Ottavia Piana ist am Samstag in einem unbekannten Höhlensystem in Italien verunglückt. Erst am Mittwoch konnte sie aus der Höhle getragen werden. Die Rettungsarbeiten waren schwierig, sogar Sprengungen mussten vorgenommen werden.
Ottavia Piana ist Hobbyhöhlenforscherin. Ihr Freizeitvergnügen birgt Risiken, das musste die 32-jährige Italienerin jetzt erleben. Nach einem Unfall am Samstag war sie eingeklemmt und musste in einer komplexen Aktion befreit werden. Dies gelang erst am frühen Mittwochmorgen.
Samstag, 14. Dezember
Piana arbeitet hauptberuflich als Sekretärin. Daneben ist sie Ausbildnerin im CAI Lovere, einer Sektion des nationalen alpinen Vereins in Italien. Als ambitionierte und erfahrene Hobbyhöhlenforscherin beteiligt sie sich am Sebino-Projekt, das zum Ziel hat, das Höhlensystem Abisso Bueno Fonteno beim Iseo-See zu erforschen. «Die gesamte Arbeit der Höhlenforscher wird für wissenschaftliche Zwecke genutzt», erklärt Sergio Corsini, der Präsident der italienischen Gesellschaft für Höhlenforschung.
Das Höhlensystem Abisso Bueno Fonteno befindet sich nördlich der italienischen Stadt Bergamo in der Lombardei. Der Eingang zu den Höhlen liegt am Nordufer des Iseo-Sees und wurde erst 2006 entdeckt. Mittlerweile ist bekannt, dass sich die unterirdischen Gänge, Wasserfälle, Seen und Grotten über bis zu 50 Kilometer erstrecken – und so eines der grössten Höhlensysteme Italiens bilden. Bereits mehrere Kilometer dieses weitverzweigten unterirdischen Labyrinths konnten durch das Sebino-Projekt erschlossen werden.
Abisso Bueno Fonteno, il modello 3D del reticolo di grotte e tunnel dove è rimasta bloccata la speleologa https://t.co/tKSizQ6TVH
— La Stampa (@LaStampa) December 15, 2024
Um an der Kartierung weiterzuarbeiten, macht sich Piana zusammen mit mehreren Kollegen aus ihrem Verein CAI Lovere am 14. Dezember 2024 erneut in das Höhlensystem auf.
Gegen 22 Uhr 30 schlägt die Gruppe Alarm: Ottavia Piana sei mehrere Meter in die Tiefe gestürzt. Sie sei verletzt und eingeklemmt, liege rund vier Stunden Fussweg vom Eingang entfernt. Piana steckte vor etwas mehr als einem Jahr schon einmal an fast derselben Stelle fest. Damals brach sie sich bei einem Sturz ein Bein und konnte erst zwei Tage nach dem Unfall gerettet werden.
Ein Team aus rund 100 Ärzten, Rettungs- und Bergungskräften des Nationalen Berg- und Höhlenrettungskorps (CNSAS) wird am Samstag aufgeboten. Sie arbeiten in Schichten, wobei sich wegen der engen Verhältnisse höchstens 20 Personen gleichzeitig in den Tunneln aufhalten dürfen.
Sonntag, 15. Dezember
«Über den Teil der Höhle, in dem Piana sich befindet, ist nichts bekannt», informiert Corrado Camerini vom CNSAS am Sonntag die Medien. Piana habe den Abschnitt selber gefunden und sich auch als Erste in das Karstgelände vorgewagt. Das macht die Bergungsarbeiten kompliziert. An manchen Stellen sind die Gänge zudem vereist, was die Rettungsarbeiten zusätzlich erschwert. Dabei stehen die Retter unter Zeitdruck, denn die hohe Luftfeuchtigkeit und Temperaturen zwischen 7 und 8 Grad begünstigen eine Unterkühlung bei der Verunfallten.
Am Sonntagnachmittag erreicht eine Mannschaft der aufgebotenen Rettungskräfte Piana 585 Meter unter der Erdoberfläche. Die Höhlenforscherin lebt, ist ansprechbar. Sie hat sich aber verschiedene Brüche zugezogen, weshalb sie auf die Bahre geschnallt und getragen werden muss. Ab jetzt schleppen jeweils fünf Männer die Verletzte etwa 83 Zentimeter pro Minute voran. Die grösste Herausforderung für die Retter sind Engstellen, die zu schmal für die Trage sind. Um den Durchgang zu erweitern, müssen Bohrer, Hämmer und sogar kleine Sprengsätze eingesetzt werden.
Die erste Station auf dem Aufstieg bildet ein beheiztes Basislager, das in der Höhle eingerichtet wurde. Piana wird dort mit Sauerstoff und Medikamenten versorgt. Mit einer etwa drei Kilometer langen Telefonleitung können die Rettungskräfte von hier aus mit dem Team an der Oberfläche kommunizieren. Gegen 18 Uhr geht der Aufstieg weiter.
Montag, 16. Dezember
Am Montagmorgen muss eine besonders enge Stelle auf dem Weg nach draussen überwunden werden. Der Sprecher der Rettungskräfte, Mauro Guiducci, sagt, dass es unmöglich sei, vorherzusagen, wie lange es dauern werde, Piana an die Oberfläche zu hieven. Er prognostiziert lediglich: «Eines ist sicher, solche Operationen dauern sehr lange.»
In den sozialen Netzwerken wird derweil das Ausmass der Rettungsaktion kritisiert. Der Sinn von Unternehmungen tief unter der Erde wird infrage gestellt. Auch, dass die Italienerin bereits zum zweiten Mal gerettet werden muss, vielleicht sogar durch leichtsinniges Handeln eine Mitschuld an dem Unfall trägt, wird diskutiert. Am Montag schaltet sich Sergio Orsini, Präsident der Italienischen Gesellschaft für Höhlenforschung (ETS), via Facebook in die Debatte ein. Piana habe sich nicht wegen eines «sportlichen Unterfangens» in das Höhlensystem begeben, sondern um einen grundlegenden Beitrag zur Untergrundkartierung zu leisten – was zur Analyse und Erschliessung lebenswichtiger Ressourcen wie Trinkwasser nötig sei. Auch Virginia Mandracchia, die Präsidentin von Speleo Lombardia, einer Vereinigung lombardischer Höhlenforschungsgruppen, nimmt Piana in Schutz. Die Verunglückte sei eine «hochspezialisierte Fachkraft, die über alle notwendigen Fähigkeiten verfügt, um komplexe Höhlenerkundungen durchzuführen».
Dienstag, 17. Dezember
Am Dienstag geht die Rettungsaktion weiter – immerhin in bereits erforschten Teilen der Höhle. Und es gibt sprichwörtlich Licht am Ende des Tunnels: «Wir rechnen damit, Piana bis Mittwoch in Sicherheit zu bringen», sagt Luca Longo, einer der Retter.
Rino Bregnani, der Arzt, der Piana als Erster betreute, erklärt gegenüber der italienischen Nachrichtenagentur Ansa: «Sie spricht sehr wenig, aber sie sagt, dass sie nie wieder in eine Höhle gehen wird.»
Mittwoch, 18. Dezember
Am frühen Mittwochmorgen bringen Rettungsteams Ottavia Piana auf einer Trage ins Freie. Helikopter fliegen sie ins Spital.