Ein prachtvolles Gebäude in Ephesos galt als Grab von Arsinoë IV. Dieser These entzieht eine DNA-Analyse jetzt die Grundlage. Die Beziehung zwischen der berühmten ägyptischen Königin und ihren Geschwistern bleibt ein Drama, in dem auch Cäsar mitspielte.
Es gibt Familien, die sich zerstreiten und dann nie wieder miteinander reden. Es gibt Familien, die fahren zusammen in die Ferien und liegen sich bei jedem Treffen in den Armen. Und es gibt Familien, in denen scheint es zwischen Geschwistern nur zwei mögliche Optionen zu geben: heiraten oder ermorden – wobei sich die beiden Vorgänge gegenseitig keinesfalls ausschliessen.
Die Ptolemäer, die Dynastie der letzten Könige und Königinnen des alten Ägypten, die waren so eine Familie. Ihre berühmteste Vertreterin ist natürlich Kleopatra VII., deren Nase das uninteressanteste aller Details über sie ist. Und es ist wegen Kleopatra, dass sich Archäologen auch mit einer ihrer Schwestern beschäftigen, Arsinoë IV. Sie hofften, vor Jahrzehnten in Ephesos in der heutigen Türkei ihre Knochen gefunden zu haben. Doch eine neue Analyse unter anderem der DNA zeigt nun: Die Knochen stammen von einer anderen Person. Ihre Erkenntnisse haben die österreichischen Wissenschafter in der Zeitschrift «Scientific Reports» veröffentlicht.
Die Ptolemäer waren eine Königsfamilie voller Intrigen
Nach dem Tod Alexanders des Grossen wurde sein Reich in vier Regionen aufgeteilt. Die Herrschaft über Ägypten erlangte um 300 v. Chr. ein makedonischer Adeliger namens Ptolemaios.
Die männlichen Mitglieder der Herrscherdynastie trugen ausnahmslos den Namen Ptolemaios. Der Zwölfte in dieser Abfolge war der Vater Kleopatras, die 69 v. Chr. geboren wurde, und ihrer Schwestern Berenike und Arsinoë sowie zweier Söhne; die Kinder hatten allerdings wahrscheinlich nicht dieselbe Mutter.
Das Ergebnis einer der vielen Intrigen am Hof war, dass Ptolemaios XII. ins Exil ging, woraufhin Berenike zusammen mit ihrer Mutter den Thron bestieg. Nach drei Jahren kehrte Ptolemaios zurück – und liess Berenike, seine Tochter, hinrichten.
Nach Ptolemaios’ Tod und verschiedenen weiteren Verwerfungen kam es im Jahr 48 v. Chr. zu einer Situation, die jedes ungemütliche Familientreffen wie einen Ausflug in den Vergnügungspark wirken lässt. Im Palast in Alexandria befanden sich die 19-jährige Königin Kleopatra und ihr einige Jahre jüngerer Ehemann und Mitregent: Ptolemaios XIII. – ihr Bruder. Kleopatras sexuelle Interessen lagen allerdings eher bei dem kurz zuvor aus Rom eingetroffenen 52-jährigen Machthaber Gajus Julius Cäsar, der sich im Palast verschanzt hatte. Denn draussen tobte eine Schlacht zwischen den Truppen Cäsars und denen des Ptolemaios, mit dem er unter einem Dach wohnte.
Arsinoë will auf den Thron Ägyptens
Cäsar bestimmte Arsinoë und ihren Bruder Ptolemaios XIV. zu Herrschern über Zypern. Doch Arsinoë wollte den Thron Ägyptens. Sie floh aus dem Palast zur ägyptischen Armee und liess sich von dieser zur Gegenkönigin ausrufen. Während einer Entscheidungsschlacht ertrank Ptolemaios XIII. im Nil.
Cäsar setzte Kleopatra als Herrscherin ein, und zwar zusammen mit ihrem zwölfjährigen Bruder Ptolemaios XIV., den sie vermutlich auch heiratete. Arsinoë wurde gefangen genommen und in Rom im Triumphzug mitgeführt – eine Demütigung und normalerweise ein Todesurteil. Wider Erwarten verschonte Cäsar sie, Arsinoë fand Asyl im Heiligtum der Artemis in Ephesos.
