Zuletzt schien Syriens Herrscher fest im Sattel zu sitzen. Doch unter dem Ansturm islamistischer Rebellen scheint das morsche Asad-Regime nun zu wanken. Geschlagen ist es aber noch nicht.
Als Bashar al-Asad im Frühling 2023 in Riad die Ehrengarde des saudischen Königs abschritt, lächelte er zuversichtlich. Fast zehn Jahre lang galt der Syrer in der arabischen Welt als Paria. Jetzt ist er dort wieder willkommen. Zuvor hatte er den Aufstand des Arabischen Frühlings in seinem Land niedergeschlagen und westlichen Sanktionen getrotzt. Selbst mancher europäische Politiker forderte inzwischen, über eine Normalisierung der Beziehung mit dem Damaszener Herrscher zumindest nachzudenken.
Anderthalb Jahre später scheint davon nichts mehr übrig. Stattdessen drohen islamistische Rebellen aus Nordsyrien das morsche Asad-Reich zum Einsturz zu bringen. Seit Beginn ihrer Offensive am Mittwoch haben die Jihadisten in einem Blitzkrieg die zweitgrösste Metropole Aleppo genommen und einen Keil nach Süden bis vor Hama getrieben. Sollten sie die Stadt in Zentralsyrien erobern, könnten sie Damaskus von den Mittelmeerprovinzen abschneiden.
Militärisch und wirtschaftlich kaputt
Gleichzeitig machten in der Nacht auf Sonntag wilde Gerüchte die Runde. In Damaskus habe ein Putsch stattgefunden, hiess es, Asad sei in Moskau festgesetzt worden und in den Strassen der Hauptstadt würden sich rivalisierende Armee-Einheiten Feuergefechte liefern. Am Ende bewahrheitete sich davon nichts. Aber das Chaos und der nahezu ungebremste Vormarsch der Rebellen, der aus dem Nichts zu kommen scheint, zeigen: Das Regime sitzt alles andere als fest im Sattel.
Tatsächlich ist die Lage dramatisch. Die korrupte Armee ist offenbar ein Schatten ihrer selbst und leistet kaum Widerstand. Erst kurz vor Hama war sie zu einer Reaktion fähig. Zudem kommen Damaskus auch noch die Verbündeten abhanden: Vor knapp zehn Jahren war es neben Russen und Iranern vor allem der libanesische Hizbullah gewesen, der den schwer angeschlagenen Asad vor den Aufständischen gerettet hatte. Jetzt sind die Schiiten-Kämpfer nach ihrer Niederlage gegen Israel mit dem eigenen Überleben beschäftigt.
Iran und Russland scheinen ebenfalls kaum fähig, Damaskus zu Hilfe zu kommen. Asads Syrien ist aber nicht nur militärisch kaputt, sondern auch wirtschaftlich. Jahre des Bürgerkriegs, der Kleptokratie und der harten Sanktionen haben aus dem Land ein Armenhaus gemacht, in dem es im Winter nicht einmal genug Öl zum Heizen gibt. Zuletzt zeigte sich das nach dem grossen Erdbeben von 2023 in der Türkei, welches auch Teile von Aleppo zerstört hatte. Einwohner beklagten sich über fehlende Hilfe und die galoppierende Inflation.
Geschäftsleute, Günstlinge, Kriegsgewinnler
In den letzten anderthalb Jahren kam es in verschiedenen Ecken des Landes deshalb immer wieder zu Protesten und Unruhen. Derweil bereichert sich eine kleine Elite seit Jahren an der Misere. Es sind windige Geschäftsleute, Milizenführer und Kriegsgewinnler, die sich um den Hof in Damaskus scharen. Die Strukturen dort sind jedoch dermassen opak, dass selbst erfahrene Syrien-Kenner Mühe haben, zu durchschauen, wer genau welche Fäden in der Hand hat.
Lange Jahre war Asads Cousin Rami Makhlouf der wichtigste Günstling, ehe er in Ungnade fiel. Stattdessen stiegen andere Männer auf, wie die Unternehmer Samer Foz oder Firas Akhras. Doch auch sie dürften sich nie allzu sicher fühlen. Wer wirklich die Macht hat, ist unklar. Manche Beobachter tippen auf Maher Asad, Bashars Bruder, der die Elitetruppen der vierten Division befehligt. Andere hingegen auf Asma al-Asad, die Präsidentengattin, die allerdings zum zweiten Mal an Krebs erkrankt ist.
Ihr Ehemann Bashar kümmerte sich derweil darum, das Überleben des Regimes auf der internationalen Bühne zu sichern. Er spielte seine beiden wichtigsten Verbündeten Russland und Iran gegeneinander aus und versuchte zugleich, mit den Golfstaaten wieder ins Geschäft zu kommen. Diese hatten ihn zuvor jahrelang bekämpft und mit Sanktionen belegt. Doch das Tauwetter brachte nicht die gewünschten Ergebnisse: Statt Geld gab es für Asad nur leere Ankündigungen.
Fällt Hama, könnte alles kollabieren
Angesichts solcher Zustände erstaunt nicht, dass das Regime dem Sturm, der nun über es hinwegfegt, wenig entgegenzusetzen hat. Alles komme jetzt auf die Situation auf dem Feld an, sagt eine gut informierte Quelle aus Damaskus. «Sollte es der Armee gelingen, in Hama eine Verteidigungslinie zu errichten, könnte der Vormarsch stoppen.» Denn rund um Hama lebten viele Angehörige der Asad-treuen Minderheit der Alawiten, die zumindest motiviert wären, ihre Dörfer zu verteidigen.
Zudem handelt es sich bei dem derzeitigen Rebellenangriff nicht etwa um einen breiten Volksaufstand wie 2011, sondern um eine Kommando-Aktion islamistischer Milizen, die von der Türkei unterstützt werden. Nicht nur Asads derzeit überforderte Schutzmächte Iran und Russland dürften an einer Ausweitung von Ankaras Einfluss wenig Interesse haben. Auch den Golfstaaten kommt ein Zusammenbruch der Ordnung in Syrien bei dem Chaos in der Region nicht gelegen.
Es sei daher gut möglich, dass sich das Regime auf einem reduzierten Territorium weiter halten könne, sagt die Quelle aus Syrien. Sollte die Armee aber Hama verlieren oder sich als unfähig erweisen, den Vormarsch der Rebellen zu bremsen, dann drohe tatsächlich alles zu kollabieren. Bloss: Asad wird nicht zum ersten Mal der Untergang vorhergesagt. Nach Beginn des Bürgerkriegs 2011 war das beinahe wöchentlich der Fall. Am Ende hielt er sich trotzdem bis heute an der Macht.







