Mit Igor Kirillow hat der ukrainische Geheimdienst den bisher ranghöchsten feindlichen Offizier getötet. Der Mord mitten in Moskau hat aber auch eine innenpolitische Komponente für Selenski.
Der ukrainische Geheimdienst liess keine Zweifel daran aufkommen, dass er hinter dem Mord am russischen Generalleutnant Igor Kirillow steht. Er bekannte sich wenige Stunden nach der Bombenexplosion in Moskau, die den Kommandanten der Truppen für den Schutz vor nuklearen, chemischen und biologischen Waffen und seinen Adjutanten tötete: Kirillow sei ein Kriegsverbrecher und deshalb ein legitimes Ziel gewesen, erklärten Quellen im Sicherheitsdienst der Ukraine (SBU) mehreren Zeitungen. Das gleiche Schicksal drohe allen anderen, die sich im Angriffskrieg schuldig machten.
Dass dies keine leeren Drohungen sind, weiss Russlands Führung nicht erst seit Dienstag. Der SBU und der Militärgeheimdienst HUR haben seit 2022 eine Reihe von führenden Figuren in der Armee und im militärisch-industriellen Komplex ermordet. Dazu gehört etwa ein hoher Offizier der Schwarzmeerflotte, den Kiew für Raketenangriffe gegen ukrainische Städte verantwortlich machte. Kirillow war laut den Ukrainern für den Einsatz von chemischen Waffen gegen Tausende von Soldaten an der Front verantwortlich.
Kiews Machtdemonstration in Moskau
Das Attentat gegen den bisher ranghöchsten russischen Offizier inszenierte Kiew als Machtdemonstration: Der SBU hatte Anfang Woche ein Verfahren gegen Kirillow eingeleitet – und richtete ihn gleich selbst. Dass der Mord mitten in Moskau geschah, zeigt, über welchen Manövrierraum die Ukrainer in Russland verfügen. Das soll die Bewohner und besonders die Kreml-Elite verunsichern. Obwohl der russische Geheimdienst rasch einen mutmasslichen Täter aus Usbekistan verhaftete, kommt der Krieg im weit entfernten Nachbarland Moskau emotional näher.
‼️ BREAKING: Russian FSB published a video of the interrogation of 29-year-old Uzbek citizen Kurbonov Akhmajon Alijon Ugly. He is suspected of killing General Kirillov yesterday in Moscow
As NEXTA previously reported, Igor Kirillov, head of the Russian Radiation, Chemical and… pic.twitter.com/VVjxo4C75i
— NEXTA (@nexta_tv) December 18, 2024
Das Vorgehen der Ukrainer erinnert nicht zufällig an die sogenannten extralegalen Hinrichtungen des Mossad. Die Geheimdienstler und Armeeangehörigen im osteuropäischen Land vergleichen sich gern mit Israel, das sie als wehrhaften und modernen Staat sehen. Dass der SBU die Bombe in Moskau an einem Scooter versteckte, feiern die Ukrainer als Ausdruck von dessen kreativen Taktiken.
Dabei inszeniert sich vor allem Kirilo Budanow sehr geschickt, der Chef des Militärgeheimdienstes HUR. Die Biografie des 38-Jährigen kennt in der Ukraine fast jeder: Er diente mehr als ein Jahrzehnt lang in einer Spezialeinheit, wurde mehrfach verwundet und pflegt gute Beziehungen zur CIA. Dem Korrespondenten des «Wall Street Journal» erzählte der Kiewer, dass er fleissig Bücher über den Mossad lese. Bis heute veröffentlicht Budanow Videos seiner Besuche der gefährlichsten Stellungen an der Front. Wenn der HUR erfolgreiche Operationen durchführt, hat er die Kunst perfektioniert, vieldeutig lächelnd seine Urheberschaft weder zu bestätigen noch zu dementieren.
Die russischen Geheimdienste versuchten mehrfach, Generalleutnant Budanow zu ermorden, vor einigen Jahren mit einer Autobombe, letztmals im Mai mit Raketen und Drohnen. Seine Frau wurde unter mysteriösen Umständen Opfer eines Giftanschlags, überlebte aber. 2017 tötete Moskau auch den damaligen Kommandanten der HUR-Spezialeinheit. All dies zeigt, dass solche Attentate gegen hohe Offiziere im Ukraine-Krieg keine neue Entwicklung darstellen.
Schlaglicht auf Selenskis Geheimdienst
Bemerkenswert ist dennoch, dass es zuletzt immer häufiger der Sicherheitsdienst SBU und nicht Budanows HUR war, der öffentlich als Drahtzieher von schlagzeilenträchtigen Aktionen in Erscheinung trat. Es war auch der Inlandgeheimdienst, der vor einem halben Jahr angeblich Mordpläne gegen Budanow und Selenski vereitelte. Der SBU hat dabei in der Ukraine keinen guten Ruf. Er gilt als intransparente und stark politisierte Behörde. Dass das Internet ihn nun mit zahlreichen Memes feiert, dürfte auch Wolodimir Selenski freuen, dem der SBU untersteht.
Father Christmas visits Putin and gives him a special gift.#Ukraine #Russia #Scooter pic.twitter.com/zdXRiiWWDM
— Steafan Dubhuidhe (comrade/comrades) (@AnarchoTerran) December 17, 2024
Der ukrainische Präsident kann angesichts der Rückschläge an der Front und der mit Donald Trumps Wahlsieg verbundenen weltpolitischen Unsicherheiten Erfolgsmeldungen gebrauchen. Die Ukrainer beweisen mit dem Mord, dass sie den Feind in seinem Hinterland empfindlich treffen können, ohne dabei wie Moskau auf wahllose Gewalt gegen Zivilisten zurückzugreifen. Dazu kommt ein innenpolitisches Kalkül: Budanows Popularität ist Selenski ein Dorn im Auge. Seit längerem kursieren Gerüchte über dessen Entlassung. Je öfter der SBU seine Effektivität demonstriert, desto mehr Alternativen hat das Staatsoberhaupt zum omnipräsenten Militärgeheimdienstler.








