Saudiarabien forciert seine Sportswashing-Kampagne und geht dabei raffinierter vor als Russland, China oder Katar. Der Ölstaat hält die Sportwelt im Zangengriff – andere Verbände sollten aufpassen.
An einem virtuellen Kongress hat die Fifa die Fussball-Weltmeisterschaften 2034 am Mittwoch per Akklamation an Saudiarabien vergeben. Jeder zynische Spott über den Vorgang ist berechtigt. Es handelt sich beim Königreich um einen repressiven Staat, in dem Demonstranten die Todesstrafe droht, Mütter wegen kritischer Tweets zu jahrzehntelanger Haft verurteilt werden und Gastarbeiter nach Einsätzen in extremer Hitze vergeblich auf ihren Lohn hoffen.
Die Fifa duldet eine erstaunliche Geschichtsklitterung. Während der Präsentation seiner Bewerbung schickte Saudiarabien am Mittwoch ein 13-jähriges Mädchen auf die Bühne, das in einwandfreiem Englisch lächelnd verkündete, ihr sei in ihrem Land alles möglich. Ein seit Juni 2022 geltendes Gesetz hält fest, dass Frauen in dem Königreich die Erlaubnis eines männlichen Vormunds benötigen, um zu heiraten, und verpflichtet sind, ihrem Ehemann zu gehorchen.
Zur Vorgeschichte der WM-Vergabe gehört der lukrativste Sponsoring-Deal in der Geschichte des Weltfussballverbandes. Seit April unterstützt der saudische Ölkonzern Aramco die Fifa mit kolportierten 100 Millionen Dollar pro Jahr. Und dabei dürfte es kaum bleiben. Bis zuletzt stand es schlecht um das Herzensprojekt von Fifa-Präsident Gianni Infantino, die Klub-WM im Sommer 2025 auf 32 Teams zu erweitern, denn es fehlte ein Medienpartner. Vor wenigen Tagen sicherte sich überraschend Dazn die Rechte – begleitet von hartnäckigen Gerüchten, dass der mit Problemen kämpfende Sender demnächst einen neuen Anteilseigner erhält: den saudischen Staatsfonds PIF (Public Investment Fund).
Saudiarabien wird für Infantino zum Retter in der Not, und im Gegenzug stellt der Fifa-Präsident im Eilverfahren sicher, dass das Land die WM in zehn Jahren ausrichten darf. Die Fifa ist in ein peinliches Abhängigkeitsverhältnis geraten, das beispielhaft illustriert, wie Saudiarabien den globalen Sport mit mehr als 900 grossen Sponsoring-Verträgen in Geiselhaft genommen hat. Das Land hat in den letzten Jahren gemäss einer Studie der Organisation Grant Liberty über 50 Milliarden Dollar in Anlässe, Klubs und Athleten investiert oder entsprechende Zusagen gemacht – und damit weitreichende Umwälzungen ausgelöst.
Bisher übliche Summen bei Vermarktungsverträgen, Übernahmen und Transfers werden pulverisiert. Im Tennis kommt es zu einer Preisinflation, wenn am bedeutungslosen Diriyah-Cup 3 Millionen Dollar an Preisgeldern verteilt werden. Ebenso im Golf, wo Saudiarabien erst eine milliardenschwere Turnierserie lancierte und dann die traditionelle PGA Tour zur Fusion drängte. Oder im Boxen, wo man sich den Kampf zwischen dem Youtuber Jake Paul and Tommy Fury in Diriyah Anfang 2023 13 Millionen Dollar kosten liess.
Die Entwicklung hat einen bedenklichen Nebeneffekt: Schlechte Ideen scheitern nicht mehr an den Gesetzen des Marktes. Infantino kann seine erweiterte Klub-WM durchziehen, umstrittene Funktionäre wie er halten sich in ihren Ämtern. Der Geldregen macht bequem.
Nationale Liga steht im Zentrum der Bemühungen
Für Saudiarabien ist die Offensive Teil des Versuchs, in Zeiten schwindender Ölreserven seine Volkswirtschaft breiter aufzustellen. Die «Vision 2030» von Kronprinz Mohammed bin Salman beinhaltet das Ziel, dass der Sportsektor dereinst 2,5 bis 3 Prozent zum Bruttoinlandprodukt beitragen soll. Derzeit ist es etwa 1 Prozent. Bin Salman handelt nüchtern kalkulierend. «Wenn Sportswashing das Bruttoinlandprodukt um ein Prozent erhöht, machen wir weiterhin Sportswashing», sagte er in einem Interview mit Fox News.
Der Herrscher geht durchdachter vor als andere Autokraten vor ihm. Im Zentrum der Bemühungen steht nicht etwa die noch ferne WM, sondern die nationale Fussballliga. Der Wettbewerb soll auch dank den Superstars Cristiano Ronaldo, Karim Benzema und Neymar zum gesellschaftlichen Kitt werden, er soll die überwiegend junge Bevölkerung Saudiarabiens unterhalten und einen.
Mittlerweile melden die vier führenden Klubs im Schnitt fünfstellige Zuschauerzahlen in den Stadien, nachdem zunächst viele Spiele schwach besucht waren. Die lokalen Fan-Szenen wachsen. «Wir haben Fussball im Blut, wir sind eine fussballverrückte Nation», sagte der Ligachef Omar Mugharbel vor wenigen Tagen an einer Konferenz. Er will den Eindruck erwecken, mit der Saudi Pro League ein Bedürfnis zu stillen, das schon lange vorhanden war.