Doch Kleopatra wollte das Kind, das sie mit Cäsar bekommen hatte, zum Thronfolger aufbauen. Ihre Schwester war immer noch eine Bedrohung. Und so veranlasste Kleopatra nach Cäsars Tod ihren neuen Geliebten Marcus Antonius, Arsinoë ermorden zu lassen – im Heiligtum der Artemis, ein unvorstellbares Sakrileg.
«Die Beziehung zwischen Kleopatra und Arsinoë ist eines der grossen Dramen der Antike», sagt denn auch Martin Steskal, Archäologe an der Universität Wien und Leiter der österreichischen Ausgrabungen in Ephesos, am Telefon. «Familienmitglieder ermorden zu lassen, hatte bei den Ptolemäern Tradition, das ist eine total stringente Geschichte.»
Archäologen vermuten das Grab von Arsinoë IV. in Ephesos
Von keinem Mitglied der Ptolemäer-Dynastie jedoch sind bisher körperliche Überreste gefunden worden. Deshalb schien eine im Jahr 1990 aufgestellte Hypothese der Archäologin Hilke Thür verlockend: Mitten in der antiken Stadt Ephesos, an einer wichtigen Prozessionsstrasse, befinden sich die Ruinen eines einst prunkvollen, achteckigen Gebäudes, des sogenannte Oktogons.
In seinem Inneren steht ein Sarkophag, es ist ein Grabbau. Gräber normaler Toter aber durften in antiken Städten nur ausserhalb der Stadtmauern angelegt werden, dieses Monument muss also einer besonderen Person gehören. Thür postulierte, die architektonischen Besonderheiten des Gebäudes wiesen auf eine Beziehung zu Ägypten hin: Es sei das Grab der Arsinoë.
Bereits 1929 war ein Skelett im Oktogon gefunden worden, der Schädel gelangte nach Wien. Er stamme von einer 20-jährigen Frau, einer «ganz vornehmen Persönlichkeit», stellte man damals fest. Nach einer erneuten anthropologischen Untersuchung und auch Datierung des Skelettes 2009 kamen Archäologen zu dem Schluss, es handele sich um eine 15- bis 18-jährige Person: die Überreste der Arsinoë. Eine junge ägyptische Prinzessin, bestattet in einem Prunkbau mit ägyptischen Anklängen mitten in der Stadt – es schien alles zusammenzupassen. Vor weniger als einem Jahr publizierten Kollegen von Steskal ein umfangreiches Buch, das auf dieser These fusste.
Von Anfang an war jedoch kritisiert worden, dass die Person im Grab eigentlich zu jung sei. Dem lässt sich laut Steskal entgegenhalten, dass das genaue Geburtsdatum von Arsinoë nicht bekannt ist.
Die DNA-Untersuchung zeigt: Die bestattete Person ist männlich
Doch eine neue Untersuchung hat der These die Grundlage entzogen. Zwar ergab die erneute C14-Datierung einen Zeitraum zwischen 36 und 205 v. Chr., was gut zu Arsinoës Tod im Jahre 41 v. Chr. passt. Aber nach mehreren gescheiterten Versuchen ist es auch gelungen, DNA aus Knochen und Schädel zu isolieren. Und die brachte eine Überraschung: ein Y-Chromosom. Die bestattete Person ist männlich und zwischen elf und vierzehn Jahre alt. Es ist ausgeschlossen, dass es sich um Arsinoë handelt.
Wer der Junge im Grab ist, der noch dazu an einer krankhaften Deformation des Kieferknochens und Wachstumsstörungen litt, ist völlig unklar. Es gibt keine Inschrift am Grab, die Aufschluss geben könnte.
«Die Argumentation war spekulativ, trotzdem konnte ich der These schon etwas abgewinnen, dass das Oktogon das Grab der Arsinoë ist», sagt Steskal. «Aber Forschung ist kein Wunschkonzert. Man hat selten endgültige Ergebnisse, schon gar nicht in der Archäologie.» Er klingt nicht resigniert. «Wir müssen einen Schritt zurück tun, fast auf null. Und wir tun gut daran, da nun weniger spekulativ heranzugehen.»
Irgendwann werde es einen Zufallsfund zur tatsächlichen Bestattung der Arsinoë geben, glaubt er, und man werde auf diese Weise Kleopatra näherkommen. Das sei das eigentliche Ziel. Arsinoë, so scheint es, ist wie in vielen Familien immer noch vor allem eins: die kleine Schwester im Schatten der grossen.