Getrunken wird im Haus zum Rüden seit dem Mittelalter. Heute isst im historischem Ambiente auch prima – wer allfällige Schwellenängste überwindet.
In diesem Geviert potenziert sich Zürichs Postkartentauglichkeit. Oder trendiger formuliert: Kaum woanders ist diese Stadt mehr instagrammable als zwischen Gross- und Fraumünster, Helm- und Rathaus. Zu Tausenden posieren Touristen auf der Münsterbrücke samt Fluss oder am Limmatquai vor historischer Kulisse.
Mittendrin in diesem Hotspot steht wie ein Fels in der Brandung einer der markantesten Altstadtbauten, mit leicht vorspringendem Obergeschoss im Fachwerkstil: das Haus zum Rüden (bitte nicht Rüd*in, verehrte Stadtverwaltung!). Dass man dort auch seinen Hunger stillen kann, droht in der Schnelllebigkeit der schönen neuen Gastrolandschaft unterzugehen. So manche pack eine Schwellenangst vor den altehrwürdigen Mauern, andere halten Zunfthäuser partout für verstaubt und lassen ihr Geld lieber in einem In-Schuppen liegen.
Sie verpassen einiges – zum Beispiel einen der eindrücklichsten Räume, in denen man in dieser Stadt einkehren kann: Der «gotische Saal» ist im 14. Jahrhundert von Edelleuten als Trinkstube errichtet worden im vormaligen Münzhaus, in dem die Äbtissin des Fraumünsterstifts ihre Münzen hatte schlagen lassen. Er diente danach unter anderem auch als Ratsaal – und nun als öffentliches Restaurant.
Unter dem mittelalterlichen hölzernen Tonnengewölbe fühlt man sich nicht wie Diogenes im beengenden Fass, eher wie unter Deck eines mächtigen alten Schiffs. Der Abstand zwischen den Tischen ist an diesem Donnerstagabend grosszügig bemessen – so viel Raum ist in der Innenstadt der wahre Luxus. In einer Ecke steht eine festlich gedeckte Tafel für uns bereit, durch eines der Sprossenfenster leuchtet das nahe Rathaus. Wer nun aber in diesem privilegierten Rahmen an ebensolcher Lage überrissene Preise erwartet, wird angenehm überrascht.
Wir steigen ein mit einer kräftigen, nicht zu salzigen Steinpilzessenz (Fr. 16.–), in der blütenartig angeordnete Wildkräuterflädli schwimmen, und einem Markbein (Fr. 16.–), wobei die Ausbeute an Mark etwas mager ausfällt. Dafür wäre die Kräuterbutter nicht nötig, mit der es überbacken ist: Etwas Flockensalz und Peterli würde genügen, damit diese Innerei zum Genuss wird.
Doch widmen wir unsere ganze Aufmerksamkeit der Hausspezialität, beworben als «das weltbeste Züri Gschnätzlets». Das Versprechen mag grammatikalisch wie inhaltlich nicht über alle Zweifel erhaben sein, das Ergebnis ist formidabel. Das Gericht (Portion Fr. 47.–, à discrétion Fr. 69.–) wird hier mit frischen Champignons und ohne Nierli zubereitet, das grob gewürfelte Fleisch ist rosa und saftig, die Sauce hinreissend sämig, ohne zu rahmig zu sein. Zu fettig sind die dazu gereichten Rösti, perfekt dafür die alternativ angebotenen Taglierini mit leichtem Biss.
Fair angesetzt sind auch die Weinpreise: In unseren Gläsern schimmert rubinrot Il Pino di Biserno (Fr. 98.–), der zurecht zu den Stars der toskanischen Weinkultur zählt. Als Augenweide erweist sich der Dessertteller für zwei (Fr. 32.–), und der aufmerksame Service rundet den erfreulichen Eindruck ab. Kurz: Das junge Wirtepaar Carina und Till Bächtold, das die Pacht seit dem Corona-Sommer 2020 innehat, leistet mit seinem Team hier rüüdig gute Arbeit, wie Luzerner Gäste anerkennend sagen würden.
Dieser wiederum spielt auf den Jagdhund im Wappen der Constaffler an. Ihnen, als elitärer Zirkel von Kauf- und Edelleuten gegründet und heute als Gesellschaft noch am Sechseläuten vertreten, gehört das Haus seit dem Mittelalter, mit einem Unterbruch im letzten Jahrhundert. Als sie es 1936 von der Stadt zurückkauften, machte sie ihnen unter anderem die Auflage, darin öffentlich zu wirten. Zwei prächtige Räume, die einem Umbau in der Barockzeit entstammen, stehen für Gesellschaften zur Verfügung: Im charmanten Rüdenstübli mit türkisblauem Täfer etwa können locker dreissig Personen speisen, und es ist für einen Mindestumsatz von 1500 Franken erhältlich.
Wessen Schwellenangst durch diesen Zeilen noch nicht therapiert ist, dem könnte sich als erste Annäherung die Bar im Parterre empfehlen. Aus dem Zapfhahn fliesst Turicum-Gin, den man auch in eine persönlich beschriftete Flasche abfüllen lassen kann, um bei jedem Besuch davon zu trinken. Und tagsüber blinzelt man an schönen Herbsttagen unter den Arkaden am Limmatquai in die Mittagssonne, vertilgt ein ausgezeichnetes Club-Sandwich zum keineswegs unanständigen Preis von 25 Franken und beobachtet, wie rundherum Touristen unser Stadtbild bestaunen.
Haus zum Rüden
Limmatquai 42, 8001 Zürich
Sonntags und Montags geschlossen.
Telefon 044 261 95 66
Für diese Kolumne wird unangemeldet und anonym getestet und am Ende die Rechnung stets beglichen. Der Fokus liegt auf Lokalen in Zürich und der Region, mit gelegentlichen Abstechern in andere Landesteile.
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