Schon die Sowjetunion unterhielt mit Syrien enge Beziehungen. Dann wurde Russland zuerst zum Zufluchtsort für das Vermögen des Asad-Clans und jetzt für die gefallene Herrscherfamilie selbst.
Die Flucht des syrischen Diktators Bashar al-Asad nach Moskau war kaum von langer Hand geplant. Russische Funktionäre schienen von der Windeseile, in der sich die Ereignisse in Syrien entfalteten, ebenso überrascht wie die meisten anderen Beobachter. Vielleicht hatte Präsident Wladimir Putin etwas geahnt, als er Asad, soweit bekannt ist, eine Woche davor noch in Moskau empfangen hatte, aber wohlweislich keine gemeinsamen Bilder mehr mit ihm verbreitet worden waren. Die Familie Asads und deren Entourage seien damals gleich in der russischen Hauptstadt geblieben, heisst es.
Dutzende von Wohnungen im Finanzdistrikt
Sosehr sich die Ereignisse am Ende überstürzten, so wenig ist es ein Zufall, dass die Asads in Russland Zuflucht gefunden haben. Nur dank den Russen und den Iranern hatte sich das Regime überhaupt so lange an der Macht halten können. Während Iran schon seit Jahrzehnten diplomatisch mindestens ein halber Paria ist, hat Russland trotz dem Ukraine-Krieg und den Versuchen des Westens, das Land zu isolieren, die Grossmacht-Statur bewahrt. Bis 2022 war Moskau auch als Wirtschafts- und Finanzzentrum eng mit dem Rest der Welt vernetzt gewesen, etwas, was Teheran und das Mullah-Regime nie bieten konnten. Dem Asad-Clan eröffnete das die Chance, unter Umgehung der gegen ihn verhängten Sanktionen von der «grossen weiten Welt» zu profitieren.
Schon 2019 wurde bekannt, dass Asads Verwandte mütterlicherseits über verworrene Beteiligungskonstrukte insgesamt zwanzig Wohnungen im Wert von damals 40 Millionen Dollar in und um das Moskauer Finanz-Viertel Moskau-Stadt westlich der Innenstadt erworben hatten. Die Brüder Hafez und Rami Makhluf, Asads Cousins, hatten einst zum innersten Machtzirkel gehört, bevor sie in Ungnade fielen; Hafez als Chef der berüchtigten Sicherheitspolizei, Rami als einflussreichster Geschäftsmann.
Formal kauften ihnen zugeschriebene Firmen sowie Ramis Ehefrau, deren Schwester, die Schwester von Rami und Hafez und Hafez selbst zwischen 2013 und 2019 neunzehn Wohnungen. Diese befinden sich hauptsächlich im Gebäudekomplex «Stadt der Hauptstädte» (Gorod Stoliz), zwei 73-stöckigen, aus aufeinandergestapelten Glaskuben bestehenden gläsernen Wolkenkratzern direkt am Ufer der Moskwa.
Die Käufe, über die die «Financial Times» vor fünf Jahren erstmals berichtete, fanden genau in denjenigen Jahren statt, als die Herrschaft der Asads besonders wankte, und kurz vor dem Eintritt Russlands in den syrischen Bürgerkrieg im September 2015. Während Syrien in Anarchie, Korruption und Armut versank, sicherte die Familie ihren Besitz in Moskau ab.
Asyl bekommen nur wenige
Inwieweit diese Objekte trotz Zerwürfnissen in der Familie auch Bashar al-Asad zur Verfügung stehen und ob einige gar in seinem Auftrag erworben wurden, ist Gegenstand von Spekulationen. Ebenso unbekannt ist der derzeitige Aufenthaltsort des gestürzten Diktators. Der tagsüber sehr belebte Stadtteil Moskau-Stadt wäre für jemanden mit vielen Feinden ein eher ungewöhnlicher Aufenthaltsort. Ein Landhaus hinter hohen Mauern in einer der Moskauer Vorstadtsiedlungen für die russische Elite würde eher zum Schicksal Asads passen.
Unklar ist auch, unter welchen rechtlichen Bedingungen sich der gefallene Potentat in Russland aufhält. Handelte es sich um politisches Asyl, wäre er erst die dritte Person seit 1992, der dieses zugesprochen wurde – nach dem 1992 gestürzten aserbaidschanischen Präsidenten Ajas Mutalibow und einem nordkoreanischen Flüchtling. In allen anderen Fällen, in denen Russland bekannten Personen Zuflucht gewährte, handelte es sich um «vorübergehendes Asyl», das jedes Jahr verlängert werden muss.
Die in ihrer Heimat entmachteten früheren Präsidenten Kirgistans und der Ukraine, Askar Akajew und Wiktor Janukowitsch, erhielten diesen Status wie auch der amerikanische Geheimdienstmitarbeiter Edward Snowden. Janukowitsch und Snowden sind mittlerweile russische Staatsbürger. Über Janukowitschs genauen Aufenthaltsort gibt es keine Klarheit. Ursprünglich hatte er sich nach der Flucht 2014 in Rostow am Don in Südrussland niedergelassen, war aber immer wieder in Moskau aufgetreten. Später berichtete der inzwischen verstorbene Sänger Iosif Kobson, Janukowitsch sei sein Nachbar in Bakowka, einer Einfamilienhaussiedlung am südwestlichen Rand Moskaus.
Moskaus Pfeiler in Arabien
Die «Moskau-Connection» der Asads reicht mehr als ein halbes Jahrhundert zurück. Schon Syrien und die Sowjetunion unterhielten ein enges Verhältnis zueinander. In dem strategisch günstig gelegenen Wüstenstaat mit Mittelmeer-Anstoss sah Moskau schon ab den fünfziger Jahren ein Gegengewicht zur Türkei, zeitweise zum Irak, zu Israel und zum Westen. Unter Bashars Vater Hafez al-Asad wurde Syrien zum tragenden Pfeiler der sowjetischen Nahostpolitik. Es war Empfänger sowjetischer Militär- und Wirtschaftshilfe. So rüstete Moskau das Land für den Sechstage- und den Jom-Kippur-Krieg gegen Israel aus.
Die Nähe überdauerte den Zusammenbruch des Ostblocks und der Sowjetunion. Jetzt ist der Versuch zu beobachten, ganz schnell und opportunistisch auf die neuen syrischen Machthaber umzuschwenken. Ob es dabei hilfreich ist, den gestürzten Schlächter bei sich zu beherbergen, ist fraglich. In der Staatsduma, dem Unterhaus des russischen Parlaments, kam bereits der Vorschlag auf, Asad die russische Staatsbürgerschaft zu verleihen. Die «Seinen» lasse man nicht fallen, sagte der nationalistische Abgeordnete Alexei Schurawljow.