Die Schweizer Armee schafft die Ausgangsuniform für alle ab – Nachruf auf ein Kleidungsstück, das es schon immer schwer hatte.
Wer je einen anständigen Anzug getragen hat, der wird es mit Genugtuung zur Kenntnis nehmen: Seit Anfang Jahr gibt die Armee «die Ausgangsuniform 95 nur noch bedarfsorientiert für Repräsentationsaufgaben an die Truppe ab», wie das Verteidigungsdepartement diese Woche mitgeteilt hat. Damit sollen bis 2035 bis zu 55 Millionen Franken gespart werden, da nun nicht mehr jährlich 20 000 neue Uniformen à 300 Franken beschafft werden. Geld, das die Armee einsetzen will, um die Wehrbereitschaft des Landes zu stärken.
Finanzpolitisch hilft es wenig, aber vor dem Hintergrund der knappen Bundeskasse ist der Schritt nachvollziehbar. Zumal die Folgen überschaubar sind: Längst wird in der Armee im Tarnanzug eingerückt und abgetreten. Nun werden die Angehörigen der Armee auch in diesem «Tenue B» in den Ausgang geschickt. Das «Tenue A», die Ausgangsuniform 95, verschwindet zudem nicht ganz: Sie bleibt als Gala-Dress einfach dem hohen Kader vorbehalten sowie einigen Spezialfunktionen wie der Militärmusik und den Offiziersordonnanzen.
Vor allem aber lässt sich der Entscheid aus modischen Gesichtspunkten gut vertreten. Von einem feinen Tuch kann beim «Ausgänger» wahrlich nicht die Rede sein: Die Uniform aus dem Kammgarngewebe Gabardine, mit der man gleich zu Beginn der Rekrutenschule ausstaffiert wurde, war robust, knitterfrei und kratzig. Kaum jemand machte darin eine gute Figur: dunkelgrau der filzige Veston, hellgrau die zu weiten Hosen, blassblau das grobe Hemd und grau die Krawatte, die nur selten korrekt gebunden wurde. Entsprechend unpopulär war die wenig schnittige Uniform bei der Truppe – obwohl sie in ihrer konfektionellen Zurückhaltung den Geist der Milizarmee spiegelt.
Natürlich hat der Entscheid der Armee auch Widerstände geweckt: Es werde eine schöne Tradition aufgegeben, und man spare am falschen Ort, klagen konservative Armeefreunde. Doch sie übersehen, dass der «Ausgänger» schon immer umstritten war.
Verteidigung in Feldgrau
Als der Bundesstaat 1848 gegründet wird, haben die Kantone noch die Hoheit über das Militär. Entsprechend unterschiedlich sind die Uniformen. Vereinheitlicht wird erst allmählich, seit 1878 etwa erhalten die Armeeangehörigen eine Uniform auf Bundeskosten. Damals sind die Uniformen noch Prachtgewänder, mit denen man in die Schlacht zieht – die bunten Farben sind nicht nur chic, sie helfen im Pulverdampf auch bei der Unterscheidung von Freund und Feind. Das ändert sich mit der Entwicklung weitreichender Waffen, die das Zeitalter der Tarnfarben einläuten. Die Armeen passen sich farblich immer mehr dem Terrain an, werden grünlich, bräunlich, gräulich.
In der Schweiz resümiert 1906 eine Reformkommission zum Thema Uniform: «Die ästhetischen Gesichtspunkte werden überall in die zweite Linie gerückt; die rein praktischen gelten als ausschlaggebend.» Typisch schweizerisch folgen jahrelange Feldversuche, bis bei Ausbruch des Ersten Weltkriegs improvisiert werden muss – mit grauen Überzügen. Neue feldgraue Uniformen werden erst mitten im Krieg eingeführt. Der Farbton bleibt in den folgenden Jahrzehnten erhalten. Leicht abgeändert wird der Schnitt, auch der Wollstoff wird etwas hautverträglicher. Die Uniformen der Offiziere hingegen sind schon immer eleganter geschnitten und aus leichterem Stoff.
Ab den 1960er Jahren führt die Schweiz nach dem Vorbild ausländischer Armeen moderne Kampfanzüge mit Tarnmuster ein, die auf dem Feld mehr taugen als die Wolluniformen – und die nun vor allem noch als Tenue im Ausgang und im Urlaub dienen. Bis dahin hat die Schweiz aus Kostengründen nur eine Uniform gekannt, die zu Arbeits- wie Repräsentationszwecken getragen wird.
