Seit Jahrhunderten gehen Goldschmiede mit wandelbarem Schmuck auf das Bedürfnis ein, Preziosen auf unterschiedliche Art und Weise zu tragen. Jedes Jahr lassen sich Häuser etwas Neues einfallen. Das Ergebnis ist oft praktisch, aber soll auch Emotionen wecken.
Man braucht schon eine Bedienungsanleitung, um dieses Collier zu tragen. Es gibt einfach so viele Möglichkeiten: Mit Anhänger oder ohne Anhänger. Die Anhänger können mit Saphiren verlängert und farblich verändert werden. Sie lassen sich in Ohrringe verwandeln. Die Saphire können mit der Kette zu einem Choker vereint werden.
Die «Sweater Necklace» aus der aktuellen Haute-Joaillerie-Sport-Kollektion von Chanel erinnert durch ihre Form und die komplexe, wie gewebter Stoff aussehende Verknüpfung aus Platin, Weissgold und Diamanten sowie zwei Anhänger, die Kordeln an einem Hoodie nachempfunden sind, an den Kragen eines Sweatshirts. Dieses Design allein reflektiert die handwerkliche Herausforderung dahinter, doch die Goldschmiedearbeit beeindruckt noch mehr, wenn man das Stück einmal auseinandernimmt. Aus den Kordeln werden Ohrringe mit oder ohne Saphire, aus den Saphiren Bestandteile eines Chokers. Allein neunzehn Stücke aus der insgesamt achtzigteiligen Kollektion lassen sich verändern und verwandeln.
Die Kette und der Ring namens «Sweater» aus der Kollektion «Haute Joaillerie Sport» von Chanel haben einzelne Komponenten, die man entfernen oder hinzufügen kann.
Transformable Jewellery, wandelbarer Schmuck, nennt man in der Welt der Juwelen jene Kreationen, die sich flexibel anpassen oder verändern lassen – weil Komponenten entfernt oder hinzugefügt werden, weil sie auf unterschiedliche Art und Weise getragen werden können oder weil man sie so einstellen kann, dass Teile des Designs versteckt oder offenbart werden. Dieses Spiel mit der Transformation ist seit je ein wichtiges Element der Haute-Joaillerie-Kollektionen zahlreicher Häuser. Sie können so einerseits technische und handwerkliche Expertise sowie ihren Einfallsreichtum unter Beweis stellen. Andererseits ist es eine Möglichkeit, auf die Bedürfnisse ihrer Kundschaft einzugehen, die sich Flexibilität und Vielseitigkeit wünscht.
Schmuckstücke für jede Emotion
Für Claudia Wellendorff, die die Kommunikationsabteilung des gleichnamigen Familienunternehmens aus Pforzheim führt, haben wandelbare Juwelen praktische ebenso wie emotionale Vorteile. «Unsere Kundinnen verbinden ihre Schmuckstücke oft mit besonderen Geschichten oder Emotionen und möchten diese wie einen Talisman stets bei sich tragen – etwas, das ihnen Kraft und Freude bringt, jeden Tag», sagt Wellendorff. «Daher entwickeln wir stets neue Innovationen, die sicherstellen, dass hochwertiger Schmuck wandelbar und damit alltagstauglich wird.»
So kann ein Wellendorff-Collier aus der Kollektion «Mein Glück» aus 18-karätigem Gelbgold, Brillanten und kleinen Mosaiken in schillerndem Perlmuttweiss um einen weiteren Brillantstrang ergänzt werden, so dass das Collier je nach Wunsch opulenter oder schlichter ausfällt. Ein Armband aus der Serie «Umarme mich» führt wiederum vor, wie wandelbare Elemente den persönlichen und individuellen Charakter eines Schmuckstücks unterstreichen können. Der Diamanttropfen an dem Armband kann umgedreht werden und offenbart dadurch die Rückseite der gelbgoldenen Fassung, die mit einer individuellen Gravur verziert werden kann.
Eine Kette wie ein Reissverschluss
Die Wurzeln der Transformable Jewellery liegen im 19. und im frühen 20. Jahrhundert, als wohlhabende und aristokratische Kunden und Mitglieder europäischer Königshäuser bei den Juwelieren ihres Vertrauens Stücke in Auftrag gaben, die sie zu besonderen Anlässen wie Krönungen und Bällen ausführen konnten. Darüber hinaus gab es jedoch selten Gelegenheit, sie zu tragen, und so liessen sich die Goldschmiede Tricks und Wege einfallen, um die Einsetzbarkeit ihrer Entwürfe zu vergrössern. Sie schufen Diademe, die zu Ketten transformiert werden konnten, Haarspangen, die auch als Broschen funktionierten.
Zu den Pionieren auf dem Gebiet gehören beispielsweise Graff und Van Cleef & Arpels, Letzterer widmete 2023 seiner Geschichte mit wandelbarem Schmuck eine eigene Ausstellung. Einer der ikonischsten Entwürfe ist die «Zip Necklace», eine Kette, die an einen Reissverschluss erinnert und die 1951 erstmals vorgestellt wurde. Ebenso wie ein Reissverschluss lassen sich die Stränge des Colliers mit einem Verschluss in der Mitte miteinander verbinden und wieder öffnen, so dass es enger am Hals oder auch weiter geöffnet getragen werden kann. Zudem ist der Einsatz als Armband möglich, was aus einem eleganten Abendaccessoire ein schlichteres Alltagsdesign macht.
