Kosovo hat eine fragile Wasserversorgung. Der Anschlag auf den Ibar-Kanal im Norden schürt die Spannungen zwischen Kosovaren und der serbischen Minderheit.
Für einmal sind sich in Kosovo alle einig: Es war ein Terroranschlag. Die Explosion, die in der Nacht auf vergangenen Samstag den Ibar-Lepenac-Kanal im Norden Kosovos schwer beschädigte, war ein Angriff auf die kritische Infrastruktur des Landes. Ministerpräsident Albin Kurti spricht von einer «professionellen Gruppe», die aus Serbien unterstützt und dirigiert werde. Beweise dafür fehlen bis anhin.
Auch die kosovo-serbischen Parteien und Nichtregierungsorganisationen verurteilen einhellig den Sabotageakt. Manche Serben mutmassen, Pristina stecke dahinter und schaffe einen Vorwand, um den Druck auf die serbische Bevölkerung zu erhöhen und sie zur Abwanderung zu veranlassen. Auch dafür fehlen Beweise.
Der Kanal ist Teil eines Systems, das Wasser aus dem Ibarfluss im Norden nach Süden leitet, wo es für die Bewässerung von Feldern, aber auch als Trinkwasser und zur Kühlung der Obilic-Kohlekraftwerke verwendet wird. Für das wasserarme Kosovo ist das System von grösster Bedeutung. Die Explosion riss ein klaffendes Loch in die massive Betonrinne, die bei Zubin Potok als eine Art Aquädukt überirdisch geführt wird. Für die Sprengung sollen etwa 20 Kilo Dynamit und wasserfeste Zünder verwendet worden sein. Zurzeit sind die Reparaturarbeiten an der Rinne noch im Gang, die Trinkwasserversorgung ist weiterhin vielerorts instabil.
Kosovo leidet seit je an Wasserknappheit. In den 1970er und 1980er Jahren baute Jugoslawien deshalb mithilfe der Internationalen Bank für Wiederaufbau und Entwicklung das sogenannte Ibar-Mehrzweck-Wassersystem. So erhielt die ärmste Region Jugoslawiens bei Zubin Potok den Gazivoda-Stausee mit Elektrizitätswerk, ein viele hundert Kilometer langes Netz von Bewässerungskanälen und eine stark verbesserte Trinkwasserversorgung. Es waren Jahre des Aufschwungs für die 1974 autonom gewordene Provinz.
Die Hand Moskaus im Spiel?
Die kosovarische Spezialpolizei ist seit dem Wochenende mit einem Grossaufgebot im serbisch besiedelten Norden präsent. In den vergangenen Tagen wurden zahlreiche Razzien durchgeführt, mehrere Personen verhaftet, die meisten später wieder auf freien Fuss gesetzt. Eine heisse Spur fehlt offenbar. Die Polizei beschlagnahmte aber Waffen und Uniformen. Darunter sollen sich auch russische Kampfanzüge befinden.
Viele kosovarische Politiker – und auch der Regierungschef Kurti – nehmen das zum Anlass, um über eine russische Beteiligung am Sabotageakt zu spekulieren. Das entspricht einer Kommunikationsstrategie Kurtis, der Belgrad als Stellvertreter des Kremls in der Region darstellt und die Auseinandersetzung mit Serbien als Teil des geopolitischen Konflikts zwischen Russland und dem Westen.
Im selben Kontext sieht Kurti auch den Zwischenfall in Banjska im September vor einem Jahr. Etwa drei Dutzend bewaffnete Serben hatten sich dort in einem Kloster verschanzt und lieferten der Polizei stundenlange Gefechte. Der Anführer konnte sich nach Serbien absetzen und ist dort mit Auflagen auf freiem Fuss. Der Gerichtsprozess gegen ihn hat noch nicht begonnen.
Noch in der Nacht des Anschlags auf den Ibar-Kanal hatte Kurti beantragt, zusätzlich zur Polizei auch die Kosovo Security Force, den schwerbewaffneten Kern der kosovarischen Armee, in den Norden zu schicken. Dazu ist die Erlaubnis des Kommandanten der Nato-geführten Schutztruppe Kfor notwendig. Der italienische Generalmajor lehnte das Gesuch ab: Die vorhandenen Kräfte reichten zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung. Kurti betrachtet diese Regelung als Zumutung und als Beschneidung der kosovarischen Souveränität, die er im Norden mit harter Hand durchsetzt.
Gefährliche Schuldzuweisung
Der serbische Präsident Aleksandar Vucic kündigte am Dienstag ebenfalls eine Untersuchung des Vorfalls an. Wer immer für die Attacke auf die Wasserversorgung Kosovos verantwortlich sei, habe nicht im Interesse Serbiens gehandelt, sagte Vucic. Die Vorwürfe aus Pristina bezeichnete er als Propaganda. Er hoffe, bereits nächste Woche Resultate der Untersuchung vorlegen zu können.
Daran zweifelt Milica Andric Rakic. Die 33-Jährige stammt aus Zubin Potok und leitet die NGO Neue Soziale Initiative. «Mit grösster Wahrscheinlichkeit werden wir nie erfahren, wer hinter dem Anschlag steckt», sagt sie im Gespräch. Extremisten aus Kosovo so gut wie aus Serbien könnten dafür verantwortlich sein. Was sie beunruhigt, sind die sich abzeichnenden politischen Folgen der Attacke.
Kurtis Fingerzeig auf Serben als angebliche Täter sei vorschnell und verantwortungslos. Alle Kosovaren wüssten, wie lebenswichtig die Wasserversorgung aus dem Norden für das ganze Land sei. Wenn Pristina nun behaupte, die Serben seien Saboteure, schüre das die ohnehin gefährlichen Spannungen zwischen den Volksgruppen.