Nach dem Sturz von Bashar al-Asad hat Israel Hunderte Ziele in Syrien bombardiert und Soldaten ins Nachbarland geschickt. Die Besetzung der Pufferzone auf dem Golan ist ein Anzeichen für eine strategische Neuausrichtung des jüdischen Staats.
Eine Gruppe israelischer Soldaten der 188. Brigade steht zwischen Panzern in einem Waldstück und singt «Hatikvah», Israels Nationalhymne. Es tönt schief. Einige der Männer salutieren und schauen ernst in die Kamera. Publiziert wurde das Video am vergangenen Freitag. Für sich genommen wäre der Auftritt nicht besonders aufsehenerregend – doch die Soldaten befinden sich nicht in Israel, sondern auf syrischem Gebiet.
51 שנה אחרי מלחמת יום הכיפורים: לוחמי חטיבה 188 של השריון שרים התקווה על אדמת סוריה 🇮🇱
במלחמה ההיא, בשנת 73, חטיבה 188 ניהלה קרבות בלימה הירואיים מול 3 דיוויזיות סוריות בקרב על רמת הגולן. 79 חיילים מהחטיבה נהרגו, מאות נפצעו ורוב טנקי החטיבה הושמדו
היום לוחמי גדוד 74 מחטיבה 188,… pic.twitter.com/vAOWdGFNex
— איתי בלומנטל 🇮🇱 Itay Blumental (@ItayBlumental) December 13, 2024
Wenige Stunden nach Bashar al-Asads Flucht überschritten israelische Truppen am 8. Dezember die syrische Grenze und besetzten die seit 1974 demilitarisierte Zone in Syrien. Diese war nach dem Ende des Jom-Kippur-Kriegs vor fünfzig Jahren im Rahmen eines Abkommens zwischen Israel und Syrien eingerichtet worden. Die Zone trennt Syrien von jenem Gebiet auf den Golanhöhen, das Israel im Sechstagekrieg 1967 besetzt und später annektiert hatte. International wird Israels Souveränität auf dem Golan nur von den USA anerkannt.
Im Jom-Kippur-Krieg 1973 hatte die syrische Armee noch versucht, das Gebiet zurückzuerobern – damals unter der Führung von Hafez al-Asad, dem Vater des gestürzten Diktators Bashar. Es war ebenjene 188. Brigade der israelischen Streitkräfte, die damals unter hohen Verlusten den Vormarsch dreier syrischer Divisionen entscheidend verzögerte. Dass Soldaten derselben Einheit nun in Syrien israelischen Patriotismus demonstrieren, hat daher eine gewisse Symbolik. Werden sie wieder abziehen – oder zementiert Israel seine Präsenz auf dem Golan nun mit einer noch grösseren Landnahme?
Wie «temporär» ist Israels Besetzung?
Wer den offiziellen Verlautbarungen Benjamin Netanyahus lauscht, kann beruhigt sein. Israels Ministerpräsident sagte wiederholt, dass die Armee nur temporär in Syrien sei, um Israels Grenze zu schützen. Mit dem Fall der alten Regierung Syriens sei auch die Vereinbarung über die demilitarisierte Zone hinfällig. Bis ein neues Abkommen getroffen sei, müssten israelische Soldaten aus Sicherheitsgründen in Syrien bleiben. Kurz darauf verkündete allerdings Verteidigungsminister Israel Katz, dass sich die israelischen Streitkräfte auf einen längeren Einsatz über die Wintermonate vorbereiten sollten.
Die beiden Verlautbarungen widersprächen sich nicht, sagt Assaf Orion im Gespräch. «Eine neue syrische Regierung wird es frühestens im März geben – davor kann Israel nicht über ein neues Sicherheitsarrangement an der Grenze verhandeln», sagt der israelische Militärexperte, der am Washington Institute in den USA forscht. Israelische Soldaten würden daher mindestens bis zu diesem Zeitpunkt in Syrien verbleiben.
