Das iranische Regime hat seinen Einfluss auf Syrien weitgehend eingebüsst – deshalb versucht es nun, religiöse Konflikte zu schüren. Für die neuen Machthaber in Damaskus ist dies eine Herausforderung.
Während vieler Jahre konnte Iran in Syrien tun und lassen, was es wollte: Raketen produzieren, Waffen an den Hizbullah liefern, schiitische Milizionäre ausbilden. Syrien war die wichtigste Drehscheibe für Teherans Machtspiele in der Region, die sich vor allem gegen Israel, die USA und den Westen im Allgemeinen richteten. Doch seit dem Fall des Regimes von Bashar al-Asad am 8. Dezember steht die Islamische Republik mit leeren Händen da. Die neuen Machthaber in Damaskus haben von Beginn an klargestellt, dass sie eine iranische Präsenz in Syrien nicht mehr tolerieren werden.
Umso mehr scheint Teheran nun gewillt, den Aufbau eines neuen, geeinten syrischen Staates zu sabotieren. In einer Rede Anfang Januar forderte Irans oberster Führer Ayatollah Ali Khamenei höchstpersönlich die «syrische Jugend» dazu auf, Widerstand gegen die «fremden Besetzer» zu leisten. Die iranischen Revolutionswächter riefen auf ihren offiziellen Kanälen gar zu einer Gegenrevolution gegen die «ungläubigen Terroristen» auf und kündigten an, die «Befreiung» Syriens stehe unmittelbar bevor.
Iran hat immer noch Helfer in Syrien
In Syrien selbst dürften die Parolen aus Teheran zwar weitgehend ungehört verhallen – doch Iran versteht es, auf subtilere Art und Weise Einfluss zu nehmen. Laut Beobachtern hat das Regime in den vergangenen Wochen eine grossangelegte Desinformationskampagne gestartet, die primär darauf abzielt, religiöse Konflikte in Syrien zu schüren und damit die fragile Lage in dem Land zu destabilisieren.
Dabei werden in den sozialen Netzwerken massenhaft falsche oder irreführende Berichte von Gewalttaten gegen Schiiten, Alawiten und Christen verbreitet, die angeblich von Kämpfern der islamistischen Miliz Hayat Tahrir al-Sham (HTS) verübt wurden. Dass es tatsächlich iranische Akteure sind, die diese Berichte streuen, lässt sich in den wenigsten Fällen nachweisen. Doch die schiere Anzahl von Postings lässt darauf schliessen, dass es sich um eine organisierte Kampagne handelt.
Offenbar haben jüngst auch die Geheimdienste mehrerer arabischer Staaten der HTS-Führung Informationen zukommen lassen, wonach die iranischen Revolutionswächter im Begriff sind, einen Aufstand in Syrien anzuzetteln. Dies berichtet der Syrien-Experte Charles Lister unter Berufung auf anonyme Quellen.
Dabei kann Iran durchaus auf die Unterstützung williger Helfer in Syrien zählen – nach wie vor gibt es zahlreiche Asad-Loyalisten, die bereit sind, Widerstand gegen das HTS-Regime zu leisten. So sollen sich Anhänger des gestürzten Diktators laut Lister auch schon als HTS-Kämpfer verkleidet und danach Angehörige religiöser Minderheiten angegriffen haben, um dadurch den Hass auf die neuen Machthaber zu schüren.
Es droht ein Teufelskreis
Zwar ist es unwahrscheinlich, dass solche Vorfälle einen neuen Volksaufstand auslösen werden. Doch das iranische Regime dürfte wissen, dass die Verunsicherung der religiösen Minderheiten in Syrien ein idealer Nährboden ist, um die Legitimität der HTS zu untergraben und lokalen Widerstand zu provozieren. Viele Schiiten und Christen misstrauen den Islamisten und ihren Plänen. Dazu kommt, dass es durchaus gewaltsame Übergriffe, Morde und andere Racheakte von HTS-Kämpfern gegen Andersgläubige gegeben hat. Die Verbrennung eines Weihnachtsbaums nahe der Stadt Hama löste Ende Dezember wütende Proteste von Hunderten Christen aus.
Während der Rebellenführer Ahmed al-Sharaa wiederholt gelobt hat, die syrischen Minderheiten zu schützen, hat er bisher kaum konkrete Schritte unternommen, um dieses Versprechen einzulösen. Im schlechtesten Szenario könnten die Anschuldigungen religiös motivierter Gewalt zu einem Teufelskreis führen, in dem sich lokale Milizen aus Furcht vor Übergriffen weigern, ihre Waffen abzugeben, wodurch sich die HTS gezwungen fühlt, militärisch gegen sie vorzugehen.
Um die Lage in Syrien zu stabilisieren und einen funktionierenden Staat aufzubauen, wäre die HTS auf das Vertrauen der syrischen Minderheiten angewiesen. Doch Iran scheint entschlossen, genau dies zu verhindern.