Der chinesische Frachter «Yi Peng 3» muss untersucht werden. Nur wenn Beweise vorliegen, können Konsequenzen folgen.
Es sind absurde Szenen, die sich gerade in der Ostsee abspielen. Da ist ein chinesischer Frachter, dessen Besatzung verdächtigt wird, mutwillig zwei Unterseekabel zerstört zu haben. Das Schiff liegt seit über zwei Wochen auf offener See zwischen Schweden und Dänemark und wird von Patrouillenbooten der Nato bewacht. Den Frachter untersuchen können die Staaten jedoch nicht. Das Seerecht verbietet es ihnen, denn ausserhalb des Küstenmeeres liegt die Hoheitsgewalt beim Flaggenstaat: China.
Die Freiheit der Schifffahrt gilt auch für mutmassliche Saboteure. Selbst wenn ein Schiff einen Anker quer durch die Ostsee hinter sich herzieht und damit alle vorhandenen Kabel zerstört, ist laut Rechtswissenschaftern unklar, ob die Anrainerstaaten dagegen vorgehen können. Tun sie es ohne Rechtsgrundlage, brechen sie das Völkerrecht.
Die Situation widerspricht nicht nur dem gesunden Rechtsempfinden – sie ist auch gefährlich. Die Freiheit der Schifffahrt wurde von feindlichen Akteuren bereits wiederholt missbraucht. Letztmals vor einem Jahr, als ein anderer chinesischer Frachter eine Gaspipeline zwischen Finnland und Estland beschädigte. Das Schiff konnte ungehindert aus den europäischen Gewässern flüchten, den Nachahmereffekt beobachten wir gerade.
Perfides Spielchen
Besonders perfide sind solche Attacken, weil sie sich als Unfall tarnen lassen. Unklar ist auch, wer im Hintergrund die Fäden zieht. Die Undurchschaubarkeit eröffnet das Feld für Spekulationen. Handelten die Schiffe im Auftrag des Kremls? Oder steckt vielleicht doch Peking dahinter? Wenn ja, welches Motiv könnte China haben?
Seit Beginn seines völkerrechtswidrigen Angriffskrieges gegen die Ukraine versucht Putin mit verschiedenen Mitteln, im Westen Zwietracht und Verunsicherung zu säen. Die hybriden Attacken, wie sie von Experten genannt werden, folgen demselben Muster: Die Rechtsstaatlichkeit – das höchste Gut westlicher Demokratien – wird für böswillige Zwecke missbraucht.
Es ist ein Spiel mit ungleichen Spiessen. Während sich die eine Seite akribisch an die gemeinsamen Spielregeln hält, lacht sich die Gegenseite ins Fäustchen. Ob die Kabel in der Ostsee in Putins Auftrag zerstört wurden, ist unklar. Die mutmassliche Sabotage passt aber in das gleiche Schema.
Keine Freiheit ohne Sicherheit
Den Westen stellen solche Angriffe vor ein Grundsatzproblem: Was soll höher gewichtet werden – die Freiheit, in diesem Fall der Seefahrt, oder die Sicherheit?
Der Westen sollte das Völkerrecht nicht leichtfertig brechen – zumal es Peking vielleicht genau darauf angelegt hat. Chinas einseitige Ansprüche im Südchinesischen Meer haben dazu geführt, dass es mit allen anderen Küstenstaaten im Streit liegt. Ein Verstoss gegen das Seerecht in der Ostsee könnte Peking als Argument dafür nutzen, dass der Westen mit zweierlei Mass misst.
Klar ist aber, dass die veralteten Gesetze an eine neue Wirklichkeit angepasst werden müssen. Kritische Infrastruktur kann heute von staatlichen Akteuren mutwillig und leicht zerstört werden. Und die Provokationen nehmen so lange zu, bis man ihnen ein Ende bereitet.
Die Gesetzgebung lässt sich nicht im Schnellverfahren ändern, denn dazu braucht es auch die Zustimmung von Russland und China. Die beiden Länder dürften kein Interesse daran haben, den Westen dabei zu unterstützen. Doch die Zeit drängt.
Um herauszufinden, was auf der «Yi Peng 3» wirklich geschehen ist, muss der chinesische Frachter schnellstmöglich untersucht werden. Erst wenn Beweise vorliegen, können Konsequenzen folgen. Das Risiko eines Gerichtsverfahrens sollten die Geschädigten in Kauf nehmen. Ein Urteil würde die unklare Rechtsgrundlage klären und die Auslegung der Gesetze bei einem nächsten Fall vereinfachen.
Lassen die Nato-Staaten das chinesische Schiff hingegen unverrichteter Dinge passieren, kommt das einer Kapitulation gleich. Das Signal an den despotischen Nachbarn im Osten und dessen Freunde in Peking wäre fatal.