Saudiarabien hat aus den Fehlern anderer gelernt. China holte sich vor einigen Jahren ebenfalls etliche internationale Fussballstars in die nationale Liga, doch es fehlte nicht nur eine vergleichbare Vermarktungsstrategie, sondern auch die Bereitschaft, von ausländischer Expertise zu profitieren. In Saudiarabien wird darauf nun grossen Wert gelegt. Der nationale Fussballverband hat 48 Abkommen mit anderen Verbänden abgeschlossen, hinzu kommen sechs Partnerschaften mit ausländischen Klubs. Das zeigt eine Übersicht der Organisation «Play the Game». Oft geht es bei den Abkommen um Wissenstransfers und gemeinsame Entwicklungsprojekte.
Russland verfolgte nochmals einen anderen Ansatz: Es beschränkte sich aufs Protzen mit Grossanlässen und richtete von 2011 bis 2018 mehrere Weltmeisterschaften sowie Olympische Spiele aus. Zeitweise gelang es Präsident Wladimir Putin, sich gegenüber dem Westen als kooperativ zu inszenieren, wenn er Regierungschefs auf Ehrentribünen umschmeichelte, als seine Aussenpolitik bereits zunehmend aggressiver wurde. Doch das staatlich orchestrierte, plump vertuschte Doping ruinierte Putins ohnehin schlechten Ruf in der Sportwelt endgültig. Letztlich scheiterte Russland am übersteigerten Ehrgeiz seines Präsidenten, der den Bogen überspannte.
Die Protagonisten Saudiarabiens agieren dezenter, und sie sind damit erfolgreich. Zum Beispiel Yasir al-Rumayyan, welcher unter anderem den Fussballklub Newcastle United präsidiert, seit dieser mehrheitlich dem Staatsfonds PIF gehört. Al-Rumayyan macht keine Anstalten, auf Biegen und Brechen die Champions League gewinnen zu wollen. Wichtiger scheint ihm die Pflege seines Netzwerks zu den mächtigsten Männern der Welt. Im November sass er an einem Mixed-Martial-Arts-Kampf im Madison Square Garden unmittelbar neben Donald Trump, der gerade die Präsidentschaftswahlen gewonnen hatte.
Das Nachbarland Katar ist für Saudiarabien in gewisser Hinsicht ein Vorbild: 2022 wuchs das Bruttoinlandprodukt in dem Emirat deutlich stärker als 2021, was Ökonomen vor allem mit direkten und indirekten Auswirkungen der WM begründeten. Allerdings wirkte Katar schlecht vorbereitet, als im Vorfeld des Turniers Berichte über Todesfälle auf Baustellen erschienen. Der Reputationsschaden wirkte nachhaltig. Saudiarabien begegnet dem Risiko negativer Schlagzeilen mithilfe internationaler PR-Agenturen, die auf echte oder vermeintliche Reformen hinweisen und Erzählungen von einer weitreichenden gesellschaftlichen Transformation in Umlauf bringen.
Mit einem bisher unerreichten Aufwand versucht das Land, unumstösslich scheinende Traditionen ins Wanken zu bringen. Vielleicht teilt sich Las Vegas künftig den Status als Zentrum der Boxwelt mit Riad, vielleicht schliesst die Saudi Pro League eines Tages zu den grossen europäischen Fussballligen auf.
Auch das Internationale Olympische Komitee (IOK) lässt sich in den Zangengriff nehmen. Im Juni lancierte es Olympische E-Sports-Spiele. Im Juli vergab das Gremium den Anlass für die nächsten zwölf Jahre an Saudiarabien. Derzeit wächst die Bedeutung des E-Sports vor allem bei jungen Fans rasant. Gehört dem Sektor die Zukunft, ist der Startvorteil des Königreichs enorm.
Wenden sich die Zuschauer ab, nützt kein Geld der Welt mehr
Und dennoch ist nicht garantiert, dass Saudiarabiens Strategie dauerhaft aufgeht. Im Gegensatz zu Fifa und IOK sollten andere Sportverbände versuchen, sich dem Lockruf der Ölmillionen zu entziehen, und zwar aus eigenem Interesse. Denn es besteht die reale Gefahr, dass Fans aus westlichen Ländern angesichts der saudischen Gigantomanie das Interesse an ihren Wettbewerben auf Dauer verlieren. Absurd anmutende Entscheide wie jener, sogar die Asiatischen Winterspiele 2029 in dem heissen Wüstenstaat auszurichten, könnten den Trend beschleunigen. Wenden sich die Zuschauer ab, nützt den Verbänden kein Geld der Welt mehr.
Selbst in Randsparten verdienen Durchschnitts-Könner oder alternde Stars plötzlich Unsummen, wenn sie zu glitzernden Events in Riad oder Jidda reisen. Wenn aber immer häufiger die Show alles andere überlagert, wächst die Unlust bei jenen, für die Sport immer noch ein puritanisches Kräftemessen der Weltbesten ist.
Der fünffache Weltfussballer Cristiano Ronaldo verkündete am Mittwoch: «Die WM 2034 wird wohl die beste WM aller Zeiten.» Er ignorierte, dass das Turnier vier Jahre vorher unter anderem in seiner Heimat Portugal stattfindet, einem Land mit jahrzehntelanger Fussballtradition. Dass mit Ronaldo eine der grössten Figuren des Fussballs zu einer käuflichen Marionette eines repressiven Regimes wird, ist ein ganz schlechtes Zeichen für den Sport.