Im September wurde der Amerikaner aus Astana verjagt. Jetzt verlässt Chase De Leo auch die ZSC Lions vorzeitig. Was ist geschehen?
Als Knirps erhält Chase De Leo in Südkalifornien von seiner Mutter eine Dosis Realismus eingeflösst, sie sagt: Deine Chancen, es irgendwann in die NHL zu schaffen, sind verschwindend klein, sie liegen bei vielleicht einem Prozent. De Leo entgegnet: Das genügt mir, dieses eine Prozent werde ich sein.
De Leo, 29, hat Wort gehalten. Er schaffte es bis in die NHL und hat im Eishockey über die Jahre ein paar Millionen Dollar verdient. Im Herbst brach er zu neuen Ufern auf, gen Europa. Der alte Kontinent als Sehnsuchtsort, als Hort der Hoffnung. De Leo unterschreibt bei Barys Astana in der KHL; er ist ein Wunschspieler des Trainers David Nemirovsky. Nach zwei Partien ist der Coach entlassen. Und nach weiteren sieben Spielen endet das Gastspiel auch für De Leo: Barys sistiert die Verträge aller neun ausländischen Akteure per sofort.
«Ich wurde ins Büro des Präsidenten bestellt und darüber informiert, dass unsere Visa für Kasachstan in zwei Tagen ablaufen», sagte De Leo vor ein paar Wochen dem Magazin «Slapshot». Und ergänzte: «Es war absurd. Irgendwann werde ich vielleicht ein Buch darüber schreiben.» Es ist unklar, ob er sein Geld jemals sehen wird – es blieb ihm nichts anderes übrig, als das Land Hals über Kopf zu verlassen. «Ich wollte nicht dort in einem Gulag landen. Das war wirklich eine Sorge von mir», sagte De Leo.
De Leo fand zum Eishockey, weil ein Nachbar mit Bob Hartley befreundet war
Er fliegt zurück nach Hause, seine Eltern unterhalten in La Mirada, einem Vorort von Los Angeles, eine Farm mit fast hundert Tieren: Eseln, Hunden, Schweinen. Es ist sein Kraftort, eine Oase der Ruhe, immer schon. Als Kind nahm er sein Schwein manchmal mit in die Schule und liess es Tricks aufführen. «Für ein paar dieser Cheerios-Frühstücksflocken hat es fast alles gemacht», sagt er.
Vielleicht wäre er Tierarzt geworden, hätte das Leben nicht diese Fügung für ihn bereitgehalten: Ein Nachbar ist mit Bob Hartley freundschaftlich verbunden, 2012 Meistertrainer der ZSC Lions, um die Jahrtausendwende aber noch Coach der Colorado Avalanche. Wann immer das Starensemble um Peter Forsberg, Joe Sakic und Patrick Roy bei den Los Angeles Kings gastiert, darf der kleine Chase mit. Ans Spiel und in die Garderobe. Es ist ein neues Universum, das sich Chase in jenen Tagen erschliesst. In diesem Umfeld keimt in ihm der Traum, selbst einmal Eishockeyprofi zu werden. An Halloween verkleidet er sich als Hockeyspieler mit der legendären Jason-Maske.
Eishockey ist unter der Sonne Kaliforniens ein Nischenprodukt, De Leo muss reisen, damit er gefordert wird. Als Heranwachsender fliegt er mit seinem Team nach Michigan, nach Kanada, nach New York. De Leo sagt: «Ich habe in der Schule so oft gefehlt, dass meine Eltern fast in den Knast gewandert wären. Sie haben sehr viel für mich geopfert, ich bin ihnen wahnsinnig dankbar.»
Bis heute ist er bestrebt, diese Hingabe in gewisser Weise zurückzuzahlen. Er sagt: «Meine Eltern haben ein kleines Unternehmen, das Klempnerzubehör verkauft. Wenn ich da bin, helfe ich, wo es geht mit den Tieren. Als Teenager fand ich das mühsam: Hundedreck wegzuräumen. Heute geniesse ich es. Du legst dein Handy weg und vergisst die Welt da draussen. Ich liebe Tiere. Ich glaube, mein Hund hat mir schon ein paar Mal das Leben gerettet. Dem ist es egal, ob du gerade den schlechtesten Match deiner Karriere gespielt hast oder dich wie der grösste Trottel fühlst. Für den ist es das Grösste auf der Welt, dass du nach Hause kommst und Zeit mit ihm verbringst. Das ist einfach wundervoll.»
CJ heisst sein Hund, und gerade könnte De Leo die hingebungsvolle Unterstützung mehr denn je gebrauchen. Aber das Tier ist in Kalifornien geblieben. Während De Leo in Zürich sitzt und sich fragt, wie ihm eigentlich gerade geschieht.
Ein paar Tage nach dem Weggang aus Astana hatte ihn der Lockruf des ZSC erreicht; der Klub suchte einen Ersatz für den verletzten Stürmer Rudolfs Balcers. Wieder setzte sich De Leo voller Hoffnung in den Flieger. Doch erneut endete das Abenteuer jäh: Am Donnerstagmorgen kommunizierten die Zürcher die Vertragsauflösung nach nur vier Einsätzen mit dieser Begründung: «Die gegenseitigen Erwartungen sind nicht erfüllt worden.»
Der ZSC wird keinen Ersatz für De Leo verpflichten
Am Handy meldet sich De Leo. Und sagt: «Ich hatte am Mittwoch ein Gespräch mit Marc Crawford. Er hat mir gesagt, dass es sein könne, dass ich bis zur Spengler-Cup-Pause nur noch eine Partie absolvieren würde. Ich verstehe, dass nicht immer alle Ausländer spielen können. Aber das hat mit einer Rotation wenig zu tun.»
Der ZSC bot dem Angreifer an, beim Swiss-League-Farmteam GCK Lions Spielpraxis zu sammeln und ihn bei einem Spengler-Cup-Teilnehmer unterzubringen, aber De Leo sagt, für ihn habe es sich so angefühlt, als verschwende er seine Zeit. «Ich wollte mich hier für einen neuen Vertrag für die kommende Saison aufdrängen. Aber ich habe keine echte Chance erhalten. In meinem ersten Spiel kam ich neben Malgin und Andrighetto zum Einsatz, dann nicht mehr. Und ich spielte kaum Powerplay. So ist es schwierig, zu skoren und sich aufzudrängen», sagt De Leo.
Der ZSC-Sportchef Sven Leuenberger verweist auf das Leistungsprinzip und sagt: «Wir können niemandem Eiszeit schenken, man muss sie sich schon verdienen.» Einen Ersatz wird der ZSC nicht verpflichten, auch ohne De Leo stehen bereits sieben Ausländer unter Vertrag. Und Balcers dürfte Anfang Januar wieder zur Verfügung stehen.
De Leo derweil kann sich seinen neuen Klub, den dritten innert drei Monaten, frei aussuchen. Mit einer Prise Galgenhumor sagt er: «Immerhin muss ich mir in der Schweiz keine Sorgen machen, im Gulag zu landen.» Und dann, ernster: «Ich bin an einem Punkt, an dem mir das Geld egal ist. Ich möchte einfach an einem Ort landen, an dem ich spüre, dass man mich will. Und an dem ich mein Selbstvertrauen wiederfinde.»
Europa ist gross, irgendwo sucht immer ein Klub verzweifelt nach einem Eishockeyspieler. Die nächste Bewährungschance für De Leo wird kommen, und nach diesem Winter des persönlichen Horrors hat er auch diese Gewissheit: Es kann eigentlich nur besser werden.