Wie Marcel Duchamps Pissoir wird die Banane erst zur Kunst, wenn sie ausgestellt wird. Und weil sie weit über die Kunstwelt hinaus bekannt ist.
Zwischen den letzten Geboten werden die Abstände immer länger, im Raum wird es still. Die Agenten auf der Tribüne halten beim Telefonieren mit den Bietern die Hand vor dem Mund. «Wir sind bei 5 Millionen für eine Banane angelangt», sagt der Leiter der Versteigerung. Die Menschen im Auktionshaus Sotheby’s in New York lachen.
Am Ende wird sie am Mittwochabend nach fünf Minuten für 6,2 Millionen Dollar verkauft an einen Krypto-Unternehmer: die Banane. Genauer, die Idee, eine Banane mit silbernem Panzerklebeband an eine Wand zu kleben. Dazu gibt es ein Zertifikat, das die Echtheit des Kunstwerks belegt, und eine Anleitung, wie das Kunstwerk ausgestellt werden muss.
Die Banane wurde am Mittwoch an einem Obststand in Manhattan gekauft, sie dürfte also bald zerfallen und muss ersetzt werden. Laut der «New York Times» kostete sie 35 Cent. Am gleichen Tag bezahlt jemand das Zwanzigtausendfache dafür. Was soll das?
«Bin gleich zurück»
Das Werk heisst «Comedian» und wurde 2019 vom italienischen Künstler Maurizio Cattelan konzipiert. Er kaufte drei Bananen und klebte sie in der Kunstmesse Art Basel Miami Beach mit silbernem Klebeband an eine Wand. Und gab dem Werk einen Preis: 120 000 Dollar.
Dann kam der amerikanische Aktionskünstler David Datuna, riss die Banane von der Wand und ass sie auf. Die Banane war schnell ersetzt und verkauft, das Werk wurde sofort weltbekannt. Alle stellten sich die Frage, ob das Kunst sein kann. Und der Andrang der Besucher war so gross, dass die Galerie beschloss, die Bananen abzuhängen.
Maurizio Cattelan, 64 Jahre alt, wurde als Kind eines Lastwagenfahrers und einer Putzfrau in Padua geboren. Mit seiner Kunst provozierte er von Anfang an. 1989 sollte er in einer Galerie in Bologna ausstellen. Weil er bis zur Ausstellungseröffnung nicht wusste, was er ausstellen sollte, hängte er an der geschlossenen Tür, die zu seinen Werken hätte führen sollen, ein Schild mit der Aufschrift «Bin gleich zurück». Die Gäste warteten auf Cattelan. Neugierig – und vergeblich.
Später sorgte er mit einer lebensgrossen Statue von Papst Johannes Paul II. für Aufregung. Der Papst liegt unter einem Meteoriten, als wäre er gerade von ihm getroffen worden. Es folgten weitere Provokationen. Etwa eine Statue eines knienden Knaben, der betet, mit feuchten Augen, und die Gesichtszüge Adolf Hitlers trägt. Ein anderes Mal lässt er einen Esel in einer Galerie kacken.
2011 erklärte Cattelan schliesslich, er ziehe sich aus der Öffentlichkeit zurück. Sein Reichtum, sagt er, habe ihn seiner satirischen Kraft beraubt. Er erhielt eine grosse Retrospektive im Guggenheim Museum in New York. Doch er kam zurück, mit einer WC-Schüssel aus echtem Gold, die er «America» nannte. Und ein paar Jahre später folgte die Banane. Doch warum hat sie eine so grosse Wirkung?
Wie nasse Wäsche
Weil sie ausgestellt wird. Das ist die Idee hinter sogenannten Readymades – Alltagsgegenständen, die zur Kunst werden, weil sie ausgestellt werden. Marcel Duchamp gilt als ihr Erfinder. Er kam 1917 auf die Idee, ein Pissoir auf einen Sockel zu stellen.
Cattelan benützt Panzerklebeband, um die Banane an der Wand zu befestigen. Das gleiche Band, mit dem er 1999 seinen Galeristen an eine Wand von dessen Galerie klebte. Auch sonst ist Cattelan stets bemüht, seine Kunst auf besondere Art auszustellen. In der Guggenheim-Retrospektive wurden viele seiner Skulpturen aufgehängt wie nasse Wäsche.
Mit seiner Kunst sorgt Cattelan immer wieder für Aufsehen. Mediales Echo ist ihm gewiss, weit über die Kunstszene hinaus. Der Käufer von «Comedian», der chinesische Krypto-Unternehmer Justin Sun, berichtet auf X stolz von seinem Kauf und weist darauf hin, es handle sich bei der Banane um ein «kulturelles Phänomen, das die Welten von Kunst, Memes und der Krypto-Community» verbinde. Er werde die Banane in den nächsten Tagen essen, um «ihren Platz in der Kunstgeschichte und der Populärkultur zu ehren».
Will Cattelan mit der Banane auch gegen Käufer sticheln, die bereit sind, horrende Summen dafür zu bezahlen? Ist seine Kunst auch ein ironisches Statement zum Konsumrausch im Kunstmarkt? Vielleicht. «Dies ist ein Werk, das seine Kraft aus der Frage bezieht, wie wir Kunst bewerten», sagt Cattelan über «Comedian».
Was Cattelan mit seiner Banane der Welt wirklich sagen will, muss der Betrachter selber herausfinden: «Es ist nicht meine Aufgabe, den Leuten zu erklären, was ein Kunstwerk bedeutet», sagte Cattelan einmal. Ob die Leute dafür Millionen ausgeben wollen, müssen sie auch selber wissen.