Ein französischer Geschäftsmann sagt, der frühere Bankchef Tidjane Thiam habe ihn observieren lassen. Der Grund: Thiam hatte eine heimliche Beziehung mit seiner Ehefrau. Die CS bestätigte später dann die geplante Überwachung.
Die Vorwürfe wiegen schwer. Ein französischer Geschäftsmann beschuldigt die Credit Suisse (CS) – und ihre heutige Eigentümerin UBS –, dass sie zwischen 2016 und September 2019 ein umfassendes Spionageprogramm gegen ihn organisiert habe. Orchestriert worden sei diese Überwachung vom damaligen Bankchef Tidjane Thiam persönlich. Thiam habe in jener Zeit eine heimliche Beziehung mit seiner damaligen Ehefrau geführt, heisst es in der Klage.
Diese Beziehung führte laut dem in Hongkong lebenden Kläger zur Scheidung. Ein Vorwurf des Mannes lautet nun, seine damalige Frau und Thiam hätten ihn wegen der Scheidung unter anderem aus finanziellen Motiven ausspioniert. Seine einstige Partnerin ist heute die Partnerin von Thiam.
Der Fall ist ein weiteres Kapitel in der Ende 2019 publik gewordenen Beschattungsaffäre. Damals wurde bekannt, dass die CS den Topmanager Iqbal Khan und weitere Kaderleute hatte beschatten lassen. Thiam musste deswegen im Februar 2020 seinen Hut nehmen, obwohl er stets betont hatte, nichts von diesen Beschattungen gewusst zu haben.
Umfangreiches Dossier
Eingereicht wurde die Klage, die der NZZ vorliegt, am 11. April 2024 an einem lokalen Gericht im US-Gliedstaat Washington. Der Kläger wirft der Bank vor, sie habe ab Oktober 2016 über ein umfangreiches Dossier seiner Person verfügt. Dieses sei an Mitarbeiter übergeben worden, damit ihn diese hätten ausspionieren können.
Im November 2016 habe die Bank dann eine Observierung in Hongkong geplant. In den Gerichtsakten finden sich denn auch SMS-Nachrichten und Briefe, die diese geplante Beschattung belegen. Sie stammen aus einem Datensatz, welchen die Credit Suisse nach mehrmaligem Nachfragen dem Kläger übergab. So ist der anonymisierte SMS-Verkehr zwischen den Sicherheitsleuten in Hongkong angefügt. Diese chatten über die besten Methoden, wie man die Zielperson («target») observieren solle. Auch wird über ein «fast nicht nachverfolgbares Tracking» seines Mobiltelefons gesprochen.
Rasch aber ändert sich der Ton. Am 3. November 2016 warnt einer der Sicherheitsleute morgens um 10 Uhr 02 Ortszeit in Hongkong ausdrücklich davor, die Observierung durchzuführen. Die Zielperson sei «very high profile» (sehr bedeutend) und habe ein «sehr gutes lokales Netzwerk». Sobald das «target» bemerke, dass es beschattet werde, werde sehr schnell der «link» zur Schweiz und damit zur CS erkennbar.
Um 20 Uhr 02 schreibt ein Sicherheitsmann, nun auf Deutsch, er habe einen CS-Verantwortlichen dazu bewegen können, die geplante Observation abzusagen. Der Name dieser Person ist in den Dokumenten geschwärzt, die der Kläger von der CS erhielt. Er geht davon aus, dass es sich um Thiam handelte.
Heimliche Fotos
Gemäss der Klageschrift kam es danach aber trotzdem zu weiteren Aktionen. So wurden laut SMS-Nachrichten am 29. und 30. März 2017 erneut mindestens drei Sicherheitsleute auf den Kläger angesetzt. Dieses Mal suchten sie in verschiedenen Zürcher Luxushotels nach ihm, wohlgemerkt, ohne ihn zu finden. Im Juli 2017, so die Klage weiter, sei er bei der Übergabe seiner Tochter an die nunmehr mit Thiam zusammenlebende Ex-Frau heimlich fotografiert worden.
Im September 2019 habe die CS dann gar sein Microsoft-Mail-Konto gehackt, behauptet der Kläger weiter. Dieses Konto habe unter anderem E-Mails seiner Scheidungsanwälte enthalten. Der angebliche Hack ist der Grund, warum sich der Kläger an das lokale Gericht im Staat Washington wandte. Dieses ist zuständig für den Bezirk namens King County. Im gleichen Bezirk befindet sich auch der Hauptsitz von Microsoft.
