Chinas Regierung will weiterhin einen erfolgreichen Wirtschafts- und Finanzstandort Hongkong, aber gleichzeitig die totale politische Kontrolle. Das kann nicht funktionieren.
Ein Hongkonger Gericht hat am Dienstag zum Teil lange Haftstrafen gegen 45 Demokratie-Aktivisten verhängt. Das zeigt einmal mehr, mit welcher Härte die Zentralregierung in Peking gegen jede kritische Stimme in der früheren britischen Kronkolonie vorgeht.
Der 28-jährige Studentenführer Joshua Wong erhielt eine Haftstrafe von vier Jahren und acht Monaten. Den Rechtsgelehrten Benny Tai verurteilten die Richter gar zu zehn Jahren Gefängnis. Die Urteile fällten drei Richter, die vom Hongkonger Regierungschef John Lee, dem ehemaligen Polizeichef der Stadt, handverlesen worden waren.
Jede kritische Stimme wird zum Schweigen gebracht
Das Gesetz zur nationalen Sicherheit, auf dessen Grundlage die Angeklagten verurteilt wurden, sieht ein solches Verfahren ausdrücklich vor. Die Zentralregierung hatte das Regelwerk nach den Protesten von 2019 implementiert. Es erlaubt Peking die totale politische Kontrolle in Hongkong.
Jede kritische Stimme, ob in der Politik, der Wissenschaft, in der Wirtschaft oder der Kultur, kann mit dem über weite Strecken vage formulierten Gesetz zum Schweigen gebracht werden.
Die am Dienstag Verurteilten hatten sich nichts anderes zuschulden kommen lassen als die Organisation einer inoffiziellen Vorwahl von Kandidaten für die 2021 anstehende Parlamentswahl, eine in demokratischen Staaten nicht unübliche Praxis.
Die Machthaber in Peking wollen mit ihrem kompromisslosen Vorgehen in Hongkong für «Stabilität» sorgen, wie sie gebetsmühlenartig wiederholen. Nur mit politischer Stabilität, so die Denkweise in der chinesischen Hauptstadt, lasse sich der wirtschaftliche Erfolg der ehemaligen britischen Kronkolonie sichern.
Pekings Instrument zum Durchregieren in Hongkong ist das Verbindungsbüro, das sogenannte Liaison Office. Ihm steht der festlandchinesische Politiker Xia Baolong vor. Xia werden Anweisungen zum Teil direkt von Chinas Staats- und Parteichef Xi Jinping zugeteilt.
Doch ein globaler Finanz- und Wirtschaftsplatz wie Hongkong, der sich selbst als Asiens Tor zur Welt vermarktet, braucht ein offenes gesellschaftliches Klima, eine kritische Diskussionskultur und einen Wettbewerb der Ideen und Ansichten. Das haben die Regierenden in Peking nicht verstanden. Sie nehmen ihren Kritikern in Hongkong jede Luft zum Atmen und glauben, sie könnten damit Hongkongs Zukunft sichern.
Die Stadt ist in einem schlechten Zustand
Tatsächlich ist die Stadt mit ihren 7,5 Millionen Einwohnern inzwischen in einem bemitleidenswerten Zustand. Die Wirtschaft steckt in der Krise, überall schliessen Läden und Restaurants. Ein grosser Teil der hellsten Köpfe hat das Land verlassen. Die Pressefreiheit ist auf dem Rückzug, die Unabhängigkeit der Justiz ebenfalls. Das zeigen die Urteile vom Dienstag.
Heute sind die Zustände in Hongkong zum Teil sogar bedenklicher als auf dem chinesischen Festland. Viele der in einer anderen Tradition gross gewordenen Beamten Hongkongs versuchen die antizipierten Erwartungen der Führung in Peking noch überzuerfüllen. Sie zittern regelrecht vor der harten Hand Pekings.
Bei einem Interviewtermin mit einem mittleren Beamten etwa muss ein Journalist selbst harmlose Fragen Tage vorher einreichen. Zum Termin bekommt der Medienschaffende dann einen fertigen Schriftsatz mit den Antworten überreicht. Viele Beamte in Shenzhen oder Schanghai sind gelassener. Da wundert es nicht, dass sich manche ausländische Wirtschaftsvertreter in Hongkong mittlerweile eine Verwaltung wie im benachbarten Shenzhen wünschen.