Jahrelang hiess es, Bashar al-Asad sitze fest im Sattel. Doch dann wurde der syrische Machthaber in weniger als zwei Wochen gestürzt. Sein Regime war ausgehöhlt und zerfressen von Korruption.
Wo auch immer die islamistischen Rebellen um Hayat Tahrir al-Sham (HTS) in den vergangenen Tagen vorrückten, es spielten sich immer wieder ähnliche Szenen ab: Die Einheiten der syrischen Regierungstruppen zogen sich zurück und machten sich aus dem Staub. Statt sich den Rebellen entgegenzustellen, entschieden sich viele Soldaten zur Flucht – oder wechselten gar die Seiten.
Fast schien es so, als versuchten sie nicht einmal, die Aufständischen aus dem Nordwesten Syriens aufzuhalten oder gar zurückzudrängen. Die Kämpfer unter dem Kommando der syrischen Generalität wirkten vielerorts wie Pappkameraden – aufgestellt zur Abschreckung, aber ohne Führung und Funktion. Sie symbolisieren, wie ausgehöhlt das Regime unter Langzeitherrscher Bashar al-Asad war.
Zwar hiess es in den vergangenen Jahren immer wieder, Asad sitze fest im Sattel. 2015 war es ihm mit Hilfe der russischen Luftwaffe gelungen, die bereits drohende Niederlage des Regimes im syrischen Bürgerkrieg zu verhindern. Stück für Stück eroberte die Armee daraufhin das von Aufständischen erkämpfte Territorium zurück. 2016 vertrieb Asad seine Gegner aus Aleppo.
Mit Hilfe seiner wichtigsten Verbündeten gelang es ihm, immerhin zwei Drittel des syrischen Staatsgebiets unter seiner Kontrolle zu halten. Nach Jahren des Bürgerkrieges mit mehr als 300 000 Toten und Millionen von Flüchtlingen im In- und Ausland wurde Asad schliesslich kaum noch herausgefordert.
Beispiellose Brutalität
Neben der militärischen Unterstützung aus Russland, Iran und von der libanesischen Hizbullah-Miliz war Asads wichtigster Verbündeter die Angst. Zwar gab er sich in dem multikonfessionellen Land als Garant für den Schutz von Minderheiten aus. Tatsächlich liess er aber seine Gegner – unabhängig von ihrer Konfession – mit beispielloser Brutalität verfolgen.
Gefürchtet vom grössten Teil der Bevölkerung und geächtet von der internationalen Gemeinschaft, musste sich Asad in den vergangenen Jahren auf die Hilfe seiner Verbündeten verlassen. Diese griffen ihm vor allem militärisch unter die Arme. Beim Wiederaufbau des in grossen Teilen zerstörten Landes konnten oder wollten weder Russland noch Iran helfen. Für soziale Reformen schien sich Asad ohnehin nicht zu interessieren.
Gleichzeitig befand sich die syrische Wirtschaft in einer Abwärtsspirale. Innerhalb weniger Jahre verarmte der grösste Teil der syrischen Bevölkerung: 90 Prozent der Menschen in Syrien leben unterhalb der Armutsgrenze. In vielen Orten gibt es keine Strom- und Wasserversorgung mehr. Die Menschen leben in bis zur Unkenntlichkeit zerbombten Städten und Dörfern ohne jede Perspektive. Risse im System deuteten sich zuletzt durch vereinzelte Proteste an – wie in der südwestsyrischen Stadt Suweida Anfang des Jahres. Wer konnte, verliess das Land.
Captagon als Einnahmequelle
Um zumindest die wichtigsten Stützen seines Machtapparats – das Militär, die Geheimdienste und seinen alawitischen Familienclan – zu finanzieren, nutzte Bashar al-Asad die Einnahmen aus dem Export der illegal in Syrien produzierten Droge Captagon. Deren Schmuggel in andere Länder der Region, aber auch nach Europa versorgte das Regime mit Geld – sorgte aber gleichzeitig für Kritik aus den Golfstaaten, wo immer mehr Menschen von dem günstigen Aufputschmittel abhängig wurden.
Das hinderte die arabischen Monarchien allerdings nicht daran, die Rehabilitierung von Bashar al-Asad in der Arabischen Liga voranzutreiben. Im Mai 2023 wurde Syrien wieder in die Arabische Liga aufgenommen. Asads sogenanntes Comeback wurde als weiteres Indiz dafür gewertet, dass seine Herrschaft in Syrien gefestigt sei.
Diese Aussenwirkung stand jedoch in starkem Kontrast zur Situation in Syrien. Je länger Asad das Land beherrschte, desto deutlicher wurde, dass seine Machtbasis bröckelte. Ohne Wiederaufbau und wirtschaftliches Wachstum gelang es dem Machtapparat immer weniger, Beamten ein Gehalt zu zahlen, das fürs Überleben reicht. Die Korruption in Syrien reichte bis in den letzten Winkel; mangelnde Perspektiven und finanzielle Not demoralisierten Asads Soldaten und höhlten den Machtapparat von innen aus. Am Ende war offensichtlich niemand mehr gewillt, sich für dieses Regime in den Kugelhagel zu stellen. Der Umstand, dass Asad noch vor wenigen Tagen den Lohn seiner Soldaten um 50 Prozent erhöhen liess, wirkt wie eine Verzweiflungstat.
Gleichzeitig brach die Unterstützung aus dem Ausland weg: Der libanesische Hizbullah wurde im Krieg mit Israel stark dezimiert. Iran musste ebenfalls schwere Schläge gegen seine Militärführung in Syrien durch Israel einstecken. Und Russland ist mit Truppen und Gerät im Krieg gegen die Ukraine gebunden.
Ausländische Unterstützung für die Rebellen
Diese Entwicklung wusste HTS unter der Führung von Mohammed al-Julani für sich zu nutzen. Während die syrische Armee in den vergangenen Jahren immer weiter verrottete, rüsteten die Islamisten auf – mit Hilfe mindestens aus der Türkei. Unklar ist, ob noch weitere Staaten, zum Beispiel am Golf, die Rebellen unterstützten.
Die professionelle Ausrüstung der Kämpfer und ihre militärische Organisation, aber auch der betont tolerante Auftritt des islamistischen Anführers überraschen. Julani setzte offenbar nicht zuletzt auf Diplomatie: Seinen Kämpfern schickte er jeweils Verhandler voraus, die Bürgermeister und lokale Milizen davon überzeugten, sich kampflos zu ergeben oder sich gar den Rebellen anzuschliessen. Inspiriert vom Erfolg von HTS erhoben sich derweil auch im Süden des Landes bewaffnete Verbände.
Der Nahe Osten schaute währenddessen fast schon teilnahmslos zu, wie das Asad-Regime unterging. Obwohl auch Ägypten und Saudiarabien im eigenen Land ebenfalls «Terroristen» bekämpfen – also alle, die die staatliche Ordnung in Gefahr bringen könnten – stützten sie den arabischen Autokraten nicht. Auffällig ist auch, dass Israel und die USA trotz der starken Präsenz radikaler Islamisten stillhalten. Zuletzt wollte – oder konnte – Asad niemand mehr helfen.