Gemäss der Klage argwöhnte der Kläger zwar schon früh, dass er beschattet wird. Doch erst als Ende 2019 bekanntwurde, dass die CS Kaderleute hatte observieren lassen, schöpfte er konkreten Verdacht. Und fragte explizit bei der Bank nach.
Am 13. Dezember 2021 antworteten die von der CS beauftragten Anwälte sehr kurz, dass man zwar Verständnis für die Sorgen des Klägers habe. Doch könne die CS bestätigen, dass sie «keine Beschattung durchgeführt» habe , «weder physisch noch durch die Überwachung seiner Telefon- oder E-Mail-Kommunikation». Man gehe daher davon aus, dass sich die Sache erledigt habe, so das Schreiben, von dem sich eine Kopie in den Gerichtsakten findet.
Der vermögende Kläger aber hakte nach und engagierte Ermittler und Anwälte, die erneut bei der CS Auskunft verlangten. Darauf gewährte die CS ihm schrittweise Zugang zu Personendaten, in denen auf ihn persönlich Bezug genommen wurde, darunter E-Mails und Textnachrichten von CS-Exponenten. Am 8. November 2022 bestätigten ihm die Anwälte der CS, dass zwar keine Observation durchgeführt worden sei, die Bank aber in jenem November 2016 tatsächlich eine geplant habe.
Spionierte der Kläger die Ex-Frau und Thiam aus?
Die damals geplante Observation sollte dem Schutz von Thiams damaliger Freundin, der Ex-Partnerin des Klägers, dienen, so der Brief der CS-Anwälte. Der Grund waren «Auseinandersetzungen» zwischen ihr und ihrem in Hongkong lebenden Ex-Mann. Die Frau sei während Thiams Besuch in Hongkong im Oktober 2016 Zielperson einer offenbar vom Ex-Ehemann veranlassten Observation geworden, heisst es im Schreiben. «Thiam wünschte daraufhin die Durchführung einer Observation» des Ex-Ehemannes als Gegenmassnahme. Laut Thiam, so heisst es im Brief an den Kläger weiter, «seien damals alle sehr besorgt gewesen» wegen Thiams Sicherheit.
Aus Sicht des Klägers belegt das Material allerdings klar, dass er entgegen den ersten Aussagen der CS eben doch observiert worden war. Er wirft der Grossbank deshalb auch Vertuschung vor. Der Kläger sagt weiter, die Entdeckung der Beschattung habe ihn emotional so stark belastet, dass er einen beträchtlichen wirtschaftlichen Schaden erlitten habe. Der Kläger fordert darum von der CS beziehungsweise der UBS unter anderem Schadenersatz in der Höhe von mindestens 15 Millionen Dollar.
Der Fall zieht bereits seit rund einem halben Jahr seine Kreise. Auf der Website des US-Gerichts finden sich dazu inzwischen drei Dutzend zum Teil umfangreiche Dokumente, darunter auch ein Antrag der UBS auf Abweisung des Falles. Diesen lehnte das US-Gericht vor rund einem Monat ab, wie es in einem der Gerichtsdokumente heisst.
Credit Suisse «hat nie Überwachung durchgeführt»
Der Kläger und seine Anwälte reagierten bis Redaktionsschluss nicht auf eine Anfrage der NZZ. Die UBS kommentiert den Fall nicht.
Ein Sprecher des früheren CS-Chefs Thiam und seiner heutigen Partnerin sagt auf Anfrage der NZZ, die Bank habe niemals eine Überwachung des Klägers durchgeführt. Die Gerichtsakten bezögen sich zudem auf ein laufendes Verfahren zwischen dem Kläger und der CS sowie der UBS. Die Forderung des Klägers richte sich nicht gegen Thiam oder seine Partnerin. «Es ist daher nicht angebracht, dass einer von ihnen weitere Kommentare abgibt», sagt der Sprecher weiter.
Zu der Frage, warum Thiam damals in Hongkong, wenn er doch von einer Bedrohungssituation ausging, nicht Anwälte oder die örtliche Polizei einschaltete, sondern sich an den CS-eigenen Sicherheitsdienst wandte, nahm Thiams Sprecher keine Stellung.
Kritisch hinterfragen muss man aber auch die Motivation des Klägers. Laut Insidern war die Scheidung des Ehepaares bereits im September 2016 über die Bühne gegangen. Zumindest in der im April eingereichten Klageschrift finden sich auch keine eindeutigen Belege für das angebliche Hacking der E-Mails.