Schon 1966 kritisiert das CVP-Schwergewicht Leo Schürmann im Parlament, die Ausgangsbekleidung sei weder zweckmässig, noch entspreche sie in Form, Zuschnitt und Stil dem heutigen Empfinden. Die Kommission für militärische Landesverteidigung lanciert darauf einen «Ideenwettbewerb». Dutzende Bewerbungen aus der Textilindustrie gehen ein, und es entbrennt ein Streit über Sinn und Unsinn einer «doppelten Uniformierung» der Soldaten. «Durch den Verzicht auf ein ohnehin stets problematisches Ausgangstenue werden gewichtige Mittel gespart, die direkt der Wehrbereitschaft zukommen», schreibt 1969 ein Major in der «Allgemeinen Schweizerischen Militärzeitschrift». Ein Oberst erwidert: Falls im Ausgang und im Urlaub Zivilkleidung getragen würde, würde das die sozialen Unterschiede offenlegen und dem «Korpsgeist» schaden. Man findet einen freundeidgenössischen Kompromiss: Die Armee modernisiert die bestehenden Gewänder und lockert den Uniformzwang im Urlaub.
Der grosse Wurf kommt später. 1985 startet der Generalstabschef Eugen Lüthy das Projekt «Kleidung». Eine Umfrage bei der Truppe habe «eindeutig» ergeben, dass eine separate Ausgangsbekleidung gewünscht sei. Die Armee erhofft sich einen Motivationsgewinn durch Eleganz. Ein Jahr später finden erste Tests mit Prototyp-Uniformen statt. 1987 lädt Lüthy die Medien in die Berner Kaserne zum Modedefilee, wo die vier aussichtsreichsten Modelle präsentiert werden. 1990 lüftet dann die Zeitschrift «Der Fourier» «den geheimnisvollen Schleier über dem Wehrmann im Ausgang 1995». Es ist der «Ausgänger», der bis heute im Einsatz ist. Er wird als «modisch» gelobt. Statt der ungeliebten, «an einen Glace-Verkäufer am Sandstrand Riminis erinnernden Ausgehmütze» (wie in der Militärzeitschrift geätzt wird) werden Bérets in sechs Farben eingeführt. Es ist auch ein Demokratisierungsschritt: Die bisherige Offiziersuniform wird abgeschafft.
Ueli Maurers Kritik
1993 votiert das Parlament für die Beschaffung von 180 000 neuen Ausgangsbekleidungen, Kostenpunkt: 114 Millionen Franken. Verteidigungsminister Kaspar Villiger hat sich vehement für ein aufgewertetes Erscheinungsbild der Armee eingesetzt. Kritik gab es nur vereinzelt, etwa vom späteren SVP-Bundesrat Ueli Maurer: Der Dienstanzug sei ohnehin bequemer und erst noch «rassiger», der Bund solle das Geld besser sparen. Ab 1996 werden die Ausgangsuniformen eingeführt, aber nicht ohne Nebengeräusche.
Die Eidgenössische Finanzkontrolle kritisiert die Schnelluniformierung der Armee 95 – da noch ein Lager mit alten Uniformen für drei Jahre existiert. Die Armee hätte mit einer späteren Einführung 100 Millionen Franken sparen können. Thema wird auch, dass die einheimische Textilindustrie kaum mehr profitiert: Weil der Bund Grossaufträge nach den Spielregeln der Welthandelsorganisation ausschreiben muss, wandert die Produktion der Uniformen nach Osteuropa und Asien.
Und der Schnitt bleibt ein Dauerbrenner. Zuletzt gibt ein Vorstoss der Mitte-Politikerin Marianne Binder-Keller zu reden. Sie kritisiert 2021 die «dreissigjährige mausgraue Ausgangsuniform». Ein Tenue, «zeitgerecht und mit Stil», würde die Attraktivität und das Ansehen der Armee steigern, nicht zuletzt bei den Frauen.
Der Bundesrat antwortet: «Das VBS stellt derzeit erste Überlegungen über die Zukunft der Ausgangsuniform an.» Dann wird es ruhig um die Uniformfrage – bis nun das Aus des «Ausgängers» für alle verkündet worden ist.