Der Klassiker «Zip Necklace» von Van Cleef & Arpels ist von Reissverschlüssen inspiriert, einer in seinem Entstehungsjahr 1951 noch recht neuen Erfindung. Das Collier lässt sich auch als Armband tragen.
Schon 1932 ermöglichte Gabrielle Chanel ihren Kundinnen eine solche Flexibilität, als sie ihre erste High-Jewelry-Kollektion vorstellte. «Bijoux de Diamants» bestand aus einer Serie aus rund fünfzig Objekten, die mit Motiven wie Mond, Sonne und Sternen spielten. Passend zur Mode von Chanel, die Bewegungsfreiheit schenken und sich dem Leben einer Frau anpassen sollte, liessen sich auch die Juwelen auf unterschiedliche Art und Weise tragen.
Eine Brosche ist nicht gleich eine Brosche
Heute verlassen sich Juweliere bei der Kreation wandelbarer Schmuckstücke auf bewährte, praktische Funktionen und probieren gleichzeitig neue Dinge aus, die dank Phantasie verzaubern und etwas über ihre Inspiration erzählen. Ein Klassiker ist das Collier mit abnehmbarem Anhänger, wie es sich auch in der aktuellen Haute-Joaillerie-Kollektion von Louis Vuitton findet. Im Mittelpunkt des Colliers «Cœur de Paris» steht ein Anhänger mit einem Diamanten mit 5,73 Karat in Form der Louis-Vuitton-Monogram-Blüte, den man abnehmen und auch als Brosche tragen kann.
Die aktuelle «Blue Book»-Kollektion von Tiffany wiederum beinhaltet eine Brosche, inspiriert vom legendären «Bird on a Rock»-Design von Jean Schlumberger, die auch als Anhänger eingesetzt werden kann. Dior denkt das Prinzip noch ein wenig weiter und stellte während seiner Haute-Joaillerie-Schau in Florenz im vergangenen Sommer einen Gürtel aus Perlen vor, den man auch als Kette tragen kann.
Aus einem Choker werden zwei Colliers
Besonders spielerisch geht Cartier das Thema in seiner «Polymorph»-Kollektion an, die auf wandelbare Juwelen spezialisiert ist. In diesem Jahr stellte das Unternehmen zum Beispiel eine Brosche aus Diamanten und Mondsteinen vor, die von Katzenkrallen inspiriert ist. Vier Krallen reihen sich aneinander, und drückt man eine von ihnen, öffnet sich ein winziges Zifferblatt mit einem Diamant-Pavé.
Andere Entwürfe wiederum verblüffen mit einem smarten «Zwei in eins»-Konzept, das selbst der Haute-Joaillerie-Kundschaft mit üppigem Budget das gute Gefühl geben kann, dass sie für ihr Geld auch wirklich etwas bekommt. In der diesjährigen «Red Carpet»-Kollektion der Uhren- und Schmuckmarke Chopard findet sich neben mehreren Colliers mit abnehmbaren Anhängern auch ein Choker, den man in der Mitte teilen und in zwei Colliers verwandeln kann.
Solche Designs wirken spielerisch leicht, und doch sind sie oft besonders aufwendig und komplex in der Konzeption und Herstellung, was gerade Kreative und Schmuckdesigner reizt. «Ich breche gerne mit Konventionen, möchte Neues wagen und mit meinem Team im Haute-Joaillerie-Atelier die Grenzen der Machbarkeit verschieben», sagt Caroline Scheufele, die Präsidentin und künstlerische Leiterin von Chopard.
Claudia Wellendorff betont, dass man bei Transformable Jewellery gerade aufgrund der Vielseitigkeit auch besonders viel beachten müsse, von der Handhabung und Technik bis zum Design der unterschiedlichen Komponenten, wie sie aussehen, ob einzeln oder in der Kombination miteinander. «Besonders bei wandelbarem Schmuck ist es entscheidend, dass die Verwandlung intuitiv und einfach ist. Die Qualität der Verarbeitung ist dabei das A und O, da unsere Schmuckstücke ein Leben lang Freude bereiten sollen», sagt sie. «In jeder Verwandlungsstufe muss das Schmuckstück perfekt sitzen und angenehm zu tragen sein.» Und natürlich gut aussehen.
Transformation in jedem Sinne
Dass sich die Luxuskundschaft heute mehr denn je alltagstaugliche, komfortable und dabei schicke Mode wünscht, ist bekannt. Wie relevant solche Aspekte auch in der Haute Joaillerie sind, darüber wird weniger gesprochen, vielleicht weil man bei Preziosen im Wert von Hunderttausenden oder gar Millionen von Franken in erster Linie nicht an praktische Aspekte denkt. Doch sollte nicht gerade ein so wertvolles Stück das Maximum bieten von dem, was Handwerk und kreatives Talent hervorbringen können?
Und wenn beim Schmuckkauf Emotionen ohnehin eine grosse Rolle spielen, dann kommen bei Transformable Jewellery noch mehr Gefühle hinzu – das Staunen, wenn man neue Seiten an seinem Juwel entdeckt. Die Zufriedenheit, wenn man ein Stück genau so tragen kann, wie es einem gerade passt. Die Freude an der Verwandlung, wenn man an einem so wunderschönen Objekt etwas entfernt, hinzufügt, umdreht und vielleicht ein Element an die Tochter oder Freundin weitergibt. Womöglich entsteht ein Gespräch, weil man an der Brosche am Revers plötzlich ein Ziffernblatt vorzeigen kann. So verwandelt sich nicht nur ein Juwel, sondern auch der Moment, in dem man es trägt.