Murray hat die Chance, Djokovic zum Rekord-Grand-Slam-Titel zu verhelfen. Das Wissen dafür müsste der Schotte haben; das Coachen liegt in seiner Familie im Blut.
Novak Djokovic ist immer wieder für eine Schlagzeile gut. Ende 2013 gab der Tennis-Star bekannt, dass er den ehemaligen Topspieler Boris Becker als Betreuer in seine Box hole. Becker blieb für drei ausgesprochen erfolgreiche Jahre. Mit dem Deutschen an seiner Seite gewann Djokovic sechs Major-Titel.
Doch nach dem Triumph im Sommer 2016 in Roland-Garros, dem einzigen der vier Grand-Slam-Turniere, das er zuvor noch nicht gewonnen hatte, fiel Djokovic in eine Sinn- und Leistungskrise. Im Herbst darauf musste er die Weltranglisten-Führung an Andy Murray abgeben – und Becker gehen.
Und just dieser Murray soll nun Djokovic in die Erfolgsspur zurückhelfen, und zwar als Coach und Berater. Djokovic kommunizierte dieses Engagement über Instagram, im Video sagt er: «Wir haben gegeneinander gespielt, seit wir Kinder waren. Wir haben uns gegenseitig an unsere Grenzen gebracht. Wir haben einig epische Duelle in unserer Sportart gegeneinander bestritten. Sie nannten uns Game-Changers, Risk-Takers, History-Makers. Ich dachte, unsere gemeinsame Geschichte sei vorbei. Doch es zeigte sich, wir haben ein letzte Kapitel zu schreiben. Willkommen in meinem Team, Andy Murray.»
Djokovic und Murray haben auf der ATP-Tour 36-mal gegeneinander gespielt, der Serbe führt in dieser Statistik mit 25:11 Siegen. Sieben dieser Begegnungen fanden im Rahmen eines Grand-Slam-Finals statt. Gerade am Australian Open war die Finalpaarung zwischen Djokovic und Murray eine Zeitlang der Klassiker schlechthin, alle vier Endspiele gewann Djokovic. Die beiden sind im Mai 1987 nur sieben Tage nacheinander zur Welt gekommen, Murray ist der Ältere.
Seinen letzten Turniersieg feierte Murray gegen Stan Wawrinka
Murray hat sich im vergangenen Sommer in Wimbledon von der ATP-Tour verabschiedet. Bereits zu Beginn der Saison hatte der Schotte diesen Abgang angekündigt. Er wolle sich künftig vermehrt um seine Frau und die vier gemeinsamen Kinder kümmern, hiess es.
Murray lebt mit der Familie in der Nähe von London. Wohl auch deswegen sagte er Anfang Jahr, sein Ziel sei es, heuer noch einmal in Wimbledon anzutreten. Doch beinahe wäre es nicht zu dieser Dernière gekommen: Zehn Tage vor dem Beginn der All England Lawn Tennis Championships musste sich Murray am Rücken eine Zyste operativ entfernen lassen, die Nervenschmerzen in seinem rechten Bein verursacht hatte. Immerhin reichte es noch zu einem Einsatz im Doppel an der Seite seines Bruders Jamie. Nach dem letzten Match sagte er auf dem Platz: «Am liebsten würde ich für den Rest meines Lebens Tennis spielen, doch mein Körper erlaubt es nicht mehr.» Zum Abschluss nahm Murray noch im Doppel an den Olympischen Spielen in Paris teil.
Wie Stan Wawrinka gewann Andy Murray in seiner Karriere drei Grand-Slam-Titel. Doch chronische Hüftbeschwerden beeinträchtigten seine Bewegungsfreiheit schon relativ früh und zwangen ihn zu mehreren Eingriffen. Am Australian Open 2019 kündigte er ein erstes Mal den Rücktritt an, und er wurde von seinen Konkurrenten tränenreich verabschiedet – ehe er nach dem geglückten Eingriff noch einmal auf die Tennis-Tour zurückkehrte. Im Herbst 2019 gewann Murray in Antwerpen sein letztes ATP-Turnier; durch einen Finalsieg gegen Wawrinka.
Andy Murray hat das Coaching im Blut; seine Mutter Judy betreute ihn lange Zeit. Der Vater seiner Frau, Nigel Sears, ist ebenfalls ein hoch angesehener Trainer. Dass Murray seine Familie schon nach so kurzer Zeit wieder allein lässt und auf die Tour zurückkehrt, zeigt, wie hartnäckig dieses Tennis-Virus ist. Wer einmal Teil dieses Zirkus’ war, den lässt dieser nicht so schnell los.
Im Ranking liegt Djokovic zum Jahreswechsel noch auf Position 7
Djokovic gewann zwar nach der Trennung von Becker weitere zwölf Major-Titel und schloss mit dem insgesamt 24. im Sommer 2023 am US Open in der ewigen Siegerliste zur australischen Rekordhalterin Margaret Court auf. Doch seither läuft er einem weiteren Major-Titel erfolglos hinterher. Immerhin schloss Djokovic im vergangenen Sommer mit Olympia-Gold in Paris die letzte nennenswerte Lücke in seinem Palmarès.
Die zweite Hälfte der Saison verlief für Djokovic eher enttäuschend. Am US Open scheiterte er in der dritten Runde am Australier Alexei Popyrin und so früh wie seit 18 Jahren nicht mehr an einem der vier Major-Turniere. Danach erreichte er in Schanghai den Final – und beendete die Saison vorzeitig. Im Ranking liegt er zum Jahreswechsel noch auf Position 7. Deshalb begann man in der Szene zu rätseln: War es das nun für Djokovic? Verlässt nach Rafael Nadal, Roger Federer und Andy Murray bald auch der vierte der ehemaligen Big Four den Tenniscourt?
Vorerst noch nicht. Doch wie viel Kraft, wie viel Drama steckt noch in Novak Djokovic? Kann ihn Andy Murray noch einmal an seine Limiten treiben? Die junge Garde um den italienischen Aufsteiger Jannik Sinner ist hungrig und mutig. Der Südtiroler hat seine beinahe perfekte Saison am vergangenen Wochenende mit dem Titel im Davis-Cup gekrönt. Er wird auch 2025 nur schwer zu schlagen sein – wenn ihm sein hängiges Dopingverfahren nicht in die Quere kommt.