Die Versuchung für Israel, noch länger Stellungen auf dem syrischen Gebiet zu beziehen, ist allerdings gross. Denn in der Pufferzone auf dem Golan befindet sich der höchste Gipfel des Hermon-Bergmassivs. Wer diesen Punkt kontrolliert, hat freie Sicht nach Beirut, Damaskus und Jerusalem – ein grosser strategischer Vorteil.
Zumindest in jenem Teil der Golanhöhen, den Israel schon heute als sein Territorium ansieht, will es seine Souveränität und Kontrolle weiter ausbauen. Am Sonntag verabschiedete das israelische Kabinett einen Plan, der zusätzliche Investitionen in Höhe von umgerechnet 10 Millionen Franken für den Golan vorsieht.
Ziel ist es, die Bevölkerung in den Golanhöhen zu verdoppeln. Derzeit leben in dem annektierten Gebiet rund 50 000 Menschen; etwa die Hälfte davon sind Drusen, von denen sich viele bis heute als Syrer verstehen. Der Schritt sorgte gerade in der arabischen Welt für Empörung: Saudiarabien, Katar, die Emirate und die Türkei verurteilen die Finanzspritze für das Gebiet, das sie als Teil Syriens anerkennen.
Kontinuierliche Bombardements
Eines scheint allerdings klar: Nach dem Hamas-Massaker und einem langen Krieg gegen den Hizbullah, der in einem fragilen Waffenstillstand geendet hat, will Israel an seinen Grenzen keine Risiken mehr eingehen. «Der 7. Oktober war ein Wendepunkt in Israels strategischer Ausrichtung», sagt Orion. «Seitdem sehen wir ein sehr viel grösseres präventives Element in Israels Verteidigungsstrategie – geografisch drückt sich das in der Kontrolle über Pufferzonen aus, wie wir sie in Libanon, Gaza und jetzt auch in Syrien sehen.»
Ein präventives Element waren wohl auch die massiven israelischen Luftangriffe in Syrien in den vergangenen Tagen: Zwei Tage nach dem Sturz von Bashar al-Asad verkündete die israelische Armee, sie habe in über 350 Angriffen 80 Prozent der militärischen Kapazitäten des Landes zerstört. Und die Bombardements gehen weiter. Am Sonntag attackierte die israelische Luftwaffe die syrische Flugabwehr sowie Munitionsdepots in der Hafenstadt Tartus. Laut der Syrischen Beobachtungsstelle für Menschenrechte handelte es sich um die heftigsten Angriffe seit einem Jahrzehnt.
Zunächst hatte die neue syrische Führung unter dem Chef der islamistischen HTS-Miliz Ahmed al-Sharaa, früher bekannt unter dem Kampfnamen Abu Mohammed al-Julani, die israelischen Luftangriffe noch stillschweigend zur Kenntnis genommen. Am Samstag sagte der Rebellenführer jedoch, Israel habe keinerlei Berechtigung mehr, weitere Angriffe zu fliegen.
Syrisch-israelisches «Skigebiet des Friedens»?
Die israelische Regierung scheint davon ebenso unbeeindruckt wie von der internationalen Kritik an der Besetzung der Pufferzone. Wie lange israelische Soldaten tatsächlich in Syrien stationiert bleiben, wird sich zeigen. «Ich denke, Israel hat noch nicht entschieden, welches Endziel es mit der Verlegung der Truppen verfolgt», sagt Assaf Orion.
Einige Israeli gehen allerdings schon von einer schleichenden Landnahme aus – und schmieden Pläne. Gemeinsam mit der Armee besuchte vor einigen Tagen Raphael Naveh die syrische Seite des Hermon-Bergmassivs, wie die Zeitung «Israel Hayom» berichtete.
Der Geschäftsführer des einzigen israelischen Skigebiets auf dem Hermon-Massiv träumt bereits davon, seine Pisten zu erweitern. Er wolle ein «Skigebiet des Friedens» etablieren. Bis Syrer und Israeli gemeinsam den Hermon herunterfahren, dürfte es aber noch lange dauern.








