Alle Jahre wieder hoffen Schweizerinnen und Schweizer auf Schnee an Weihnachten. Dabei waren weisse Weihnachten im Flachland schon immer selten.
Wird es an Weihnachten schneien? Liegt an Heiligabend Schnee auf Dächern und Tannen? Diese Fragen kommen im Advent immer auf. Jedes einzelne Jahr. Dabei ist die Antwort stets dieselbe: Die Chancen sind klein.
Der Schweizer Wetterdienst Meteo News führte im vergangenen Jahr einen Live-Blog, auf dem alle drei Tage neu analysiert wurde, ob es mit den gewünschten weissen Weihnachten klappt. Mit jedem Eintrag schwand die Hoffnung. Am Ende hat es vielerorts geregnet. Für 2024 sagt das Orakel: Eine kleine Hoffnung bleibt, aber wahrscheinlich wird es zu warm sein.
Woher kommt unsere Sehnsucht nach weissen Weihnachten?
Weihnachten sind im Flachland meistens grün
Laut Meteo News gelten Weihnachten als weiss, wenn entweder am 24., 25. oder 26. Dezember bei der offiziellen Schneemessung von Meteo Schweiz um 7 Uhr morgens mindestens ein Zentimeter Schnee liegt. Es reiche nicht, wenn der Schneefall tagsüber kurzfristig einsetze, zum Zeitpunkt der Messung aber wieder verschwunden sei, schreibt Meteo News.
Nur ein Zentimeter ist nötig. Und doch kommen weisse Weihnachten selten vor. Meteo News hat die Schneemengen an Weihnachten der Jahre 2001 bis 2022 verglichen. In St. Gallen schneite es am häufigsten, und zwar zwölfmal in 21 Jahren. In Bern und Zürich gab es in 6 von 21 Jahren weisse Weihnachten. In Aarau und Basel gar nur dreimal.
Warum erwarten wir trotzdem, dass an Weihnachten Schnee liegen sollte?
Weil Weihnachten früher öfters weiss waren. Aufgrund des Klimawandels lag früher in den Wintermonaten häufiger und mehr Schnee als heute. Die Durchschnittstemperatur steigt, und damit auch die Schneegrenze. Schneemessungen an Weihnachten zeigen: Zwischen 2001 und 2011 gab es öfter weisse Weihnachten als danach. In Wetterlagen, bei denen es früher knapp noch zu Schnee reichte, regnet es heute öfters.
Doch der Klimawandel allein erklärt nicht, warum wir glauben, dass Weihnachten früher selbstverständlich weiss waren.
Denselben Irrglauben hatte nämlich auch jede Generation davor. Und davor. Und davor. Regelmässige weisse Weihnachten sind eine generationenübergreifende Kindheitserinnerung. Doch sie trügt.
Die älteren Leute erzählen, dass sie als Kinder an Heiligabend noch Iglus bauen und Schneeballschlachten veranstalten konnten. Weisse Weihnachten waren aber schon vor 2001 die Ausnahme. Von 1931 bis 1993 lag im zentralen und östlichen Mittelland der Schweiz in weniger als 40 Prozent der Jahre an Weihnachten Schnee. In der West- und Nordwestschweiz waren 25 Prozent der Weihnachtstage weiss.
Und in Witterungsaufzeichnungen der Naturforschenden Gesellschaft Luzern für die Jahre 1911 bis 1914 steht: «Echte Winterkälte und Schneeherrschaft sind dem Christmonat seit einigen Jahren fast unbekannte Dinge geworden. Kein Weihnachtsgedicht, das von Kälte, Schnee und Eis redet, wollte mehr passen.»
Erinnerungen an angeblich schneereichere Weihnachten haben nicht nur Schweizerinnen und Schweizer. Im weltberühmten Lied «White Christmas» aus dem Jahr 1942 singt Bing Crosby: «I’m dreaming of a white Christmas, just like the ones I used to know.» Auf Deutsch: Ich träume von weissen Weihnachten, wie jene, die ich früher kannte.
Grünes Bild von Weihnachten
Die Schweizer Klimaforscherin Martine Rebetez hat in den 1990er Jahren versucht herauszufinden, weshalb wir jedes Jahr weisse Weihnachten erwarten. In ihren Nachforschungen stiess sie auf Weihnachtsgrusskarten aus Grossbritannien aus dem 19. Jahrhundert. Die älteste entdeckte Weihnachtskarte aus dem Jahr 1843 zeigt noch grüne Gegenden, ab 1850 erschienen jedoch erste Karten mit schneebedeckten Hausdächern.
Rebetez vermutet, dass die Künstler von ihren Reisen in die Alpen inspiriert wurden. Oder von Karten, die sie von Amerika-Auswanderern erhielten, die in schneereiche Gebiete in Neuengland gezogen waren. Weihnachtsillustrationen mit Schnee wurden zum Standard über Grossbritannien hinaus. Selbst in Australien werden Karten mit Schneemotiven verschickt, obwohl dort an Weihnachten Sommer ist.
Seither gehören Schnee und Weihnachten fix zusammen. Es gibt kaum ein Weihnachtslied ohne die Erwähnung von Schnee. «White Christmas», «Let it Snow», «Leise rieselt der Schnee». In Weihnachtsfilmen und Kinderbüchern kommt Santa Claus vom Nordpol mit Rentieren und Schlitten angeflogen. Jedes Jahr ist an Weihnachten im Fernsehen zu sehen, wie Aschenbrödel und der Prinz auf Pferden durch eine verschneite Landschaft reiten. Und in der neusten Werbung von Coca-Cola fährt der berühmte rote Lastwagen durch ein KI-generiertes Winterwunderland.
Das Bild verfängt. Auch deshalb, weil wir in der Weihnachtszeit besonders auf Schnee hoffen. Mit dem Schnee legt sich Ruhe über Städte und Dörfer. Das hektische Leben verlangsamt sich. Schnee erfüllt eine Sehnsucht.
Musik, Film und Werbung festigen die Idee, dass Schnee an Weihnachten normal sei. Schnee gehört nun genauso zum Bild der herzerwärmenden, freudigen und besinnlichen Weihnachten wie Tannenbäume, Lichter und Geschenke. Wir glauben wohl auch deshalb, uns an frühere weisse Weihnachten zu erinnern.