderen Methoden, wie zum Beispiel den Tonziegelriffen des Schweizer Startups Rrreefs.
«Die Lage der globalen Korallenriffe ist so kritisch, dass ich jeden Ansatz begrüsse, der zu einer potenziellen Verbesserung beitragen kann», sagt Wild. Die Eindämmung des Klimawandels bleibe weiterhin die oberste Priorität.
Das betont auch Ulrike Pfreundt. Sie und ihr Team haben bereits weitere Riffe aus Ton gebaut, unter anderem vor den Britischen Jungferninseln – immer in Zusammenarbeit mit der lokalen Bevölkerung, die in alle Schritte involviert wird, und mit den Umweltministerien. Sie haben es teilweise geschafft, Schutzzonen um die künstlichen Riffe einzurichten, in denen das Fischen verboten ist. Langfristig profitieren die Menschen vor Ort. Denn gesunde Riffe bieten mehr Lebensraum für Fische, die auch in befischbare Gebiete wandern.
Das neueste tönerne Riff ist mit der Unterstützung des deutschen Unternehmens Melitta vor Ecuador entstanden. «Wir suchen immer die Kooperation mit einem grossen Partner, der auch die Datenerhebung über drei Jahre mitfinanziert», erklärt Pfreundt.
Das Ziel der Meeresbiologin: In den nächsten zehn Jahren sollen Riffe entlang von 710 Kilometern Küstenlinie an verschiedenen Orten wieder aufgebaut werden. Ulrike Pfreundt ist überzeugt: «Wir können nicht alle Korallenriffe retten. Aber je mehr Lebensräume wir schaffen, desto mehr Artenvielfalt und Stabilität bringen wir in die Ökosysteme zurück.»
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