Für Präsident Lula da Silva ist ein Beitritt zur Initiative von Xi Jinping nicht im Interesse des Landes. Auch andernorts erleidet das Projekt Rückschläge.
Es dürfte eine herbe Enttäuschung gewesen sein für Chinas Staatschef Xi Jinping: Erst noch hatte er in der russischen Stadt Kazan mit dem brasilianischen Präsidenten Lula da Silva die Brics-Staatengemeinschaft gefeiert, die von beiden Ländern mitbegründete Organisation von Schwellenländern. Weniger als eine Woche später verkündete Lulas aussenpolitischer Chefberater Celso Amorim, dass Brasilien der neuen Seidenstrasse, Xis aussenpolitischem Grossprojekt, nicht beitreten werde.
Ein Abkommen über Brasiliens Mitgliedschaft in Xis interkontinentalem Handels- und Infrastrukturnetzwerk hätte Mitte November von den beiden Staatsoberhäuptern in Brasilia festlich unterzeichnet werden sollen, anlässlich des 50-Jahr-Jubiläums der diplomatischen Beziehungen zwischen den beiden Ländern. Doch Brasilien kam offensichtlich zu dem Schluss, dass der Beitritt dem Land zu wenig bringen würde. Eine von Amorim geleitete Delegation kam kürzlich «nicht überzeugt und unbeeindruckt» von den chinesischen Angeboten aus Peking zurück, heisst es.
Brasilien will nicht nur Rohstoffe liefern
Während China vor allem an Rohstofflieferungen aus Lateinamerika interessiert ist, möchte Brasilien kein reiner Rohmateriallieferant für China sein, sondern auch halbfertige und fertige Produkte ins Reich der Mitte liefern können. Ausserdem ist sich Lula bewusst, dass er am meisten für sein Land herausholen kann, wenn er eine gesunde Äquidistanz zum Westen und zu China einhält. So kann er die beiden Blöcke gegeneinander ausspielen, wenn es um Kredite und ausländische Investitionen geht.
Brasiliens Ausscheren ist symptomatisch für den sinkenden Stern der Seidenstrassen-Initiative. Die drei grössten Länder Lateinamerikas bleiben aussen vor. Das wirtschaftlich auf die USA ausgerichtete Mexiko ist ebenfalls nicht beigetreten und Argentinien, das seit 2022 eigentlich Mitglied ist, hat die Zusammenarbeit unter Staatspräsident Milei auf Eis gelegt.
Auch auf anderen Kontinenten ist die Initiative ins Stocken geraten. Indien, ebenfalls ein Brics-Gründungsmitglied, will auch nicht beitreten und erklärt dies ähnlich: Die Initiative biete den Unternehmen des Landes keine angemessenen Wettbewerbsbedingungen. Italien, das einzige G-7-Land, das sich dem Projekt angeschlossen hatte, gab letztes Jahr seinen Austritt bekannt. Auch Giorgia Meloni begründete den Schritt mit dem fehlenden Nutzen für Italien. Viele kleinere Länder können zudem die Kredite an China nicht zurückzahlen. Wenn China sie vor der Zahlungsunfähigkeit rettet, bindet es sie noch stärker an sich.
China bleibt Sicherheitsrisiko für den Westen
Es wäre allerdings verfehlt, wegen Brasiliens Absage den Einfluss Chinas in Lateinamerika kleinzureden. Weiterhin sind 22 Länder in Lateinamerika und der Karibik Mitglied der Seidenstrassen-Initiative. Das Handelsvolumen zwischen Lateinamerika und China ist von 12 Milliarden Dollar im Jahr 2000 auf 489 Milliarden gestiegen. Für die Region südlich des Panama-Kanals ist China inzwischen der wichtigste Handelspartner und ein bedeutender Kreditgeber.
Der chinesische Einfluss ist für die USA auch zu einem militärischen Sicherheitsrisiko geworden, wie die abtretende Chefin des für die Region zuständigen U.S. Southern Command, Generalin Laura Richardson, betont. Besonders gilt dies für Panama und Peru. In Panama stehen die zwei Häfen an beiden Enden des Kanals de facto unter chinesischer Kontrolle. Sie werden mit einer langjährigen Konzession von einem Hongkonger Unternehmen verwaltet, das Befehle der chinesischen Regierung ausführen muss.
In Peru wird in diesem Monat der von den Chinesen gebaute und in Zukunft von ihnen verwaltete Mega-Tiefseehafen von Chancay eröffnet. Dieser kann sowohl für zivile als auch für militärische Zwecke genutzt werden. Die chinesische Marine könnte ihn in Zukunft benützen. Peru hat sich erpressbar gemacht, indem es die gesamte Stromversorgung der Hauptstadt Lima in chinesische Hände legte. Um Chinas Einfluss in der Region zu kontern, hat Richardson einen Marshall-Plan für Lateinamerika gefordert.