Er galt als brillanter Spürhund. Dann löste er den spektakulärsten Medienskandal Deutschlands aus. Nun ist der ehemalige «Stern»-Reporter Gerd Heidemann gestorben.
Er war ein Star. In der Redaktion des Nachrichtenmagazins «Stern» galt Gerd Heidemann als einer der besten Rechercheure. Zuverlässig, ein Mann für alle Fälle. «Immer wenn es brenzlig wird, muss Gerd Heidemann ran», war im hausinternen Mitteilungsblatt von Gruner + Jahr zu lesen. Er sei der «zäheste Spürhund, der sich denken lässt». Berufskollegen hätten dem zugestimmt. Das war im Frühling 1983. Ein paar Tage später stand der Name Heidemann für einen der grössten Medienskandale Deutschlands.
Am 25. April 1983 gab die Redaktion des «Sterns» vor mehreren hundert Journalisten bekannt, sie sei im Besitz von Adolf Hitlers Tagebüchern. Über sechzig Bände, Hunderte von Seiten mit Notaten aus der Zeit vom 22. Juni 1932 bis Mitte April 1945. Eine Sensation. Die Biografie Hitlers und die Geschichte des NS-Staates müssten in weiten Teilen neu geschrieben werden, sagte der «Stern»-Chefredaktor.
Hitlers Pistole
Drei Tage später wurden die ersten Textausschnitte publiziert. Anfang Mai flog der Schwindel auf. Experten wiesen aufgrund des Papiers nach, dass es sich um Fälschungen handelte. Verfasst hatte sie Konrad Kujau, ein erfolgloser Kunstmaler, der mit Nazi-Devotionalien handelte. Drei Jahre vorher hatte Kujau dem «Stern»-Reporter Auszüge aus den vermeintlichen Tagebüchern vorgelegt. Heidemann hatte grosses Interesse gezeigt. Mehr als das, er war begeistert.
Alles, was mit der NS-Zeit zu tun hatte, elektrisierte ihn. Heidemann besass selbst eine Sammlung von Nazi-Gegenständen, die er bei dubiosen Militaria-Händlern erstanden hatte: Krüge mit dem Hakenkreuzemblem, Wehrmachtsuniformen, die Pistole, mit der sich Hitler erschossen haben soll. In den siebziger Jahren kaufte er die Jacht, die Göring gehört hatte, und traf sich auf ihr mit ehemaligen SS-Grössen. Zu Recherchezwecken, wie er betonte.
Angefangen hatte Heidemann als Fotograf. Nach dem Krieg wollte er Kameramann werden, bekam aber keine Lehrstelle. Als Fotograf auch nicht. Also versuchte er es auf eigene Faust. Durch Zufall konnte er für einen bekannten Hamburger Pressefotografen tätig werden, und er arbeitete sich hoch. Bald brachte er eigene Bildberichte unter, in der «Frau im Spiegel», der «Hamburger Morgenpost» und im «Abendblatt».
Entlassen und verurteilt
Seit Mitte der fünfziger Jahre war Heidemann für den «Stern» tätig. Und fand schon bald die guten Geschichten, von denen das Magazin lebte. Seine Spezialität waren Kriegsreportagen. Für eine Reportage aus dem Kongo erhielt er 1965 den World Press Photo Award. Im September 1970 wurde ein Reporterkollege von Heidemann von einem palästinensischen Anführer in Jordanien verhaftet. Die Redaktion in Hamburg befahl Heidemann, sich sofort ins Ausland abzusetzen. Er verweigerte den Befehl und erreichte unter Lebensgefahr die Freilassung des Kollegen. Dafür wurde er für das Bundesverdienstkreuz vorgeschlagen.
Heidemann lebte von Sensationen. 1969 behauptete er, in Mexiko das Geheimnis des mysteriösen Schriftstellers B. Traven gelöst zu haben, und stellte die These auf, Traven sei ein unehelicher Sohn von Kaiser Wilhelm II. Ende der siebziger Jahre spürte Heidemann in Südamerika den Nazi-Kriegsverbrecher Klaus Barbie auf. Mit seiner Hilfe wollte er den Leiter von Hitlers Kanzlei, Martin Bormann, ausfindig machen. Bormann galt zwar seit 1945 als tot, doch Heidemann liess sich nicht von der Überzeugung abbringen, er sei noch am Leben.
Die falschen Hitler-Tagebücher brachten Heidemann zu Fall. Beim «Stern» wurde er entlassen, Henri Nannen persönlich klagte ihn an. Der Verlag hatte über 9 Millionen Mark bezahlt für die Tagebücher. Kujau behauptete, nur einen Bruchteil davon bekommen zu haben. Heidemann wurde wegen Unterschlagung von mehreren Millionen Mark zu einer Haftstrafe verurteilt. Vom Geld fehlt bis heute jede Spur. Heidemann bestritt die Tat bis zuletzt. In der Affäre um die Hitler-Tagebücher sei er ein «Bauernopfer» gewesen, sagte er. Am Montag ist Heidemann 93-jährig in Hamburg gestorben.